Delegation kritisiert Angriffe der türkischen Armee auf Tal Abyad

Pressemitteilung

Seit dem 26.10. wurden die Städte Tal Abyad (Girê Sipî) und die YPG (Verteidigungseinheiten Rojavas) nahe Jarabulus mehrfach von der türkischen Armee angegriffen. Die YPG war auf dem Weg zwischen Kobane und Afrin mittlerweile bis an den Euphrat kurz vor der Stadt Jarabulus vorgedrungen, dem letzten offenen größeren Grenzübergang zur Türkei, der vom Islamischen Staat (IS) kontrolliert wird. Premierminister Davutoglu hatte angekündigt, dass die Türkei einem weiteren Vordringen der YPG mit Angriffen auf syrischem Territorium begegnen werde und Tal Abyad nicht „unter der Herrschaft der PYD “ bleiben dürfe. Der türkische Nationale Sicherheitsrat kategorisierte die PYD bereits letzte Woche als verlängerten Arm der PKK und gab damit grünes Licht für direkte Angriffe auf die Selbstverwaltung in Rojava. Die Regierung Erdogan/Davutoglu versuchte kurz vor den Wahlen, eine weitere Eskalation herbeizuführen.

“Die Angriffe der türkischen Armee auf Tal Abyad und Jarabulus sind völkerrechtswidrig. Tal Abyad wurde gestern von der türkischen Armee erneut beschossen. Während die Selbstverwaltung von Rojava in der Stadt unter widrigsten Umständen ein weitgehend normales Leben aufbaut und u.a. Schulen wiedereröffnet, wollte die AKP unter Davutoglu/Erdogan offenbar kurz vor den Wahlen auf menschenverachtende Weise Stärke demonstrieren und den Konflikt mit den KurdInnen weiter eskalieren. Eine solche Politik ist inakzeptabel“, erklärt Rechtsanwältin Britta Eder, die sich im Auftrag des Bundestagsabgeordneten und Mitglied des Europarats Andrej Hunko gerade auf einer Delegationsreise in Rojava befindet.

„Dass die Türkei die YPG davor warnt, eine vom IS kontrollierte Stadt auf syrischem Territorium anzugreifen, zeigt, dass die türkische Regierung mit der menschenfeindlichen Organisation paktiert. Die Bundesregierung und die EU sind gefragt, endlich Konsequenzen daraus zu ziehen und die sicherheitspolitische und militärische Zusammenarbeit mit der Türkei zu beenden, anstatt R.T. Erdogan durch Besuche und Zugeständnisse zu hofieren“, so Martin Dolzer, der ebenfalls an der Delegationsreise teilnimmt.

„In Tal Abyad leben mittlerweile AraberInnen, TurkmenInnen, ArmenierInnen, KurdInnen sowie weitere Bevölkerungs- und Religionsgruppen respektvoll zusammen. Vor der Befreiung der Stadt durch die YPG hat der IS dort die Menschen terrorisiert. Eine Armenische Kirche wurde angezündet und eine darin befindliche Bibliothek vernichtet. Auf dem Hof der Kirche haben wir vom IS gebaute Gefängniszellen von 1m mal 3m gesehen, die ohne Licht und Einrichtung aus nacktem Beton bestehen. Hier wurden Augenzeugenberichten zufolge Menschen inhaftiert, gefoltert und später exekutiert. In weiteren Räumen neben dem Kirchengebäude hatte die Terrororganisation ihre Kämpfer ausgebildet. An Tafeln sahen wir Bauanleitungen für Bomben und Hetze gegen `Ungläubige´ sowie Europa. Auf der Hauptstraße befindet sich ein Käfig, in dem der IS Menschen an den Pranger stellte und folterte. Wir haben in Tal Abyad mit der Bürgermeisterin, dem Bürgermeister und dem Stadtrat gesprochen, in dem Menschen sämtlicher dort lebender Bevölkerungsgruppen vertreten sind. Alle GesprächspartnerInnen berichteten vom Aufatmen nach der Befreiung vom IS und einer sich dadurch entwickelnden menschenwürdigen Lebensperspektive. In diesem Zusammenhang ist das Agieren der Türkei besonders unerträglich. Es ist zudem deutlich, dass die Selbstverwaltungsstrukturen in Rojava einen Ausweg aus der Krise im Mittleren Osten eröffnen können. Deshalb sollten diese endlich international anerkannt und unterstützt werden“, so Dolzer weiter.

