Nun wurde auch Ahmet Türk im Rahmen der Verhaftungswelle in der Türkei verhaftet. Für Ahmet Türk ist das Gefängnis die zweite Adresse, war er doch sein Leben lang im Gefängnis oder im Parlament zu finden. Nachdem er vor einigen Tagen als Bürgermeister von Mêrdîn (Mardin) durch das Innenministerium seines Amtes enthoben wurde und ein Zwangsverwalter für das Rathaus eingesetzt wurde, wurde er am 21.11.2016 im Rahmen einer Verhaftungswelle gegen die Kobürgermeister und Mitglieder des Bezirksrats im Landkreis Artklu in der Provinz Mêrdîn verhaftet. Auch die beiden Kobürgermeister des Ortes Emin Irmak und Leyla Sevinç sind verhaftet worden. Im Rahmen dieser Repressionswelle wurden 30 Personen verhaftet, darunter vier Anwälte. Bei den meisten in Haft genommenen handelt es sich um Mitglieder der Bezirksversammlung des Ortes und um ihre Anwälte. Es wurde vom Staatsanwalt eine 5-tägiges Anwälte-Konsultationsverbot verhängt.
Die Verhaftung ist für Ahmet Türk nichts Neues. Sein Leben war bestimmt davon entweder im Parlament zu sein oder von der Obrigkeit ins Gefängnis geworfen zu werden. Ahmet Türk kam am 2. Juni 1942 in Mêrdîn zur Welt. Nachdem sein großer Bruder ermordet worden war, wandte er sich der Politik zu. 1980 wurde er im Rahmen des Militärputsches vom 12. September verhaftet, er war Gefangener im berüchtigten Foltergefängnis von Diyarbakir. Später war er einer der Gründer der Halkın Emek Partisi (HEP). 1991 wurden bei den Parlamentswahlen die Kandidaten der HEP auf der Liste der SHP ins Parlament gewählt. Nachdem 7 Abgeordnete der SHP, darunter Ahmet Türk, an einer Kurdistan-Konferenz in Paris teilnahmen, wurden sie aus der SHP ausgeschlossen, später wurde die HEP am 14. Juni 1993 durch das Verfassungsgericht verboten. So wechselten Ahmet Türk und seine Kollegen zur DEP. Als der türkische Staatspräsident Turgut Özal nach einer politischen Lösung des Kurden-Problems suchte war es Ahmet Türk, der von ihm beauftragt wurde die Botschaft zu Abdullah Öcalan in die Bekaa Ebene zu bringen. Als Öcalan im April 1993 einen unbegrenzten Waffenstillstand verkündete war er vor Ort. Mit dem Tod von Özal und dem Tod von 33 türkischen Soldaten fand das Bemühen um eine politische Lösung jedoch ein vorzeitiges Ende. Am 2. März 1994 wurde den Abgeordneten der DEP die Immunität entzogen und sie wurden verhaftet. Ahmet Türk wurde zu 2 Jahren Haft verurteilt, Leyla Zana, Hatip Dicle, Orhan Doğan und Selim Sadak konnten erst am 21. April 2014 nach mehr als 10 Jahren durch Beschluss des Kassationsgerichtshof wieder die Gefängnismauern verlassen. Ahmet Türk setzte sein politisches Leben in der Halkın Demokrasi Partisi (HADEP) und der Demokratik Halk Partisi (DEHAP) fort. Beiden Parteien gelang es jedoch nicht die in der Türkei geltende extrem hohe Wahlhürde von 10 % zu nehmen. Nach ein paar Jahren Pause kehrte Ahmet Türk mit der Gründung der DTP (Demokratik Toplum Partisi) 2005 ins politische Leben zurück. Er wurde zusammen mit Aysel Tuğluk zum Kovorsitzenden der DTP gewählt. 2007 nahm die DTP an den Parlamentswahlen mit unabhängigen Kandidaten teil. Auf diese Art gelang es ihnen 21 Abgeordnete ins Parlament zu bekommen, die Anzahl ihrer Abgeordneten reichten sogar zur Bildung einer Fraktion. Doch als Ahmet Türk am 21. Februar 2009, dem Tag der Muttersprache, 18 Jahre nachdem Leyla Zana ihren Amtseid im türkischen Parlament auf kurdisch geleistet hatte, seine Rede auf Kurdisch hielt, da wurde erneut die live Übertragung der Rede aus dem Parlament im türkischen Fernsehen unterbrochen. Auch der DTP ereilte das gleiche Schicksal wie ihren Vorgängern; sie wurde 2009 verboten. 35 ihrer PolitikerInnen wurden mit einem 5-jähigem Politikverbot belegt, ihren Kovorsitzenden, Ahmet Türk und Aysel Tuğluk, wurde der Abgeordneten-Status aberkannt. Die erneute Suche nach einer politischen Lösung begann am 3. Januar 2013 mit einer Fahrt von Ahmet Türk und Ayla Akat Ata nach İmralı zu Abdullah Öcalan. 20 Jahre nach ihrem ersten Treffen in der Bekaa Ebene und der Ausrufung des unbegrenzten Waffenstillstands durch die PKK kamen sie erneut zusammen auf der Suche nach einer politischen Lösung der Kurdenfrage. Als Ahmet Türk sich später kritisch über den damaligen Ministerpräsidenten Tayyip Erdoğan äußerte war es vorbei für Ahmet Türk mit weiteren Fahrten nach İmralı, doch eine Tür schien aufgestoßen, die Tür für eine politische Lösung. Als dann am 30. März 2014 Lokalwahlen anstanden trat Ahmet Türk zugunsten der Wahl zum Bürgermeister von Mêrdîn zurück von seinem Amt als Parlamentarier. Im letzten Jahr wurde im Januar dann auch gegen ihn im Rahmen der KCK-Operationen das Ermittlungsverfahren eingeleitet. Nachdem Tayyip Erdoğan im letzten Jahr den Verhandlungstisch umgestoßen hatte setzte eine Verfolgung ungeahnten Ausmaßes gegen die BürgermeisterInnen, die meisten sind in der DBP organisiert, der östlichen Landesteile der Türkei ein. Kurz nach Ausrufung des Notstands und des Regierens mittels Notstandsdekret wurden vieler Orts dann die kurdischen Kobürgermeister ihrer Ämter enthoben und statt ihrer Zwangsverwalter in die Rathäuser bestellt. Am 17. November ereilte Ahmet Türk das gleiche Schicksal. Er wurde seines Amtes enthoben, ein Zwangsverwalter eingesetzt. Im Alter von 75 Jahren ist es wieder ein Despot, der ihn im Gefängnis sehen will.
Cumhurriyet, 21.11.2016, ISKU