„Ein Geschenk Gottes“

Von AKP ANhängern eroberter Panzer auf einer Bosporusbrücke

Eroberter Panzer | Foto: unbekannt

TÜRKEI – „Ein Geschenk Gottes“, so titelte Erdoğan am frühen Morgen des 16. Juli auf einer Pressekonferenz auf dem Istanbuler Atatürk Flughafen über den Putschversuch einiger hochrangiger türkischer Militärs. Und tatsächlich sieht es nach einem Geschenk Gottes für Erdoğan aus, wenn wir uns die altbekannte Frage: Cui bono? – Wem zum Vorteil? stellen.

Doch blicken wir noch einmal zurück. Am Abend des 15. Juli verbreitete sich die Melden, dass türkisches Militär auf zentralen Plätzen in Istanbul und Ankara aufmarschiert und die Bosporusbrücken gesperrt sind. Darauf folgten verschiedene Meldungen, die bis kurz nach Mitternacht darauf schlossen, dass der Putsch gelingen würde. In den frühen Morgenstunden des 16. Juli schien sich dann das Blatt zu wenden und die putschenden Militäreinheiten wurden immer stärker zurückgeschlagen und festgesetzt, bis schließlich am Mittag die Niederschlagung des Putsches offiziell verkündet wurde.

Erdoğan lies sich in Folge dessen als Verteidiger der Demokratie feiern und sicherlich ist ein Militärputsch grundsätzlich abzulehnen, jedoch macht dies Erdoğan und sein Regime weder sympathischer, noch demokratischer. In der deutschen Presse war schnell davon die Rede, dass der Putsch nun erst beginnen würde und eben Erdoğan der eigentliche Putschist sei. Letzteres lässt sich nicht abstreiten, aber gegen der Annahme, dass der Putsch erst vor wenigen Tage begann, zog die Analyse und Erklärung der KCK (Komalên Civakên Kurdistan – Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) einen anderen Schluss

Die KCK erklärte, dass keine der Konfliktparteien des Putsches die Demokratie verteidige. Eine Schlussfolgerung die von vielen fortschrittlichen Oppositionsstrukturen geteilt wird und die nach bisheriger Erkenntnis auch viele Menschen hier zu Lande teilen. Einen Punkt der jedoch bisher von niemandem so deutlich angesprochen wurde, ist jener, dass der Putsch nicht erst am 15./16. Juli 2016, sondern bereits am 7. Juni 2015 begonnen hat.

Am 7. Juni 2015 fanden die regulären Parlamentswahlen in der Türkei statt, bei denen es der pro-kurdischen HDP (Halkların Demokratik Partisi – Demokratische Partei der Völker) gelang die 10% Hürde zu überwinden und somit gleichzeitig die absolute Mehrheit der AKP (Adalet ve Kalkınma Partisi – Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) im Parlament zu brechen. Die KCK folgerte das darauf ein Putsch des Präsidentenpalastes gegen den Willen des Volkes statt fand. „Bereits in der Vergangenheit wurde in der Türkei geputscht, wenn die Demokratiekräfte ein wenig an Kraft gewannen und die KurdInnen begannen, sich selbst zu organisieren. Aus denselben Gründen putsche der Präsidentenpalast auch infolge der Wahlen vom 7. Juni. Der AKP-Faschismus hat Bündnisse mit allen faschistischen Kräften im Land und dem Generalstab geschmiedet, um die Kurdische Freiheitsbewegung und die Demokratiekräfte im Land zu ersticken. Das Militär wurde in die kurdischen Städten und Bezirke entsandt, um diese niederzubrennen und hunderte Zivilisten zu ermorden. Um die Verbrechen des Militärs zu decken, wurden neue Gesetze erlassen. Aufgrund dieser Situation werteten Intellektuelle und die Demokratiekräften im Land die AKP als eine Regierung, welche die Vormundschaft des Militärs im Staat legalisiert und legitimiert.“

Was auf die für die AKP und damit Erdoğan verlorenen Wahlen folgte, war eine Reihe von Terroranschlägen angeblich durch den sogenannten Islamischen Staat fast ausschließlich gegen Versammlungen und Einrichtungen der pro-kurdischen HDP oder anderer linker Oppositionsstrukturen. Die AKP schloss Bündnisse sowohl mit der faschistischen MHP, islamistischen Strukturen, als auch mit Strukturen seinen auch jetzt postulierten Erzfeindes Gülen. In diesem Atemzug wurde eine große Anzahl inhaftierter Militärs, denen vorgeworfen wurde, hinter Gülen zu stehen und in dessen Namen einen Putsch vorbereitet zu haben, wieder entlassen.