Am. 1. November wurde in Kobane und weltweit an den Beginn der Angriffe des sog. Islamischen Staates und den Widerstand von YPG (Selbstverteidigungskräfte von Rojava) und YPJ erinnert, durch den die Stadt und die Provinz befreit wurden.

Im Rahmen unserer Delegationsreise haben wir Kobane besucht. 75% der Gebäude in der Stadt sind zerstört, viele Menschen traumatisiert. Auch nach der Befreiung vom IS durch die YPG und YPJ haben die Djihadisten mehrere Selbstmordattentate und ein Massaker an der Zivilbevölkerung begangen. Am 25.10.15 drangen Kämpfer des IS ungehindert über die türkische Grenze in Kleidung der YPG in einen Stadtteil von Kobane ein und ermordeten 265 ZivilistInnen in ihren Wohnungen, darunter etliche Kinder und Alte. Mittlerweile ist der IS etwa 100 km weit aus der Stadt Kobane vertrieben und die Situation in der Stadt stabil, obwohl es immer wieder zu Grenzverletzungen und Verletzungen und Erschießungen von ZivilistInnen durch türkisches Militär kommt. Schrittweise beginnt ein Wiederaufbau. In Teilen der Stadt wurden Hausruinen und Schutt entfernt. 1500 Wohnungen werden gebaut, immer mehr Flüchtlinge kehren in die Stadt zurück. Die Bevölkerung organisiert sich demokratisch in Kommunen und Stadtteilräten. Für die Wiederaufnahme der Landwirtschaft in der Provinz sind die vom IS hinterlassenen Minen ein Problem.

„Der Widerstand, den die Bevölkerung von Rojava sowie YPG und YPJ gegen die menschenfeindlichen Banden des Islamischen Staates in Kobane geleistet haben und in Rojava noch immer leisten, ist ein kraftvolles Zeichen für die Auseinandersetzung um ein menschenwürdiges Leben und gegen Unterdrückung und Hass. Ohne diesen Widerstand müssten weitere hunderttausende Menschen oder die gesamte Region unter den Gräueltaten und der Diktatur des IS leiden. Um jede und jeden Menschen der für die Freiheit und den Schutz der Bevölkerung starb trauern wir“, kommentiert Britta Eder, Rechtsanwältin und Mitarbeiterin des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko.

„Die EU und die Regierung der Bundesrepublik müssen sich endlich von geostrategischen Motiven in ihrer Politik im Mittleren Osten verabschieden. Dass Angela Merkel vor den Wahlen in der Türkei kritiklos R.T. Erdogan hofierte, hat auch zum positiven Wahlergebnis der AKP beigetragen. In Anbetracht der weiterhin offensichtlichen Zusammenarbeit der Türkei mit dem IS und der Eskalation der Auseinandersetzung mit der kurdischen Bevölkerung und der PKK sowie den Angriffen auf Tal Abyad und Rojava ist das völlig verantwortungslos. Stattdessen muss das Embargo gegen Rojava aufgehoben werden. In Kobane mangelt es an Allem, insbesondere Medikamenten, Infrastruktur, Baumaterial und lebensnotwendiger Infrastruktur. Um eine demokratische Entwicklung der Region zu bewirken sind Druck auf die Türkei und ein konstruktiver Dialog zum Aufbau von Zusammenarbeit mit den Selbstverwaltungsstrukturen von Rojava und deren Anerkennung notwendig. Denn dort leben die unterschiedlichen Bevölkerungs- und Religionsgruppen respektvoll zusammen,“ so Martin Dolzer, Abgeordneter der Hamburgischen Bürgerschaft.

Dieser Beitrag wurde in Erklärungen, Internationalismus, NAV DEM, Rojava/Nordsyrien veröffentlicht und getaggt , . Ein Lesezeichen auf das Permalink. setzen. Sowohl Kommentare als auch Trackbacks sind geschlossen.