MANBIJ – Am 5. April 2016 wurde in der Stadt Sirrin im Kanton Kobanê wurde der Politrat von Manbij durch Einwohner der Stadt und der umliegenden Dörfer gegründet, die vor den marodierenden Banden des Islamischen Staates in die freien Gebiete West-Rojavas flüchteten. Der Politrat setzt sich aus Araber*innen, Kurd*innen, Turkmen*innen und Tscherkess*innen zusammen, die nun dabei sind nach über zweieinhalb Jahren in ihre Heimat zurückzukehren.
Die Ko-Vorsitzende Sozdar Xalid stammt aus Manbij und war ebenfalls gezwungen ihre Heimatstadt 2013 zu verlassen, um den Massakern durch die islamistischen Banden von al-Nusra und Co zu entgehen. Xalid floh damals nach Bakur (Nordkurdistan/Osttürkei), kam jedoch bereits ein Jahr später zurück, vorerst nach Kobanê.
Wie, warum und aus welchem Umstand heraus wurde der Politrat von Manbij gegründet?
Zunächst wurde der Rat auf Wunsch und Bedarf der Bevölkerung von Manbij heraus gegründet. Zuvor konstituierte sich bereits der Militärrat, um der Notwendigkeit nach Schutz und Sicherheit nachzukommen. Danach wurde dann am 5. April der Politrat im Kanton Kobanê, also quasi im Exil gegründet.
Die vergangenen Jahre zeugen von totalem Chaos, durchdachter Brutalität und organisiertem Widerstand, in genau dieser Zeit entstand auch dieser Rat. Viele Menschen in und um Manbij durchlebten Grausames während sie unter der Besatzung von Manbij gefangen war, die die fliehen konnten konnten über zweieinhalb Jahre nicht zurück in ihre Heimat. Der Rat gründete sich um die Bedürfnisse beider Parteien und unter Einbeziehung sämtlicher emigrierten Bevölkerungsgruppen, Araber*innen, Kurd*innen, Turkmen*innen und Tscherkess*innen. Alle Menschen und Gruppen die Manbij repräsentieren sind Teil des Politrats.
Als der „Arabische Frühling“ begann hatte noch das Assad Regime die Kontrolle über Manbij. Später war es das Bündnis der Freie Syrische Armee, das 77. Militärbataillon formierte sich hier, übernahm die Kontrolle und organisierte auf Basis der entstandenen Machtposition ein islamistisches Regime. Die massive Übermacht der Besatzer machte die Bewohner*innen Manbij zu Unterdrückten. Als nächstes nutzte al-Nusra das bestehende Chaos und übernahm die Macht in Manbij. Darauf folgte der IS, der die Stadt für die letzten zweieinhalb Jahre unter seiner Gewaltherrschaft hielt. Ob Kinder oder Alte, alle litten unter der Grausamkeit des IS Regimes. Die Besatzer übernahmen die Kontrolle über sämtliche Bereiche der Gesellschaft und setzten jedewede vorstellbaren und unvorstellbaren Grausamkeiten durch, ob einem Kind die Hände abgehackt, eine Frau gesteinigt oder sie gewaltsam zum tragen der schwarzen Vollverschleierung gezwungen wurden.
Die Befreiung Manbij’s wurde zum Thema spätestens seit der Besatzung durch den IS. Es kamen Diskussionen auf, wie das soziale Leben in und um Manbij aussehen kann, nachdem die militärische Befreiung erfolgreich ist, der Bedarf eines politischen Rates entstand.
Du warst nun bereits in den befreiten Gebieten, was brauchen die Menschen?
Wir waren gezwungen den Politrat in Sirrin zu gründen, also außerhalb von Manbij, quasi im Exil. Dennoch waren wir zu jeder Zeit mit Manbij verbunden und sobald die ersten Gebiete durch die Operation befreit waren, sind wir dort hin gefahren. Wir begannen sofort damit die Bedürfnisse der Menschen in Erfahrung zu bringen und nach Möglichkeit zu befriedigen. Wir unterstützen die Menschen mit dem Nötigsten, wie Essen und Medikamente. Der Kanton Kobanê, der eigentlich selber jede Hilfe benötigt, half uns dabei unseren Menschen zu helfen. Das was die Menschen hier am nötigsten brauchen ist Brot, danach kommt Treibstoff für Fahrzeuge und Stromgeneratoren.
Du hast nun bereits etwas über eure praktische Arbeit vor Ort berichtet und die Menschen kommen auch in euer Zentrum, um mit euch zu sprechen, wie stehen sie zu der militärischen Operation? Begrüßen sie sie? Wie ist ihre Meinung? Wie sind die Bedingungen der Frauen?
Wir waren überrascht, wir haben nicht mit einem so enormen Interesse für uns gerechnet. Bis auf wenige Personen zeigt der Großteil der Menschen ein reges Interesse an unserer Arbeit. Die Konstituierung von Rätestrukturen in den befreiten Dörfer entwickelt sich rapide. Die Menschen haben ein enormes und verständliches Interesse sich selber wehren und verteidigen zu können, sie wollen Teil des bewaffneten Kampfes gegen den IS werden.
Wir verichten unsere Arbeit mitten unter den Menschen und sie melden uns eine große Freude über die Operation und Befreiung Manbij’s zurück. Viele weinen vor Freude. Viele berichten, dass sie seit Beginn der Operation Tag für Tag auf das Anrücken der befreienden Kräfte warten. Sie sehen diese Kräfte als ihre eigenen und sagen, dass sie die Gräuel des IS durch die Freude über ihre Freiheit vergessen können.
Frauen sind diejenigen, die am meisten unter den Grausamkeiten des IS leiden mussten. Von Hausarresten, über Steinigungen, bis hin zur gewaltsamen Ganzkörperverschleierung, sie erlitten am meisten. Dies erklärt auch, warum Frauen diejenigen sind, die die Befreiung mit der größten Begeisterung und Freude empfangen. In manchen Dörfern, die wir nach ihrer Befreiung besuchten, rissen sich junge Frauen die Vollverschleierung vom Körper und sagten, dass sie es nicht glauben können endlich frei zu sein.
Was sind nun die Ziele des Rates?
Unser Hauptziel ist die Sicherung der Selbstbestimmung der Menschen in Manbij und den umliegenden Dörfern. Wir planen Schulen, Volks- und Frauenräte und sind dabei Komitees für die Bereiche Gesundheit und Wirtschaft zu formen. Dieser Rat wird der Beginn eines neues Lebens für unsere Heimat sein. Manbij ist eine historische Stadt in der Menschen aus verschiedensten Nation und verschiedener Völker und Kulturen leben. Für uns ist ein essenzieller Bestandteil der Selbstverwaltung durch die Bevölkerung, dass die Menschen gleichberechtigt und geschwisterlich zusammenleben.
Sinan Deniz – ANF, 20.06.2016, ISKU