Bakur/Nordkurdistan – Die Militäroperation im Stadtteil Sûr von Amed (Diyarbakır) sind für beendet erklärt worden, der Druck und die Umzingelung durch den Staat jedoch nicht. Dieser Zustand dauert nun schon seit 118 Tagen an. Um Sûr wurde eine Betonmauer gezogen, die Gebäude und Straßenzüge enteignet und zu „öffentlichem Eigentum“ erklärt. Und die Mütter warten, warten nun schon seit 65 Tagen darauf, dass man ihnen die Leichname ihrer ermordeten Kinder aushändigt. Seit 65 Tagen sind sie im Protest, halten eine Mahnwache. Die Leichname aus Sûr sind zum Großteil derart unkenntlich, dass eine Identifizierung zumeist nur mit DNA-Probe möglich ist. Makbule Girçek ist die Mutter von Turgay Girçek. Sie erklärt: „Am 16. Januar ist mein Sohn Tungay ermordet worden. Seitdem sind wir hier und halten Mahnwache.“
Bis jetzt ist ihnen der Leichnam ihres Kindes immer noch nicht ausgehändigt worden. „Sie haben meinem Mann Fotos der Leichname vorgelegt. Es waren die Gesichter zu sehen. Die Leichname sind derart unkenntlich, er konnte niemanden identifizieren. Vielleicht liegt mein Sohn auch irgendwo da im Schutt, den sie jetzt wegschaffen. Wir würden uns einen Korridor nach Sûr wünschen, dann würden wir dort nach seinem Leichnam suchen. Aber jetzt ist das nicht möglich. Man kommt nicht hinein“, so Makbule Girçek, „Turgay wurde in Sûr geboren. Wenn jetzt ein Leichnam aus Sûr freigegeben wird gehen wir hin und sehen nach ob er es ist. Aber bisher konnte keiner der Leichname identifiziert werden. Wenn sie bloß nicht mit dem Bagger die Leichname unserer Kinder heben; unsere Kinder liegen dort seit drei Monaten … Ich halte er zu Hause nicht aus, denn ich hab das Gefühl, dass mein Sohn auf mich wartet. Da haben sie meinen Sohn schon ermordet und jetzt geben sie mir nicht einmal seinen Leichnam.“
Remziye Solak, Angehörige von Ramazan Öğüt, berichtet: „Wir haben uns vor etwa 4 Monaten, als Ramazan getötet wurde, der Mahnwache angeschlossen. Wir haben seinen Leichnam immer noch nicht bekommen können. Es ist furchtbar. Wir haben unsere Kinder verloren. Wir haben unsere Häuser verloren. Sie bringen die Leichname in die Krankenhäuser. Wir gehen hin. Aber sie sind unkenntlich. Sie sagen sie haben die Blockade von Sûr aufgehoben. Aber in den Stadtteil kann man immer noch nicht.“
Vier Stadtteile von Sûr dürfen auch weiterhin nicht betreten werden. Dort dauert die „Ausgangssperre“ an. Die andere Viertel sind durch Polizeiposten versperrt. Wer hinein oder hinaus will muss durch die Kontrolle. Wie jetzt bekannt wurde, liegen in Sûr 13 weitere Leichname. 50 Leichname liegen in drei verschiedenen Städten und warten auf Identifizierung. Nursel Aydoğan, Abgeordnete der HDP von Amed hat sich an die Staatsanwaltschaft gewandt, um die Leichname bergen zu lassen. Angehörige hatten sich an sie gewendet und ihr berichtet, dass, als der Angriff auf Sûr andauerte, sie die Leichname in zwei Gärten vergraben haben. In Meletî (Malatya) liegen immer noch 11, in Elazîz (Elazığ) 2, in Amed (Diyarbakır) 12 mit denen aus Bağlar 25 Leichname. Die Ergebnisse der DNA-Tests kämen verspätet. Aber selbst identifizierte Leichname würden nicht frei gegeben, können nicht beerdigt werden.
Seit Dezember letzten Jahres sind Angehörige von in Sûr Ermordeter im Protest. In den ersten Tagen waren sie im Hungerstreik im Sümer-Park. Danach traten sie in den Sitzstreik. Heute dauert ihre Mahnwache im Dicle-Fırat-Kulturzentrum an. Sie werden ihre Aktion fortsetzen, bis sie ihre ermordeten Kinder ausgehändigt bekommen hätten.
ANF, BestaNûçe, 29./30.03.2016, ISKU