Da immer noch keine Regierungskoalition entstanden war, wurden am 1. November 2015 Neuwahlen angesetzt, bei denen die AKP und namentlich Erdoğan sowohl durch Wahlbetrug, als vor allem durch seine Doktrin: Ohne mich, ohne die AKP gibt es Chaos und den drohenden Untergang, die Mehrheit zurückerlangte.

Die begnadigten Militärs wurden nach Nordkurdistan (Osttürkei) geschickt, um dort die kurdische Freiheitsbewegung und den wachsenden Widerstand/die wachsende Autonomie ein für alle mal zu zerschlagen. Darauf folgten die Bombardierungen und Zerstörungen der Städte und auch die Todeskeller von Cizîr (türk. Cizre).

Was jedoch fehlte war die endgültige Zementierung des Präsidialsystems für Erdoğan und damit der letzte Schritt zur faschistischen Diktatur.

Auf die breiten Spekulationen zum Putsch wollen wir uns nicht einlassen, aber wir stellen uns die Frage: Cui bono?

Erdoğan selbst betitelt den gescheiterten Putsch als „ein Geschenk Gottes“ und so wirkt es wirklich. Bereits wenige Stunden nach Niederschlagung des Putsches begann das türkische Regime mit einer wortwörtlichen Verhaftungswelle, in kürzester Zeit wurden tausende Menschen festgenommen. Während es am ersten Tag noch vor allem Militärs betraf, wurden bereits am Folgetag tausende Richter und Staatsanwälte ihres Amtes enthoben und verhaftet. Auch die Wiedereinführung der Todesstrafe stellt einen empfindlichen Punkt dar, nicht zu Letzt in Anbetracht der abgebrochenen Verhandlungen mit Abdullah Öcalan und Erdoğan’s alter Forderung der Ermordung Öcalan’s. Auf die Kritik der EU gegenüber der Gespräche über die Wiedereinführung der Todesstrafe argumentierte Erdoğan nur, dass die EU nicht die Welt sei, die USA und Russland hätten schließlich auch die Todesstrafe und zudem müsse man auf den Willen des Volkes hören.

Die aktuelle Situation stellt sich wie folgt dar, Erdoğan rief einen vorerst dreimonatigen Ausnahmezustand für die gesamte Türkei aus, der ihn temporär zum Alleinherrscher macht. Das Gesetz schränkt die Meinungs- und Pressefreiheit, das Versammlungsrecht und viele weitere nationale, wie internationale Grundrechte ein. Außerdem kündigte er an seine Säuberung weiter voran zu treiben, dabei geht das türkische Regime momentan speziell gegen die Strukturen der Gülen-Bewegung vor. In den vergangenen 24 Stunden wurden 15.200 Lehrer*innen der staatlichen Schulen entlassen, 21.000 Lehrer*innen privater Schulen wurde die Lizenz entzogen. Für sämtliche staatlichen Angestellten und Akademiker*innen, dies betrifft somit circa 3,5 Millionen Menschen, gilt ein Ausreiseverbot.

Abseits der staatlichen Handlungen formieren sich auf den Straßen marodierende Mobs aus Anhänger*innen Erdoğan’s, bekennenden Faschist*innen, sowie Islamist*innen, die gezielt Stadtteile, Straßen und Geschäfte religiöser Minderheiten oder politischer Gegner*innen angreifen.

Die KCK schlussfolgert ganz recht, wenn sie sagt, dass „die Befreiung der Türkei von einer monistischen, hegemonialen und faschistischen Regierung und die Demokratisierung des Landes mehr denn je drängt“.

Die wichtigste Aufgabe der demokratischen Kräfte ist es das wahre Gesicht der AKP und Erdoğan’s zu enttarnen und wirklich für jede*n sichtbar zu machen. Der Kampf gegen den AKP-Faschismus muss klar benannt, weiter organisiert und noch stärker geführt werden.

Das System der Lügen zerschlagen und die Freiheit erkämpfen!

Konstantin Weinert – ISKU, 21.07.2016

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