Hamburg: Prozessbeginn gegen mutmaßlichen Agenten des türkischen Geheimdienstes

Deutschland muss eine klare Position hinsichtlich der geheimdienstlichen Aktivitäten des türkischen Staates gegen kurdische Politiker*innen und Aktivist*innen annehmen

Wir Oppositionelle aus der Türkei und Kurdistan mussten auf Grund von Drohungen, Angriffen, Verfolgung und der Unterdrückungs- und Vernichtungspolitik des türkischen Staates unsere Heimat verlassen und nach Deutschland bzw. Hamburg immigrieren in der Hoffnung, ein neues Leben aufbauen zu können. Dennoch sind wir nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland und Europa der Gefahr der Unterdrückungs- und Vernichtungspolitik des türkischen Staates um die AKP-Diktatur ausgesetzt. Nicht nur wir, Menschen aus Kurdistan und der Türkei, sondern auch Journalist*innen wie z. B. Deniz Yüzel, zahlreiche Menschenrechtsaktivist*innen und sogar deutsche Politiker*innen und ihre Angehörigen sind zur Zielscheibe des Erdogan-Regimes geworden. Die AKP nutzt unter anderem Netzwerke von Agenten innerhalb der EU und Deutschland, um illegalen Tötungspläne zu realisieren.

In der am 7. September beginnenden Verhandlung gegen den türkischen Geheimdienstagenten sollte nicht nur er als einzelne Person, sondern die gesamte AKP-MHP-Regierung aufgrund ihrer organisierten faschistisch-kriminellen Machenschaften im Ausland in der Verhandlung thematisiert und kritisiert werden. Das Verfahren sollte dazu genutzt werden, die Hintergründe sorgfältig aufzudecken und die schmutzigen Politiken und Pläne Erdogans ins Leere laufen lassen zu können.

Der türkische Staat observiert kurdische Organisationen und Oppositionelle in diversen europäischen Staaten in einer ernstzunehmenden, netzwerkartigen und gut organisierten Struktur, die gefährliche Dimensionen angenommen hat, wie die Ermordungen von drei kurdischen Frauen im Jahr 2013 in Paris als eines von vielen Beispielen zeigen. Trotz solchen Auftragsmorden gehen die Geheimdienstaktivitäten des AKP-Regimes weiter, obgleich den französischen, deutschen oder belgischen Zuständigen relevante Informationen vermittelt wurden. So z. B. die Namen wichtiger Akteure der so genannten „Osmanli Ocaklari“ (Osmanische Herde), welche als Handlanger des türkischen Geheimdienstes MIT agiert. So wurde dank öffentlichen Beharrens und Drucks der Mordauftragnehmer und Agent M. F. Sayan seitens der Behörden verhaftet, welchem jetzt der Prozeß gemacht wird. Es ist eine Realität, dass diese Aktivitäten vom türkischen Staatspräsidenten Erdogan höchstpersönlich ins Leben gerufen wurden, um in Europa lebende kurdische und türkische Oppositionelle und politisch aktive Menschen durch Geheimdienstzellen zu observieren, unter Druck zu setzen oder zu ermorden.

Wir haben die Sorge, dass die Verhandlung von M. F. Sayan einen ähnlichen Ausgang wie die von Muhammed Taha Gergerlioglu (ehemaliger Berater Erdogans), der in Koblenz wegen seiner Spionageaktivitäten statt der geforderten fünf Jahre Haft nur mit einer Geldstrafe von 70.000 Euro bestraft und dessen Verhandlung kaum öffentlich wahrgenommen wurde. Solange die Bundestaatsanwaltschaft wie im Falle von Mohammed Taha Gergerlioglu wichtige Hintergrundinformationen der Öffentlichkeit nicht preisgibt, werden sich keine wesentliche Erkenntnisse und positiven Ergebnisse hinsichtlich der kriminellen Tätigkeiten des türkischen Geheimdienstes auf fremden Boden realisieren. Wir rufen daher die deutsche Journalisten*innen und Medienlandschaft, Vertreter*innen der Zivilgesellschaft (NGOs) und Poltiker*innen dazu auf, das Verfahren zu verfolgen und eine den Ernst der Lage entsprechende Haltung einzunehmen, um medienwirksam die öffentliche Wahrnehmung und Sensibilität zu fördern. Denn nicht nur Y. Koc, sondern alle Vertreter*innen kurdischer Vereine und Institutionen und jegliche Opposition aus der Türkei sind das Ziel.

Weiter fordern wir:

  • Dass die Öffentlichkeit über die Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes gegen Oppositionelle in Kenntnis gesetzt wird und alle die in den Todeslisten aufgelisteten Menschen benachrichtigt werden.
  • Dass alle vom türkischen Geheimdienst als Kommandozentralen genutzten Lokalitäten, wie z. B. Konsulate, Botschaften, Reisebüros, Moscheen, Bildungseinrichtungen etc. mittels rechtstaatlicher Maßnahmen und unter rechtstaatlichen Bedingungen beobachtet, untersucht und gegebenenfalls juristisch verfolgt werden.
  • Dass alle Agenten und Spione, die in den jeweiligen Institutionen als „Imame“, „Diplomaten“ oder mittels anderer Positionen verschleiert sind, sofort in die Türkei abgeschoben werden.
  • Dass alle bereits observierten und aufgedeckten Auftragsmörder verhaftet und rechtlich verfolgt werden.
  • Eine Aufklärung der Morde an Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Saylemez 2013 in Paris
  • Dass die Observierung kurdischer und türkischer Oppositionellen und die damit einhergehende Kriminalisierung beendet wird. Diese illegalen Aktivitäten des türkischen Staates und ihre Zusammenarbeit mit den deutschen geheimdienstlichen Institutionen legen das Fundament der darauffolgenden (legalen) Kriminalisierung.
  • Dass der deutsche Staat bzw. die Regierung ihre Verbots- und Verfolgungspolitik gegenüber kurdischen Gruppen beendet und stattdessen eine die kurdische Identität und ihre kollektiven Rechte anerkennende, realpolitische und demokratische Herangehensweise beginnt und auf einer solchen Grundlage Beziehungen zu den hier lebenden Kurd*innen aufbaut. Die politische, rechtliche und moralische Haltung der BRD gegenüber der kurdischen Bevölkerung sollte sich endlich aus den Schatten des türkischen Staates lösen und damit eine nachhaltige Lösung ermöglichen. Ohne die vielfältige Stütze Deutschlands wäre die Türkei niemals in der Lage, so viel Unrecht zu begehen. Ohne die Erlaubnis und enge Zusammenarbeit deutscher und türkischer Behörden, wären die gegenwärtigen kriminellen Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes nicht möglich.

Des Weiteren laden wir zu einer Kundgebung zur Prozesseröffnung gegen M.F. Sayan vor dem OLG Hamburg ein, um nicht nur unsere Forderungen öffentlich zu machen, sondern die Dimensionen der türkisch-deutschen Beziehung offen zu legen und gegen die menschenverachtende Politik der türkischen Regierung sowohl in der Türkei und Kurdistan aber auch innerhalb von Europa zu protestieren.

Kommt alle am 7. September 2017 um 9 Uhr zum OLG Hamburg (Sivekingplatz 1)!

HDK-A, Rojbin e.V. (Rat kurdischer Frauen), KCDK-E, NAV-DEM, ADHF Hamburg, BIR-KAR, Avrupa Karabali Köyü e.V., Kurdistan Volkshaus-Hamburg, AGIF, HDK Hamburg, TATORT Kurdistan, Atif Hamburg, Demokratischer Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Hamburg e.V.

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