Heute sind die Leichname von 27 Personen aus dem Stadtteil Cudi von Cizîr (türk. Cizre) ins dortige Krankenhaus verbracht worden. Es wird angenommen dass die Krankenwagen heute noch einmal nach Cudi gerufen werden, da sich dort noch weitere Leichname befinden.
Seit Tagen war um die Rettung von Verletzten, die in den Kellerräumen zweier Häuser in Cizîr im Stadtteil Cudi belagert wurden, gerungen worden. Nachdem, nach schweren Angriffen des türkischen Militärs, vor Tagen der Kontakt zu den Verletzten abgebrochen war, ist es nun Gewissheit. Heute konnten 27 Leichname geborgen werden, weitere Leichname sind noch vor Ort. Es wird davon ausgegangen, dass sich unter den Ermordeten auch der Kovorsitzende des Volksrates von Cizîr Mehmet Tunç befindet. Tunç hatte die Öffentlichkeit überhaupt erst über das Drama, das sich in Cizîr im Schatten der Ausgangssperre abspielte, informiert und die Öffentlichkeit dazu aufgerufen, sich für die Rettung der Eingeschlossenen und Verletzten einzusetzen. In einem letzten Kontakt per Handy erklärte er: „ Im Moment warten wir auf den Tod. Mit dem Zusammenbrechen des Hauses wird auch die Menschlichkeit unter den Mauern des Kellers begraben. Aber sie sollen nicht vergessen, eines Tages werden sie dafür vor der Geschichte Rechenschaft ablegen müssen.“
Durch den wiederholten Beschuss der Häuser durch das türkische Militär war es zu Bränden gekommen. Wegen der Ausgangssperre und dem Beschuss konnten die im Haus Festsitzenden dies jedoch nicht verlassen. Die örtliche Feuerwehr bot sich an den Brand zu löschen, sie erhielten keine Genehmigung seitens der türkischen Sicherheitskräfte, auch Rettungskräften wurde es immer wieder verwehrt zu den Verletzten vorzudringen. Mehmet Tunç legte allen ans Herz niemanden ohne Obduktion zu beerdigen. Er sagte: „Die AKP verlangt die sofortige Bestattung der Toten um sich rein zu waschen. Und unsere Menschen nehmen es hin. Von jetzt an soll in Cizîr niemand mehr beerdigt werden … Wenn sie die Leichname aus den Kellern holen, dann muss es eine Obduktion geben … 60 Tage schreie ich jetzt schon meine Stimme aus dem Leib. Die Bevölkerung von Cizîr hat alles getan was in ihrer Macht stand. Sie haben ihre eigenen Körper zu Schutzschilden gemacht gegen Panzer, Mörser und Raketen. Daran solle niemand den geringsten Zweifel hegen. Meine Gedanken sind bei jenen, die den Kampf weiter führen werden. Die Bevölkerung von Cizîr hat trotz der Kälte, trotz des Hungers, trotz des Durstes sich nicht gebeugt. Wer bleibt kann mit Stolz unserer gedenken. Ich weiß, sie rücken näher. Die Gefahr, dass sie uns liquidieren, ist spürbar. Gestern kamen sie und riefen ergebt euch, ansonsten verbrennen wir euch alle, ersticken euch da drinnen“. Ich weiß nicht was die AKP-Regierung, der Gouverneur oder das Innenministerium macht, aber ich weiß das hier in Cizîr jetzt barbarisches geschieht. An Cizîr wird ein Massaker verübt.“
Mehmet Tunç befand sich im 2. Haus von dem bekannt wurde, dass in ihm eine erhebliche Gruppe von Menschen, darunter viele Verletzte fest stecken und akut bedroht sind. Durch den Beschuss war es zum Brand in den oberen Stockwerken gekommen. 9 Menschen waren in den Flammen umgekommen. Er erinnerte auch an das Massaker von 1993, das Massaker im Hotel Madimak von Sivas in dem alevitische Intellektuelle und Künstler ermordet worden waren und wies darauf hin, dass noch nicht mal das Massaker aufgeklärt worden ist. „Hier sind 30–40 Menschen in der Gefahr lebendig zu verbrennen. Der Rauch füllt die Innenräume, kriecht durch die Ritzen. Wir benötigen nicht so sehr einen Rettungswagen als vielmehr die Feuerwehr. Wir haben hier Verletzte, denen die Hand abgerissen ist, wir haben hier Kinder, wir haben hier schwer Verletzte. Wenn nicht geholfen wird, werden sie bei lebendigem Leibe verbrennen und es wird zur Schande für die Menschheit, für die UNO. Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel.“
ANF, 09.02.2016, ISKU