Prozess gegen Ali Ö. eröffnet und unterbrochen

Verteidiger beantragen Aufhebung aller Haftbefehle wegen Terrorismus

Am 1. Dezember wurde vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart das Hauptverfahren gegen den kurdischen Aktivisten Ali Ö. eröffnet. Die Anklage wirft ihm vor, sich als Mitglied und PKK-Kader in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129b StGB) seit einigen Jahren in verschiedenen PKK-Gebieten – u. a. in Stuttgart – betätigt zu haben. Oberstaatsanwalt Alexander Hauser verlas an diesem ersten Verhandlungstag die Anklageschrift, in der – wie in allen ähnlichen Verfahren – ausführlich die Geschichte und Struktur der PKK seit ihrer Gründung dargelegt wurden. Dem schloss sich der Katalog der „terroristischen“ Aktivitäten von Ali Ö. an, die u.a. darin bestanden, Demonstrationen organisiert oder an Veranstaltungen, Mahnwachen und „Kader“-Treffen teilgenommen und Spenden gesammelt zu haben.

Weil sich die Besetzung des Senats kurzfristig geändert hatte und die Verteidigung hiervon nicht unterrichtet war, beantragte sie eine Überprüfung der Neubesetzung.

Deshalb wurde der Prozess unterbrochen und wird am kommenden Dienstag, 8. Dezember, um 9.15 Uhr in der Olgastraße 2, Stuttgart, fortgesetzt.

Am gleichen Tag haben die Verteidiger der anderen kurdischen Gefangenen, die des Terrorismus beschuldigt werden, die Aufhebung der Haftbefehle beantragt.

Sie sind – wie der am 28. November in Diyarbakir ermordete Vorsitzende der Rechtsanwaltskammer, Tahir Elçi – der Auffassung, dass es sich bei der PKK keineswegs um eine terroristische Vereinigung handelt. Sie sei es gewesen, die einen Friedensprozess mit der Regierung Erdoǧan eingeleitet habe, um den türkisch-kurdischen Konflikt mit politischen Mitteln zu lösen. Sie habe maßgeblich – gemeinsam mit den Kräften der YPG/YPJ von Rojava – den Widerstand gegen den IS geführt und zehntausenden Yezîdinnen und Yezîden aus Șengal das Leben gerettet.

Außerdem sei es Tatsache, dass die PKK bereits seit Mitte der 1990er Jahre keinen eigenen Staat mehr anstrebe, sondern eine demokratische Selbstverwaltung in den bestehenden Staatsgrenzen. Sowohl die PKK als auch die prokurdische HDP orientieren auf eine säkulare, multireligiöse und multiethnische Gesellschaft, in der insbesondere die Frauen eine herausragende Rolle spielen.

Die Verteidiger wiesen in ihrer Argumentation auch darauf hin, dass das AKP-Regime dazu beigetragen habe, dass sich der IS und weitere salafistische Organisationen unbehelligt vom Territorium der Türkei nach Syrien bewegen können. Während der Staat vom IS Erdöl kaufe und die Terrorgruppen auf diese Weise stärke, gehe er mit staatsterroristischen Mitteln gegen kurdische Städte, die Bevölkerung und die kurdische Freiheitsbewegung vor.

Vor diesem Hintergrund sei es nicht nachvollziehbar, dass Kurdinnen und Kurden in Deutschland als Terroristen strafverfolgt, angeklagt und verurteilt würden und die PKK auf der EU-Terrorliste verzeichnet sei. Damit werde eine friedliche Lösung der kurdischen Frage torpediert.

AZADÎ e.V., Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland, Köln

2. Dezember 2015

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