Der Akademiker und ehemalige Pentagon-Berater für Iran und Irak, Michael Rubin, sprach mit ANF über das Referendum in der Türkei am 16. April, die kurdische Frage und die Regierung Erdoğan.
Rubin erklärte, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sehr verärgert sei, über seinen Zögling Reza Zarrab, der vergangenes Jahr in Miami, Florida durch die US-Behörden verhaftet wurde. Zarrab gilt als wichtige Schlüsselfigur im Korruptionsskandal der Türkei im Jahr 2013, in den die Familie Erdoğan direkt verwickelt ist. Zudem werfen die US-Behörden ihm vor, das Iran-Embargo gebrochen, Geldwäsche und Bankbetrug begangen zu haben. Zarrab gab gegenüber den US-Behörden Preis, dass die Familie Erdoğan unzählige Bankkonten in Europa und Russland besitzt.
Rubin betonte zudem, dass es ohne Öcalan und die PKK keine Lösung geben wird.
Sie verfolgen die Entwicklungen im Mittleren Osten und teilweise auch in der Türkei. Auch das Referendum in der Türkei am 16. April ist Ihnen bekannt. In welche Richtung bewegt sich die Türkei?
Die Türkei polarisiert sich auf gefährliche Weise. Aus der türkisch-politischen Geschichte wissen wir, dass solch eine Polarisierung schnell zur Gewalt führt. Die Situation jetzt vor dem Referendum ist jedoch eine andere. Die Tatsache, dass so viele, die Erdoğan entgegenstehen, im Gefängnis sind oder fürchten, dass Erdoğan die Möglichkeiten des Staates nutzen wird, um ihre Familien zu bestrafen oder sie finanziell zu ruinieren, bedeutet, dass sie das Ergebnis des Referendums nie akzeptieren werden, die Spannungen werden andauern und zunehmen. Kurz gesagt, die Türkei steuert auf eine lange Phase von innerstaatlichen Konflikten, wenn nicht auf einen Bürgerkrieg zu.
In einem neueren Tweet haben Sie geschrieben: „Könnte es sein, dass Erdoğan denkt, wir wüssten nicht, wo er das gestohlene Geld versteckt?“ Wo denken Sie, hat er das Geld versteckt?
Es gibt mehrere Bankkonten in Europa und Russland die Erdoğan und seiner Familie gehören. Diese Frage ist einer der Hauptgründe, weswegen Erdoğan über die Verhaftung Reza Zarrabs und seine Aussagen gegenüber den US-Behörden so aufgebracht ist.
Sie haben also diese Information, wissen die US-Behörden oder die Europäische Union von diesem Fall?
Der Korruptionsskandal um Erdoğan ist öffentlich bekannt. Es ist anzunehmen, dass auch die Geheimdienste der jeweiligen Ländern wissen, wo sich dieses Geld befindet. Vladimir Putin weiß es. Der Grund warum Erdoğan so aufgebracht ist über den Fall Zarrab, ist, dass diese Informationen in den Händen der Juristik, durch einen Prozess, eine noch breitere Öffentlichkeit erreichen wird.
Wie sehen die herrschenden imperialistischen Kräfte Erdoğan?
Er ist ein Witz, wenn auch ein gefährlicher. Er wurde zu Muammar Qadhafi.
Aktuell sehen die Chancen, dass das Referendum am 16. April mit einem „Ja“ ausgeht, gering aus. Sollte dies dennoch eintreten, würde dies bedeuten, dass Erdoğan sein Ziel erreicht hat und seine Macht legitimiert ist?
Die Umfragen zeichnen die Niederlage Erdoğans ab, gehen dabei aber davon aus, dass er nicht betrügen wird. Die Demokratie in der Türkei ist tot, sie wurde auf dem Altar von Erdoğans Ego geopfert.
Selbst wenn das Referendum mit einem „Nein“ ausgeht, kann Erdoğan zu regulären Wahlen zurückkehren und mit Hilfe einer umfassenden Mehrheit im Parlament die Verfassung dennoch ändern.
Welchen Einfluss hat ihrer Meinung nach der Ausgang des Referendums auf die Probleme in der Türkei und die türkischen Außenbeziehungen?
Der türkische Nationalismus und Erdoğans fundamentalistische Rhetorik sind kein Ersatz für die Realität. Niemand kann einfach so eine erfolgreiche und kraftvolle Türkei liefern. Internationale Banken haben die Türkei in ihrer Kreditwürdigkeit massiv heruntergestuft. Wenn nun das Geld aus Katar ausbleibt, wird die Türkei ich Rechnung bekommen.
Wie sehen Sie die türkische Politik auf die kurdische Frage, die sich vor allem durch Krieg und Gewalt ausdrückt?
Erdoğan hat durch die Verleumdungspolitik Abdullah Öcalan zur Stimme der Kurd*innen in der Türkei gemacht. Nun kann es ohne Öcalan und die PKK keine Lösung mehr geben. Erdoğan hat die Kurd*innen immer dann umgarnt, wenn er ihre Stimme brauchte, wendete sich danach jedoch wieder ab. Die Kurd*innen gaben Erdoğan mehrmals die Chance und ihr Vertrauen, doch nun hat jede*r den Zynismus des türkische Präsidenten erkannt.
Was ist ihre kurz- und mittelfristige Perspektive auf die kurdische Frage angesichts der Entwicklungen in der Region?
Erdoğans Politik wird zur anhaltenden Spaltung der Türkei führen. Ob es eine Spaltung durch innere Grenzen oder aber die tatsächliche Abspaltung eines Teils des Landes wird, bleibt abzuwarten.
ANF, 29. März 2017, ISKU