AMED – Die freie Journalistin Kumru Başer ist nach Amed (türk. Diyarbakır) gereist, um „Nachrichtenwache“ in Solidarität mit den Journalist*innen zu halten, die trotz des Drucks und der Angriffe des AKP Regimes in Kurdistan arbeiten. Kumru hat ihren Eindruck von den Newroz Feierlichkeiten in Amed durch die Augen von Hanife Ak geschrieben, deren Haus 1992 in Bizmil niedergebrannt wurde.
Die Menschenmenge die dieses Jahr zur großen Newroz Feier strömten war anders, als die Jahre zuvor, ernste und harte Gesichter zogen an mir vorbei. Sie demonstrieren seit Stunden und haben den Festplatz mittlerweile vollkommen gefüllt. Noch gestern war ich mir unsicher, ob in diesem Jahr überhaupt jemand zur Newroz Feier kommen würde. Überall in den sozialen Medien wurde über Selbstmordanschläge bei den Feierlichkeiten spekuliert, daher hätte es auch sein können, das niemand zur Feier kommt.
Einige Menschen haben natürlich auch darauf reagiert, die vielen getöteten Menschen hinterlassen ihre Spuren. Dennoch hat mich und sicherlich auch viele Andere ein solches Newroz überrascht.
Ich habe im Rahmen der „Nachrichtenwache“ mit JINHA gearbeitet.
Ich wollte erfahren, wie die Frauen* sich fühlen und denken, wenn sie zum Newroz Fest gehen. Gerade von Frauen, da man alles besser verstehen kann, wenn man mit Frauen spricht.
Gemeinsam mit Hanife Ak werde ich über das diesjährige Newroz resümieren. Wir verbrachten und sprachen den gesamten Tag miteinander. Sie ist gemeinsam mit ihrer Schwester und Mutter zu der großen Feier gekommen. Zuvor musste sie auf Grund der allgemein schlechten Lage ihre kleine Schneiderei schließen. Ich frage sie, ob sie beunruhigt sei zum großen Newroz Fest zu kommen. Sie erklärte: „Ich würde zum Newroz Fest kommen, selbst wenn ich dabei getötet würde. Sie sagen wir seien Terroristen. Die Welt kennt die Wahrheit, aber sie schweigt, sie hilft und schützt uns nicht“. Dabei wurde sie immer lauter, bis sie mehr oder weniger schrie. Eine Stimme von Millionen, die kein Gehör findet in einem Land, das ihre Identität leugnet und das kurdische Volk vernichten will. Dennoch führt sie fort: „Sie haben in Dêrsim (türk. Dersim), Zilan und sonst wo Massaker begangen. Sie haben Cizîr (türk. Cizre) und Sûr (türk. Sur) zerstört. Das werden wir nie vergessen. Heute zeigen wir, dass wir uns nicht unterkriegen lassen. Wir zeigen es dem Regime. Das Feuer und die Gefühle in uns werden niemals sterben. Und sieh, ich muss es einfach heraus schreien“.
Dann erzählte sie weiter: „Ich habe meinen Bruder und meinen Vater 1992 verloren. Der Feind brannte unser Dorf nieder. Wir stammten aus dem Dorf Göksu im Kreis Bismil. Meinen Vater folterten sie zu Tode. Heute bin ich 40 Jahre alt. Kann ich meinen Vater vergessen? Kann ich meinen Bruder vergessen? Kann ich mein Dorf vergessen?“. Ihre Schwester und ihre Mutter können nicht mehr an sich halten, als Hanife über ihren Vater spricht. Sie sprach dennoch weiter: „Sie können uns alle töten, sie können Giftgas nutzen. Sie müssen sogar alle Kurd*innen vernichten, sonst werden wir unser Recht auf eine Lösung durchsetzen. Mein Name ist Hanife Ak. Ihr könnte diese Namen nutzen wie ihr wollt. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Wir alle werden einmal sterben. Es ist irrelevant ob ich lebe oder nicht, solange ich meine Sprache nicht sprechen und meine Kultur nicht leben kann. Ich will nur Frieden, Frieden und nochmals Frieden. Ich will weder das Guerillakämpfer*innen, noch Soldaten sterben sehen“.
Aber wie?
Hanife antwortete: „Eine Möglichkeit ist die Erklärung der Autonomie, wenn die Menschen dem Staat den Rücken zu wenden und sich gegen seine Angriffe verteidigen. Wenn die Menschen sich selbst verteidigen, hat der Staat keine Chance. Aber dies geht nur gemeinsam, mit der ganzen Gesellschaft. Aber der türkische Teil der Bevölkerung bleibt von den staatlichen Medien und Lügen geblendet. Wenn wir uns jedoch gemeinsam verteidigen, dann können wir alles lösen“.
Ich wollte dann zum Newroz Platz gehen, auf jährlich die große Feier stattfindet. Türkische Einheiten rieten mir: „Passen Sie auf sich auf“. Ich dachte über die Worte eine Zeit lang nach.
Kumru Başer – JINHA, 22.03.2016, ISKU