Die irakische Armee und kurdische Peshmerga machten gegen die meisten Erwartungen bereits in den ersten Tagen der Operation zur Befreiung Mossuls vom sogenannten Islamischen Staat (IS) große Fortschritte. Jedoch bereits vor den US-Wahlen kam der Vormarsch ins stocken und gegen Abschluss der Wahlen fast vollkommen zum erliegen. Der Hauptgrund dafür ist das Verharren auf die Position der zukünftigen republikanischen US-Regierung und die damit verbundene weitere Planung der lokalen Akteure in Başûr (Südkurdistan/Nordirak) und dem Irak. Der zeitnahe Regierungswechsel hat ein Machtvakuum erzeugt, das die agierenden Kräfte der Operation zum Stillstand gebracht hat.
Hinzu kommen die Kräfte, die unter Obama bisher nicht in die Operation zur Befreiung Mossuls mit einbezogen wurden, die Türkei ist dabei die größte Kraft. Der türkische Staat zielt darauf ab, wieder eine zentrale Rolle in den Angelegenheiten des Iraks und Mossuls zu spielen. Dazu versucht der türkische Staat den Graben, welcher auf Druck der irakischen und US-amerikanischen Regierung entstanden ist, zur südkurdischen PDK/KDP (Demokratische Partei Kurdistans) unter Barzanî zu schließen. Daneben instrumentalisiert der türkische Staat die Präsenz der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) in Südkurdistan und argumentiert seine militärische Präsenz innerhalb des irakischen Hoheitsgebietes mit dem „Kampf gegen den Terror“. Beide Bestrebungen sind für die türkische Regierung wichtig und miteinander verbunden.
Aktuell sind hunderte Panzer und gepanzerte Fahrzeuge, sowie tausende Soldaten der türkischen Armee im Stützpunkt Hac Billeting, ca. 5km vom Grenzübergang Khabour auf südkurdischem Gebiet stationiert. Der türkische Staat will in Südkurdistan und wenn möglich auch in Mossul eindringen und nutzt dazu die Präsenz der PKK als Argument. Zudem ließen mehrere Medienberichte verlauten, dass die geplante grenzüberschreitende Operation auf mehrere Jahre angesetzt ist. Bisher hat der türkische Staat bereits 29 grenzüberschreitende Operationen gegen die kurdische Freiheitsbewegung unternommen, jedoch wurde nun das erste Mal durch die AKP-Regierung eine nationale Mobilmachung erklärt. Es ist historisch bekannt, dass eine nationale Mobilmachung ausgerufen wird, wenn ein Staat in einen Krieg gegen einen anderen Staat eintritt. Ebenso wenn sich eine Armee bereits im Krieg befindet. In der langen Geschichte des bewaffneten Kampfes zwischen der kurdischen Guerilla und der türkischen Armee hat die Armee bisher immer dafür gesorgt keine Diskussion über oder ein Anzeichen von Schwäche zu thematisieren, mit der Mobilmachung tut sie dies jedoch.
Nach allen Abwägungen sieht es ganz danach aus, als bereite sich der türkische Staat auf einen Einmarsch in den Irak vor. Er versucht eine Legitimation durch den allgemeinen Diskurs über den „Kampf gegen den Terror“ zu schaffen. Der praktische militärische Schritt dieses Plans ist der Vormarsch auf Mossul, sowie der Einmarsch ins êzîdische Şingal über Tel Afar oder aber in verschiedene Regionen Südkurdistans unter der Behauptung Stützpunkte der PKK im Qandilgebirge anzugreifen. Unabhängig der genauen Positionen ist das Bestreben letzten Endes eine Sicherheitszone gegen die PKK in Südkurdistan zu errichten. Faktisch bedeutet dies, dass der türkische Staat ca. ein Drittel der Region besetzen muss. Wenn auch nur einer dieser beiden Pläne realisiert werden kann, bedeutet dies, dass die türkische Armee eine Besatzungsmacht sowohl im Irak, als auch in der Autonomen Region Kurdistan (KRG) wird. Um dies jedoch zu vermeiden, versucht der türkische Staat die PDK/KDP zu einem politischen Deckmantel zu formen, der ihm als Legitimation dient. International nutzt die Türkei ihre NATO-Mitgliedschaft und die Übergangsphase der US-Regierung um ihre Ziele zu sichern. Angesichts dessen lässt sich die nationale Mobilmachung als präventive Maßnahme verstehen, um die zu erwartenden Verluste im Militär abzufangen.
Dies ist das Grundgerüst an dem der türkische Staat und seine Armee zur Zeit arbeiten. Hinzu hat der türkische Staat seine Militärpräsenz in Südkurdistan aktuell noch einmal verstärkt und noch breiter verteilt. Dies geschah in Absprache mit der PDK/KDP, andernfalls könnte die türkische Armee nicht einfach in die von der PDK/KDP kontrollierten Gebiete einmarschieren und sie durchqueren. Zudem hat die PDK/KDP trotz viele Berichte über die türkische Präsenz in der Region bisher keine einzige positionierende Stellungnahme abgegeben.
Würde die PDK/KDP den türkischen Staat in seinen Plänen und Zielen unterstützen? Unter normalen Umständen würde die Unterstützung eines Plans zur Besatzung durch die türkische Armee, geschweige den der Verrat an der PKK, das Ende der PDK/KDP in Südkurdistan bedeuten. Der Verrat wäre ihr Todesstoß. Die PDK/KDP wird nur von wenigen Menschen unterstützt und getragen, sie hat nur eine geringe Anbindung ans Volk. Im Gegensatz zur PKK, die in jüngster Zeit vor allem durch den erfolgreichen Kampf gegen den IS an Popularität unter den Menschen gewann. Hinzu kommt, dass gerade die PDK/KDP eine große Mitschuld für die aktuelle Finanzkrise in den kurdischen Gebieten trägt und somit allein ihre militärische Macht sie am leben erhält. Die militärische Allianz zwischen dem türkischen Staat und PDK/KDP gegen die PKK kann jedoch ebenso nach Hinten und somit gegen Massoud Barzanîs geführte PDK/KDP-Regierung losgehen.
Gleichzeitig scheint es jedoch sehr unwahrscheinlich, dass die PDK/KDP von diesem Spiel mit dem Feuer, der Allianz mit dem türkischen Staat, Abstand nehmen wird. Ebenso wie die türkische AKP spricht die PDK/KDP jegliche Schuld der PKK zu. Es geht soweit, dass jedwede Krise in der Autonomen Region Kurdistan als ein Angriff durch die PKK gegen die PDK/KDP eingestuft wird. Die Präsenz der PKK wird auf sämtlichen Ebenen als existenzielle Bedrohung wahrgenommen. Auch dies ist ein Grund, warum die PDK/KDP an den Plänen des türkischen Staates nicht unbeteiligt bleiben kann und will. Auch wenn es irrational erscheint solche Pläne öffentlich zu unterstützen. Letztlich ist es wohl sehr wahrscheinlich, dass die PDK/KDP mit dem türkischen Staat einen Pakt schließen und den Versuch eines Einmarschs in Südkurdistan und den Irak auf hinterhältigste Weise unterstützen wird.
Niha Kaya – Yeni Özgür Politika, 18. November 2016, ISKU