Der türkische Innenminister Efkan Ala gibt die Anzahl der im Zusammenhang mit dem Putschversuch Verhafteten mit 18.044 Personen an, darunter 10.000 Soldaten. Von ihnen seien 9.677 Personen in Untersuchungshaft. Darüber hinaus seien 49.211 Reisepässe annulliert worden. Es sind Zahlen, die veränderbar und Tags darauf bereits überholt seien können.
1.684 Militärs wurden unehrenhaft aus dem Dienst entlassen. Ihnen wurde ihre erworbenen Ränge aberkannt, ihr Beamtenstatus entzogen, auch eine erneute Rückkehr in die türkischen Streitkräfte wird ihnen versperrt. Eine Anstellung an irgendeinem Platz im Staatsdienst ist ihnen ebenfalls verwehrt. Und das, ohne das eine Verurteilung erforderlich ist. Festgelegt ist all dies in einem Beschluss mit Gesetzeskraft; der Gesetzgebung unter Bedingungen des Ausnahmezustands. Ist in anderen Zeiten das Parlament der Ort an dem Gesetze verabschiedet werden, so ist es in Zeiten des Ausnahmezustands ein 8-köpfiges Gremium zur Koordination des Ausnahmezustands bestehend aus dem Ministerpräsidenten und einem engen Kreis der Minister. Bei ihnen handelt es sich um die Minister von Justiz, Arbeit und soziale Sicherheit, Innen- und Außenminister, Bildungs- und Verteidigungsminister und den Staatssekretär. Während Gesetze nicht absolut sind – es gibt die Möglichkeit gegen sie Klage einzureichen – sind es Beschlüsse mit Gesetzeskraft. In oben erwähntem Beschluss mit Gesetzeskraft wurden auch 3 Nachrichtenagenturen, 18 Fernsehsender, 23 Radioanstalten, 45 Zeitungen, 15 Magazine, 29 Verlage und Verteilernetze verboten. Ihr Besitz und ihre Dokumente gehen an den Fiskus über. Auch hier besteht weder die Notwendigkeit einer Verurteilung noch die eines Gerichtsverfahrens.
Der Beschluss mit Gesetzeskraft hat auch eine weitere Neuerung. War das Ausstellen von Haftbefehlen, Durchsuchungsbeschlüssen, Abhörgenehmigungen u.ä. bisher allein Richtern vorbehalten, dürfen dies „bei Gefahr im Verzug“ nun auch im Voraus die Staatsanwälte, soweit das dahinter gesehene Vergehen im Rahmen der Antiterrorgesetzgebung liegt oder von einer Gruppe gemeinsam begangen worden sein soll. Das gibt viel Raum für Willkür. Da wundert es einen dann auch nicht, dass grundsätzliche Elemente auf ein faires Verfahren wie Akteneinsicht oder Beistand durch einen Rechtsanwalt beschränkt werden dürfen. Auch das ist in Zukunft Ermessenssache eines Staatanwalts. Die Generalstaatsanwaltschaft von Ankara hat mittlerweile gefordert, dass Eigentum und Besitz von 3.049 Richtern und Staatsanwälten, die nach dem 15. Juli verhaftet wurden, Beschlagnahmt werden solle.
Seit Putschversuch und Ausnahmezustand sind 66.036 Staatsbedienstete suspendiert oder entlassen worden. Von der Maßnahme sind mehr LehrerInnen betroffen als Angehörige der Sicherheitskräfte. Es sind aber auch AkademikerInnen und ÄrztInnen betroffen. Aber die Entlassung von unliebsamen AkademikerInnen hat nicht erst mit dem Ausnahmezustand (OHAL) begonnen. In den letzten Monaten vor Putschversuch und Ausnahmezustand sind bereits die ersten AkademikerInnen entlassen worden, ohne das ein Urteil oder ein Gerichtsverfahren dazu nötig gewesen wären. Es waren AkademikerInnen, die sich für den Frieden in der Türkei eingesetzt hatten und die Zerstörung von kurdischen Städten durch die türkischen Sicherheitskräfte verurteilt hatten. Und ist heute die Türkei auf dem besten Wege ein rechtsfreier Raum zu werden, so hat sich auch hierin nur die Dimension geändert. Denn rechtsfreie Räume sind nicht neu in der Türkei. Bisher waren sie beheimatet in den teils Monate lang anhaltenden Ausgangssperren, die der türkische Staat über viele kurdische Städte und Regionen verhängt hatte. In den Straßen und Häusern von Cizîr (Cizre), Sûr, Şirnex (Şırnak), Nisêbîn (Nusaybin), Gever (Yüksekova) und Hezex (Idil und ähnlichen Orten gab es im Schatten der Ausgangssperren und militärischen Operationen nicht einmal mehr das Recht auf Leben, geschweige denn irgend ein anderes Recht. Als in Cizîr die Keller brannten und mit ihnen unzählige ZivilistInnen, als ganze Landstriche von den türkischen Sicherheitskräften verwüstet und Stadtteile von ihnen in Schutt und Asche gelegt wurden, da war das es auch nichts anderes als das was jetzt die ganze Türkei erfasst hat.
Zusammenfassung aus: Yüsekova Günem, Bianet, Cumhuriyet, 28./29.07.2016, ISKU