AMED – Und wieder wurde eine „Ausgangssperre“ über Sûr, den Altstadtdistrikt von Amed (türk. Diyarbakır) verhängt, die Letzte wurde am 2. Dezember 2015 verordnet, sie hat de facto weiterhin bestand. Obwohl die türkische Regierung im März die militärische Operation und die damit verbundenen „Ausgangssperren“ in Sûr für beendet erklärt hat, herrscht weiterhin Belagerungszustand. Die Brandstiftungen, Zerstörungen und Ermordungen, aber vor allem der Widerstand in Sûr werden im individuellen, wie im kollektiven Gedächtnis erhalten bleiben. Diejenigen, die die jungen Menschen bei ihrem Widerstand im Altstadtviertel gesehen und miterlebt haben und sei es auch nur für eine Stunden, werden dies nie vergessen und an alle weitertragen die sie kennen. Auch die Kinder, Kinder wie der elfjährige F.1, der uns von den den jungen Menschen berichtet, die nun für viele Kinder Helden sind.
F. blieb in Sûr bis die Ausgangssperre ihren 29. Tag erreichte. Er erzählte uns, was er erlebt hat, als die Gräben gezogen und Barrikaden errichtet wurden. Er erzählte: „Zu Beginn kamen die großen Brüder und fingen an Gräben zu graben und Barrikaden zu errichten. Ich wusste anfangs nicht was da sollte. Sie behandelten mich und meine Geschwister sehr gut, dann wurde die erste Ausgangssperre verordnet. Die türkischen Nachrichten sagten, sie wären „Terroristen“, aber sie haben weder uns, noch sonst wem im Viertel etwas getan. Nachdem ich diese Nachrichten gesehen habe, bin ich zu ihnen gegangen und habe ihnen geholfen. Wir redeten miteinander und ich half ihnen die Gräben zu graben und die Barrikaden zu bauen, auch wenn sie mir es manchmal nicht erlaubten. Ich bin jeden Tag bis tief in die Nacht, manchmal bis 3:00 Uhr morgens bei ihnen geblieben. Und nicht nur ich, sondern auch meine Geschwister und die anderen Kinder aus dem Viertel, dann haben wir miteinander gelacht und sie haben uns Witze erzählt“.
F. betonte, dass die „großen Geschwister“ der YPS-Jin (Yekîneyên Parastina Sivîl-Jin – Zivile Frauenverteidigungseinheiten) und YPS (Yekîneyên Parastina Sivîl – Zivilen Verteidigungseinheiten) ihnen bei allen Problemen halfen. Seine Mutter ließ ihn während der Gefechte nicht aus dem Haus, in dieser Zeit machte er sich am meisten Sorgen um seine Freund*innen. Zwei von ihnen waren ganz in der Nähe seinen Zuhauses, Andok und Zozan. F. sagte: „Ich habe sie beide sehr gemocht. Sie haben mich und meine Mutter mehr als nur einmal gerettet. Die Soldaten nennen sie „Terroristen“, aber es waren die Soldaten die mit ihren Waffen auf uns zielten. Die Beiden haben uns vor den Soldaten gerettet. Die Soldaten haben immer wieder auf uns geschossen, wenn wir versuchten das Haus zu verlassen, um Brot und Wasser zu besorgen. Meine Eltern sagten: „Wir gehen hier nicht weg, auch wenn wir hier sterben“. Ich habe ihnen darauf gesagt, dass ich nicht gehen würde, selbst wenn sie gingen. Die Menschen die ich liebe waren schließlich dort, vor allem Andok. Ich will werden wie er. Ich blieb auch während der Gefechte, ich habe gesehen was die Soldaten und Polizisten getan haben“.
F. stated that the YPS and YPS-JIN members always helped them. F. said that his mother didn’t let him to go out during clashes, so he was worried about them. F. noted that there were two YPS members named Andok and Zozan near their home. F. said, “I liked them both of them. They saved my life and my mother’s life many times. Soldiers called them as “terrorist”; however, the soldiers targeted us. These two people saved us from the soldiers. The soldiers opened fire on us whenever we tried to go out to have water or bread. My mother and father said, “We won’t leave here even if we are killed.” I told them, “I won’t leave even if you leave.” I loved all people there. But, I loved Andok more. I want to be like him when I grow up. I stayed inside during the clashes and I just faced the atrocity of the soldiers and police.”
F. fragte uns: „Kennt ihr das, wenn ihr die Explosion einer Bombe hört und ihr euch fragt wer dabei getötet wurde?“. F. Ist elf Jahre alt, er ist während des gesamten Gespräches ruhig und gefasst. Er wurde Zeuge als die zwölfjährige Helin Şen getötet wurde. „Sie drangen mit Gewalt in die Häuser der Menschen ein und bedrohten sie. Ich stand nahe der Wand direkt gegenüber von Helin, als sie von der Polizei getötet wurde. Ihre Familie wartete auf sie, sie sollte nur kurz Brot besorgen. Sie hatte große Angst zur Bäckerei zu laufen, um Brot zu besorgen. Dann schossen sie aus einem gepanzerten Wagen auf sie. Sie fiel auf den Boden. Dann fingen die Menschen im Viertel an Krach zu machen, sie schlugen auf die Rollläden. Sie holten ihre Leiche. Nachdem ich sah wie Helin starb, wollte ich schnell zu Andok, denn wenn wir bei ihnen waren gab es keine Kämpfe“.
Nun wartet F. darauf in sein Zuhause zurückkehren zu können. Er erzählte: „Ich sagte allen, dass ich nicht weggehen werde, ich werde sie nicht alleine lassen. Aber dann stürmte die Polizei auch unser Haus, meine Mutter war schwanger, meinen Vater schlugen sie. Wir mussten gehen, bei meiner Mutter setzten die Wehen ein. Mein Vater versprach mir, dass wir zurückkehren werden. Im Februar gingen wir, überall lag Schnee. Jeden Tag lief ich nach Sûr. Sie waren dort um uns zu beschützen und wann immer ich an sie dachte, dass sie dort weiter kämpfen, war ich glücklich. Aber es heißt all die jungen Menschen seien nach und nach getötet worden. Ich redete mit meiner Mutter darüber und sagte ihr, dass ich mich ihnen anschließen werde. Meine Mutter sagte mir, ich wäre zu klein. Dann warte ich eben, ich werde sie nicht vergessen. Ich werde mit meiner Familie zurückkehren und ich werde dort wieder leben“.
Medine Mamedoğlu – JINHA, 09.07.2016, ISKU
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