Kurdistan Nationalkongress (KNK), 06.12.2015
Mit dem Eindringen in Südkurdistan (Nordirak) und der Stationierung nicht erwünschter Truppen in der Provinz Mossul, ohne jegliche Autorisierung des kurdischen Parlaments oder der irakischen Bundesbehörden, begeht die Türkei ein weiteres Verbrechen gegen das kurdische Volk und die Völker des Mittleren Ostens. Die türkischen Streitkräfte umfassen etwa ein Panzerregiment ausgestattet mit zahlreichen Panzern und Artillerie. Schwere Waffen und militärische Logistik wurden in die Region Bashiqa im Nordosten von Mosul verlegt, das als wichtige Bastion des „Islamischen Staates“ gilt.
Seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges vor über vier Jahren spielt die Türkei ein falsches, von Doppelmoral und Heuchelei gekennzeichnetes, Spiel. Der türkische Staatspräsident Erdogan, zuvor bester Freund des jungen Bashar Al Assad, wechselte quasi über Nacht seinen Kurs, um fortan auf dessen Beseitigung aus dem Amt zu bestehen. Die AKP erkannte unversehens im Sturz des syrischen Regimes, einer von Nepotismus und einem Einparteiensystem gekennzeichneten Diktatur, eine Gelegenheit das Osmanische Reich wieder zum Leben zu erwecken. Das Erdogan-Projekt ist weit davon entfernt, das syrische Volk befreien zu wollen, vielmehr ist es darauf ausgelegt, nicht nur dem syrischen Volk sondern dem gesamten Mittleren Osten eine türkische Hegemonie sunnitischer Prägung aufzuzwingen. Die Türkei hat angefangen eifrig, ambitioniert und bedauerlicherweise mit dem Segen des Westens, die reaktionärsten und barbarischsten Islamisten zu versammeln, zu organisieren und sie mit hochentwickelten Waffen auszustatten. Der IS wurde faktisch unter diesen politischen Rahmenbedingungen geboren.
Die Türkei mag viele Absichten verfolgen, aber ihr oberstes Ziel ist es weitere Teile Kurdistans außerhalb der Türkei zu besetzen und die kurdische Befreiungsbewegung für weitere Jahre zu unterdrücken. Weiteres Hauptziel ist es, nachdem der Zugang zu Kurdistans Reichtum – insbesondere Öl, Gas und Trinkwasser – gesichert wurde, das Osmanische Reich wiederzubeleben.
Die Welt sollte sich daran erinnern, wie Erdogan in einer Rede am 7. Oktober 2014 erklärte, dass die Stadt Kobanê fallen würde und gelobte, den kurdischen Geist der Freiheit zu zerstören. Die Welt sollte sich auch an die türkische Blockade von Rojava erinnern. Die umfassende türkische Unterstützung für den IS war und ist gleichzusetzten mit dem Begehen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Diese Verbrechen beinhalten die Tötung von kurdischen Zivilisten, Unterdrückung, Enteignung, Versklavung von Menschen, Vertreibung und die Veränderung der Demographie Kurdistans aber auch hunderttausende syrische zivile Opfer.
Trotz der türkischen Militäroffensive, eingeleitet am 24. Juli gegen kurdische Guerillaeinheiten (die einzigen Kräfte, die erfolgreiche gegen den IS kämpften und kämpfen), die seither intensiviert anstatt reduziert wurde, wird der kurdische Widerstand und sein Streben nach Freiheit von Tag zu Tag stärker. Der Wille des kurdischen Widerstands hat die Träume von einer totalitären Übermacht der Türkei und des IS zerschlagen. Die Kooperation und Kollaboration zwischen der Koalition und der YPG, YPJ, SDF (Demokratische Kräfte Syriens) und nun sogar Russland, bietet eine bedeutende Gelegenheit den IS und seine Förderer, vorwiegend die Türkei, zu bezwingen.
Die Befreiung von Kobanê, gefolgt von weiteren Gebieten wie Shengal, Hol und anderen strategisch wichtigen Gebieten nahe Aleppo und Raqqa, hat die dazu Türkei gezwungen nach anderen Möglichkeiten zu suchen den IS zu unterstützen. Der türkische Einfall in Südkurdistan zielt darauf ab, ein neues Tor für die Unterstützung des IS zu öffnen und zu sichern.
Das türkische Eindringen ist eine direkte Bedrohung für die Menschen in Kurdistan sowie für das föderale irakische Hoheitsgebiet, indem sie eine Kultur von Feindseligkeit, Misstrauen und Hass zwischen den Menschen der Region verbreitet. Es wird gleichzeitig die besten Bedingungen für den islamistischen Extremismus, reaktionäres Gedankengut und Totalitarismus schaffen.
Wir, der Kurdische Nationalkongress, fordern die Türkei daher dazu auf sich sofort aus Südkurdistan zurückzuziehen und rufen die internationale Gemeinschaft und die demokratischen Kräfte dazu auf, unseren Aufruf zu unterstützen. Die Stationierung türkischer Truppen in Kurdistan bedeutet nicht nur eine ernste Verletzung der Souveränität der Völker, sondern auch eine Bedrohung für die Stabilität und Sicherheit, die bisher erreicht wurde. Es sind bereits unter Aufsicht der Koalition Peshmerga-Einheiten in dem Gebiet stationiert. Es gibt keinen Bedarf an unerbetener türkischer Präsenz.
Wir, der Kurdische Nationalkongress, rufen die internationale Gemeinschaft und die demokratischen Kräfte dringend dazu auf, den kurdischen Ruf nach Freiheit, Gleichheit und Schwester- und Brüderlichkeit der Menschen in der Region zu unterstützen. Wir benötigen Hilfe und Unterstützung, um Frieden und Stabilität, Fortschritt und Geschlechtergleichheit zu ermöglichen.