Es ist noch gar nicht lange her, da hieß es in der Türkei in Richtung Kurden, „verlasst die Berge, kommt ins Parlament“. Auch damals wurde den Kurden in der Türkei nichts geschenkt. So füllten sie auch zu jener Zeit die Gefängnisse, genauso wie sie auch im Parlament waren. Und als dann im Sommer letzten Jahres Parlamentswahlen anstanden, haben sie die mit 10% extrem hohe Wahlhürde zum ersten Mal geknackt, sind mit 80 Abgeordneten im Parlament aufgewartet. Das war dann dem türkischen Präsidenten wohl doch zu viel des Guten. Er ließ eine neue Wahl anberaumen und begann gleichzeitig mit einer ungeahnten Verfolgung und mit grausamsten Angriffen gegen Kurden und jene, die sich mit ihnen sympathisierten. Seit Herbst letzten Jahres führt er einen offenen Krieg gegen die Kurden, bei dem im Schatten von teils monatelang anhaltenden „Ausgangssperren“ bisher 10 Städte und Stadtteile mit Panzern und Luftangriffen „geschrottet“ wurden. Ein Krieg, der tausenden Menschen bisher ihr Leben kostete hat. Der Flüchtlingsverein Göç-Der spricht im Zusammenhang mit den Angriffen der letzten 7 Monate von etwa 1 Million Kurden, die zwangsweise vertrieben wurden. Darunter sind mehrere Zehntausend, die jetzt ohne Bleibe sind. Während Erdoğan sich einen Palast mit 1.100 Zimmern erbaut hat sitzen seine kurdischen Landsleute ohne Obdach auf der Straße, weil er ihre Häuser und Wohnungen mit Panzern einreißen lies. Und selbst die Trümmer lässt er ihnen nicht. Es wird beschlagnahmt und einplaniert was übrig ist. Auf seine Order hin wurde auch die Immunität der Abgeordneten aufgehoben, wovon vor allem die HDP betroffen ist. 54 ihrer 59 Abgeordneten stehen jetzt ohne Immunität da. Mehr als 500 Anzeigen liegen gegen sie vor. Ohne weiter auf die Folgen eingehen zu wollen ist eins offensichtlich, die Kurden, die man eben noch aufforderte ins Parlament zu kommen, sollen es jetzt wieder verlassen.
Aber auch damit allein geben Erdoğan und die AKP sich nicht zufrieden. Denn auch die kurdischen BürgermeisterInnen sind ihnen ein Dorn im Auge. Bei der letzten Kommunalwahlen 2013 haben die Kurden 113 Bürgermeistereien für sich verbuchen können. Mit zum Teil traumhaften Ergebnissen von bis zu 70, 80, 93% der Stimmen. Seit einem Jahr hat der ohnehin vorhandene Druck auf die BürgermeisterInnen zu genommen. Ankara schickte Revisoren. Von denen die Co-Vorsitzende der HDP, Figen Yüksekdağ, erklärte: „Sie schlafen in den Bürgermeistereien, konnten aber trotzdem keine Unregelmäßigkeiten feststellen.“ Aber es kann nicht sein, was nicht sein darf. So wird nichts unversucht gelassen, um den BürgermeisterInnen das Leben schwer und die Arbeit unmöglich zu manchen. Sebahat Tuncel, Co-Vorsitzende der DBP, spricht von „20 Co-BürgermeisterInnen darunter 11 Frauen, die in Untersuchungshaft sind, 30 weitere wurden gar ihrer Ämter enthoben.“
Kamuran Yüksek, der Co-Vorsitzende der Partei der Demokratischen Regionen DBP, unter dessen Dach auch die kurdischen BürgermeisterInnen organisiert sind, ist seit dem 13. Mai dieses Jahres in Haft. Als Grund werden mehrere Presseerklärungen aufgeführt. 2 Mitglieder des Parteirates der DBP wurden durch türkisches Militär ermordet und das Schicksal des Vorstandsmitglieds der DBP von Şirnex (Şırnak) Hurşit Külter ist weiterhin ungeklärt. Doch Ankara fährt täglich mit neuen Geschützen auf. Der Minister für Umwelt und Städte(bau) Mehmet Özhaseki berichtete vor einigen Tagen JournalistInnen gegenüber von einen neuen Gesetz das auf dem Wege sei. Ein Gesetz, an dem er selbst wohl maßgeblich beteiligt war. Özhaseki sagte: „Ich selbst war unzählige Male in der Region (gemeint sind die kurdischen Gebiete der Türkei) und habe einen Aktionsplan ausgearbeitet. Ich habe sowohl im Ministerrat den Ministerpräsidenten, als auch den Staatspräsidenten konsultiert, dann wurden die Pläne in Angriff genommen.“ Um es kurz zu machen, geplant ist es die gewählten BürgermeisterInnen ihres Amtes zu entheben und statt ihrer einen Verwalter bzw. Treuhänder zu ernennen. Sebahat Tuncel erteilt dem eine klare Absage. Sie sagt: „Jetzt wollen sie unsere Bürgermeistereien in Besitz nehmen. Die Bürgermeistereien zu beschlagnahmen, dass gab es nur zu Zeiten des Militärputschs. Wir werden das niemals zu lassen.“ Und fordert zum „demokratischen Widerstand“ auf. In einer Zeit in denen Stadtteile und ganze Städte in Schutt und Asche liegen, wäre die Beschlagnahme der Bürgermeistereien nicht nur im Hinblick auf die Einhaltung demokratischer Regeln prekär. Die kurdische Bevölkerung will ihre Städte nicht aufgeben, haben doch viele von ihnen schon zuvor in den 1990ger Jahren ihre Dörfer verlassen müssen als diese vom türkischen Militär nieder gebrannt wurden. Jetzt wollen sie bleiben, auch wenn alles zerstört ist – arbeiten an einem Wiederaufbau. Die Frage bleibt, ist ohne einen Rückhalt bei BürgermeisterInnen und Volksräten ein flächendeckender Wiederaufbau ihrer eigenen Häuser und Städte für die Kurden machbar? Und genau das dürfte es sein, dass Erdoğan und die seinen mit aller Macht verhindern wollen. Es fragt sich nur, ob ihm das gelingen wird. Und die Intellektuellen in der Türkei, der Westen der Türkei, sollte sich langsam Fragen, wie wird wohl eine Türkei nur mit Erdoğan aussehen und ob sie das wirklich wollen? Noch ist ihre Stimme kaum zu vernehmen. Für die Kurden spricht Figen Yüksekdağ: „Wie viele ihr auch erschießen mögt, wir werden nicht vernichtet. Wir gehen nicht, auch wenn ihr uns verjagt. Ihr wollt die Menschen, deren Städte belagert werden, aus ihren Häusern vertreiben. Aber wir werden weiterhin dort sein. Jedes Mal wenn ihr einen von uns erblicken werdet, wird euch eure eigene schändliche Realität vor Augen gehalten werden.“ Aber es wird Zeit, dass auch im Westen der Türkei die Menschen erkennen, dass der Krieg gegen die Kurden nicht nur die Kurden allein betrifft. Sondern auch sie.
ANF, Yüksekova haber, 17./ 20.05.2016 , ISKU