Bericht über den I. Internationalistischen Marsch für die Freiheit Abdullah Öcalans
von Konstantin Weinert
Vom 01. bis zum 11. Februar 2017 fand der I. Internationalistische Marsch für die Freiheit Abdullah Öcalans statt. Für die Internationalist*innen aus 19 Nationen ging es von Luxemburg nach Straßburg über rund 265km.
Die Langen Märsche der kurdischen Freiheitsbewegung existieren seit etlichen Jahren. Seit Ende der 1990er Jahre ist neben einem politischen Status für Kurdistan vor allem der internationale Komplott gegen Abdullah Öcalan und die anschließende Verschleppung des PKK-Vorsitzenden im Jahr 1999 ausschlaggebender Anlass. Möglich machte die Inhaftierung Öcalans auf der Gefängnisinsel İmralı, auf der er lange Jahre der einzige Gefangene war, eine weltweite geheimdienstliche Zusammenarbeit, an der maßgeblich der US-Geheimdienst CIA sowie der israelische Geheimdienst Mossad beteiligt waren. Öcalan saß immer wieder für mehrere Jahre in totaler Isolationshaft, eine Praxis, die auch gegen Revolutionär*innen wie Ulrike Meinhof eingesetzt und hier als „weiße Folter“ bekannt wurden. Seit dem 5. April 2015 ist Öcalan bis auf einen Besuchstermin mit seinem Bruder nach dem Putschversuch ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt.
Mit dem nun immer weiter erstarkenden Faschismus der AKP-Regierung unter Präsident Erdoğan und der womöglich baldigen Präsidialherrschaft unter Hilfenahme der faschistischen MHP schwebt auch die Gefahr der Todesstrafe wieder akuter über Abdullah Öcalans Leben.
Diese Hintergründe geben schon Grund genug, die Langen Märsche als wichtigen Teil internationaler Solidarität und gemeinsamer Kämpfe zu begreifen. Schon immer beteiligten sich Internationalist*innen an den kurdischen Märschen, dieses Jahr fand jedoch zum ersten Mal ein Marsch vorrangig aus Internationalist*innen statt. An dem elftägigen Marsch beteiligten sich Menschen aus 19 Nationen, darunter Argentinien, Indien, dem Sudan, Portugal, dem Baskenland, Katalonien, Aragon, Spanien, Frankreich, Italien, der Schweiz, Deutschland, Schweden, Großbritannien, Belgien, Luxemburg, der Türkei, Kurdistan und dem Iran. Die rund 100 Teilnehmer*innen legten während dieser Zeit eine Strecke von gut 265km zurück.
Vereinendes Moment für alle war die Solidarität mit der kurdischen Freiheitsbewegung, den Ideen Abdullah Öcalans und der realen Umsetzung des Demokratischen Konföderalismus in Rojava und Bakûr. So erklärte Huey, ein Aktivist mit Wurzeln im Sudan: „Ich bin hier, um Solidarität mit dem kurdischen Freiheitskampf zu zeigen und eine Brücke zum schwarzen Freiheitskampf zu schlagen“. Doch auch die ganz praktischen Erfahrungen verschafften tiefgreifende Gedanken und Erkenntnisse, so wie bei der kollektiven Verteidigung gegen faschistische Angriffe.
