Blickt man dieser Tage in den Mittleren Osten, so sieht man die Völker Kurdistans auf jedwedem staatlichen Territorium um ihr legitimes Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung kämpfen. In Rojhilat (Ostkurdistan/Nordwestiran) gegen das iranische Regime, in Başûr (Südkurdistan/Nordirak) gegen Daesh (Islamischer Staat) und gegen die kapitalistische und patriarchale Herrschaft Barzanis, in Rojava (Westkurdistan/Nordsyrien) gegen Daesh, al-Nusra und das Assad-Regime, in Bakûr (Nordkurdistan/Südosttürkei) gegen Daesh und vor allem gegen das AKP-Regime unter dem Despoten Erdoğan.
Es gibt bei weitem noch mehr Völker und Ethnien die um ihre legitimen Rechte auf Anerkennung, Freiheit und Selbstverwaltung kämpfen, wie die syrische Bevölkerung im Ganzen, die palästinensische Bevölkerung, usw. Dennoch hat sich aus allen kämpfenden Freiheitsbewegung die Kurdische besonders hervor getan –, und das ist auch ihren Feinden mehr als deutlich, so also auch Erdoğan.
Was im Sommer als erneute Angriffe gegen die Guerilla in Qandîlgebirge und den Medya Verteidigungsgebieten begann, wurde innerhalb weniger Woche zu einem immer radikaleren Krieg gegen die Zivilbevölkerung. Bereits die ersten Opfer der türkischen Luftangriffe waren einfache Dorfbewohner_innen und das Ziel somit alles anderes als ein militärischer Stützpunkt.
Doch gilt es ja eigentlich in keiner Weise darum, eine Unterscheidung zu machen und heraus zu stellen, dass es falsch ist Zivilist_innen, aber richtig die Guerilla zu bombardieren.
Denn so oder so ist es ein Angriff auf die unterdrückten Minderheiten, egal ob Kurd_innen, Alevit_innen, Êzîd_innen oder sonst wer.
Und genau hier liegt auch ein entscheidender Unterschied zum türkischen Krieg gegen die Völker Kurdistans in den 1990er Jahren. Damals gab es eine relativ klare Trennung zwischen Bevölkerung und Guerilla, nicht etwa, weil es keinen Bezug gab oder die Guerilla nicht von der Bevölkerung unterstützt oder getragen wurde, ganz im Gegenteil, sondern weil es fast ausschließlich die Guerilla war die den offensiven Kampf einging.
Und eben dieser Punkt hat sich gewaltig geändert. Bisher hat sich die Guerilla ausschließlich in den abgeschiedenen, ländlichen Bereichen aktiv gezeigt und das vor allem durch Straßenkontrollen und Sabotageakte. Die Selbstverteidigung der Viertel und Städte, die Angriffe auf Polizeistationen und Militärposten, die Gräben und Barrikaden, all das kommt von der Bevölkerung, von den Frauen und der Jugend.
Die Trennlinie der 90er Jahre löst sich mehr und mehr auf und heute steht der türkische Staat, steht Erdoğan nicht einfach nur einer Guerilla gegenüber, sondern mehreren Millionen Menschen, die sich ihr legitimes Recht auf Anerkennung, Freiheit und Selbstbestimmung nicht mehr nehmen lassen, sondern dafür bis zuletzt kämpfen werden.
An eben jenem Punkt zeigt der türkische Staat unter der AKP und Erdoğan seine ganze nationalistische und faschistische Fratze. Und diese Fratze ist nichts anderes als die kurdische Frage, sowie jede andere Minderheitenfrage zu negieren und statt eines gemeinsamen Lösungsprozesses, wie mit Abdullah Öcalan, einen offenen Krieg zu führen, einen erneuten Völkermord, wie wir ihn zurzeit am stärksten in Silopî (türk. Silopi), Amed/Sûr (türk. Diyarbakır/Sur) und Cizîr (türk. Cizre) sehen können.
Inzwischen wird bereits von mehreren hunderten Toten gesprochen, so berichteten die HPG (Hêzên Parastina Gel – Volksverteidigungskräfte) von über 200 Gefallenen, hinzu zählt der İHD (İnsan Hakları Derneği – Menschenrechtsverein) weitere mehrere Hundert getötete Zivilst_innen.
Was in Bakûr von statten geht, ist kein Genozid wie an den Armenier_innen zu Beginn der türkischen Republik, bei dem die Menschen zu hunderttausenden deportiert und ermordet wurden. Der aktuelle Völkermord gegen die Menschen in der Südosttürkei ist ein langsamer und zermürbender Prozess. Täglich werden in den Städten Menschen erschossen, Häuser ausgebombt. Nicht allein die direkte Vernichtung der Menschen ist das Ziel, sondern der Wille und die Entschlossenheit sollen gebrochen werden.
Was Erdoğan will, ist die endgültige Unterdrückung und Assimilierung in sein “Kalifat“. Eine Assimilierung die in den 1990er Jahren durch die kurdische Freiheitsbewegung unter Abdullah Öcalan nicht abgeschlossen werden konnte. Und unter dieser Perspektive bekommt auch die Totalisolation Öcalans seit April letzten Jahres eine tiefere Bedeutung.
Unter dieser Perspektive kann man auch Erdoğans Aussage, dass wenn er zur Zeit der Verhaftung Öcalans bereits Premierminister gewesen wäre, er eben diese Leitfigur, diesen demokratischen Widersacher, eben Öcalan hätte hinrichten lassen, so wie es unter seiner Feder 2013 bei Sakine Cansız (Sara), Fidan Doğan (Rojbîn) und Leyla Şaylemez (Ronahî) gemacht wurde.
Der Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung kennt keine Grenzen. Es ist unser aller Kampf!
Florian Holz, 06.01.2016, ISKU