Während des gesamten Marsches kam es zu kleineren Provokationen durch türkische Nationalisten und Faschisten, die schließlich in aktiven Angriffsversuchen endeten. Angeheizt wurde diese Aggression durch eine Hetzkampagne der AKP-Lobbyorganisation UETD, die offen zu solchen Angriffen aufrief. Die französischen Staatskräfte sahen sich nicht befähigt, gegen Provokationen und Angriffe durchzugreifen, sodass die Aktivist*innen schließlich einen breiten Selbstschutz organisierten und erfolgreich die faschistischen Aktionen zurückschlagen konnten. Huey sagte dazu: „Es war einfach unglaublich, als ein patriotischer Kurde mit Pfefferspray in den Augen zu mir kam, nachdem er uns vor türkischen Nationalisten beschützt hatte. Ich wollte mich bei ihm bedanken, er winkte ab und nannte mich Bruder. Ich hatte diesen Mann noch nie zuvor gesehen, dennoch kamen diese patriotischen Kurden und waren bereit ihr Sicherheit für unsere zu riskieren.“
Während der Zeit gründeten die Aktivist*innen Kommunen, in denen sie sich organisierten, besprachen und Entscheidungen fällten. Die Kommunen bekamen in kämpferischem Gedenken an gefallene Revolutionär*innen Namen wie Rosa Luxemburg oder Halim Dener. An mehreren Abenden fanden Seminare zu Bausteinen der Theorie Abdullah Öcalans statt, so wurden Themen wie Wahrheitsregime, Jineolojî, Demokratischer Konföderalismus und Internationalismus näher gebracht und aus Blickwinkel verschiedener Kulturen und Perspektiven diskutiert, dabei herrschte vor allem die Einsicht, die Kämpfe als einen gemeinsamen Kampf verstehen und zusammenführen zu müssen. Denn für alle Aktivist*innen stellt der Demokratische Konföderalismus keine reine Projektionsfläche dar, die von uns einfach nur Solidarität bedarf, sondern eine Perspektive für die eigenen Träume, Hoffnungen und Kämpfe. Diese Einsicht teilten die Internationalist*innen und verbreiteten dieses Gefühl auch unter den kurdischen Freund*innen, so erklärte die kurdische Aktivistin Dilan: „Es ist einfach nur ein spannendes Gefühl mit so vielen Internationalist*innen für die Freiheit von Serok Apo zu demonstrieren. Dadurch, dass so viele Internationalist*innen aus vielen verschiedenen Ländern mit verschiedenen Sprachen demonstrieren, treten natürlich auch Kommunikationsschwierigkeiten auf. Aber die Kunst besteht halt auch darin, genau diese Probleme gemeinsam zu überwinden. Wenn man es so sagen mag, dann haben wir in den letzten 11 Tagen, die wir hinter uns gelassen haben, eigentlich auch eine Miniaturansicht des Demokratischen Konföderalismus erprobt, und es hat auch funktioniert. Der Widerstand in Rojava und das Modell des Demokratischen Konföderalismus hat nicht nur Kurdinnen und Kurden Hoffnung auf ein besseres und gerechteres, selbstbestimmteres Leben gegeben. Es ist bewundernswert zu beobachten, dass immer mehr Menschen sich von der kurdischen Freiheitsbewegung inspirieren lassen und sich mit dieser identifizieren. Ich finde auch, dass dieser lange Marsch vor allem verdeutlicht hat, dass es nicht nur der Kampf der Kurdinnen und Kurden ist, sondern ein Kampf aller Menschen, die an menschliche und demokratische Werte glauben“.
Am 11.02. erreichte der I. Internationalistische Marsch für die Freiheit Abdullah Öcalans den Auftaktort für die jährlich stattfindende Demonstration gegen den internationalen Komplott. Tausende kurdische und internationalistische Aktivist*innen begrüßten den Marsch, welcher darauf hin die Spitze des Demonstrationszuges übernahm.
Der I. Internationalistische Marsch kann als großer Erfolg bewertet werden. Es kamen Aktivist*innen aus 19 Nationen, um gemeinsam über die Ideen Öcalans und der kurdischen Freiheitsbewegung zu diskutieren, sich auszutauschen und zu vernetzen. Während dieser Zeit organisierten sich die Aktivist*innen zusehends selbst und schufen den Demokratischen Konföderalismus ganz praktisch in ihren Reihen. Der Internationalistische Marsch erhielt große Aufmerksamkeit und schuf so Hoffnung, Mut und Kraft nicht nur in den kurdischen Reihen. Diese Ausstrahlung war es letztlich, die dem türkischen Staat so viel Angst machte, dass er eine massive Hetzkampagne führte, die schließlich in aktive Angriffe gegen den Marsch endeten. Doch selbst hier zeigte sich, dass die kollektive Organisierung und das Bewusstsein für den Demokratischen Konföderalismus zu einem erfolgreichen Selbstschutz führten.
Zum Abschied versprachen die Aktivist*innen sich auf der Konferenz „Die kapitalistische Moderne herausfordern III“ in Hamburg vom 14.–16. April, sowie bei den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg vom 03.–08. Juli wiederzusehen und dort die Erfahrungen und Vernetzungen zu vertiefen.