Am Samstag fanden in vielen Städten in Deutschland Proteste und Demonstrationen für die Verteidigung von Efrîn und Rojava statt. Zehntausende verurteilten die Angriffe der zweitgrößten Nato-Armee auf den Kanton Efrîn und die Unterstützung der bundesdeutschen Regierung an diesem völkerrechtswidrigen, dreckigen Angriffskrieg. Da das türkische Regime mit ihrer Armee es bisher nicht geschafft hat, die kurdische Revolution zu ersticken, richtet sich dieser Krieg mit aller Brutalität gegen die Zivilbevölkerung. Ihre schweren Waffen und ihre Kampfflugzeuge bombardieren Häuser der Bevölkerung. Die Menschen des kleinen Kantons stehen seit dem 20. Januar Tag und Nacht unter anhaltendem Beschuss. Dass deutsche Waffen in diesem Krieg gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden, muss wohl nicht mehr ausdrücklich erwähnt werden, denn die Türkei und das faschistische Erdoğan-Regime sind in Deutschland noch immer ein gern gesehener Gast und ein guter Wirtschaftspartner.
Am Samstag hat auch in Hamburg eine Demonstration stattgefunden; Tausende nahmen daran teil. Und auch hier konnte erneut festgestellt werden, auf wessen Seite die deutsche Regierung und ihre Büttel stehen, denn wie auch in anderen Städten, wurde die Antikriegsdemonstration von der Polizei angegriffen, Menschen brutal attackiert. Eine traurige Realität eines Landes, dass Völkermord und Angriffskriege als eigene Geschichte zählt.
Wir veröffentlichen den Redebeitrag des deutsch, kurdischen Kulturvereins Hamburg, der auf der Demonstration verlesen wurde, denn er beschreibt sehr deutlich, worum es in diesem Krieg wirklich geht:
„Die zweitgrößte Nato-Armee der EU-Kandidatin, die Armee des türkischen Staates greift seit dem 20. Januar völkerrechtswidrig unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung zusammen mit islamistischen Dschihadisten den Kanton Efrîn an. Mit Flugzeugen, Helikoptern, Panzern und modernsten Waffen, mit neuster Technologie aus der westlichen Welt, greifen sie den sich demokratisch selbst verwaltenden und bisher vom Krieg verschonten Kanton Efrîn an. Dabei ist das Ziel nicht nur die Region Efrîn, sondern das gesamte demokratische Projekt, welches seit 2012 in Nordsyrien und Rojava verwirklicht wird.
Ich möchte an dieser Stelle insbesondere folgende Widersprüche betonen und fragen: Wie kann es sein, dass eine islamistische Regierung wie die AKP zusammen mit barbarischen dschihadistischen Söldnern von westlichen Staaten, von der Bundesregierung, in ihrem völkerrechtswidrigem Verhalten nicht nur toleriert, sondern auf direkte oder indirekte, offene oder verborgene Art unterstützt wird?
Gleichzeitig: Wie kann es sein, dass eine Region wie Rojava und andere Kurdengebiete, eine Freiheitsbewegung und jene Menschen, die mitten im despotischen und patriarchalen Nahen Osten für Basisdemokratie, Geschlechtergerechtigkeit und Ökologie eintreten, im Stich gelassen werden? Sie werden nicht nur im Stich gelassen, sondern auch als Terroristen gebrandmarkt, und sei das nur durch die Tolerierung der Argumente des türkischen Staates, wenn er behauptet, er gehe gegen Terroristen vor? Wie kann solch ein Widerspruch, ein solcher Antagonismus Realität sein?
Ist dieses Verhalten seitens der Regierenden, der Mächtigen, der internationalen Institutionen und der Staaten nicht ein Verrat an sowohl westliche als auch universell menschliche Werte?
Der Angriffskrieg des AKP-Regimes gegen die Demokratische Föderation Nordsyrien – Rojava darf nicht nur als ein ein Krieg des türkischen Staates gegen Efrîn oder „die Kurden“ betrachtet werden. Es ist der Kampf der Herrschenden gegen die sich nach Freiheit sehnenden Menschen und Völker. Es ist ein Kampf der Staatengemeinschaft gegen die demokratische Zivilgesellschaft. Es ist ein Kampf der reaktionären und die jetzige Ordnung beherrschenden Kräfte gegen die demokratischen Kräfte in Nordsyrien, welche die kapitalistische, umweltzerstörerische, patriarchale und auf Ungleichheit beruhende Ordnung mit einer wahrlich souveränen und direkten Demokratie von Unten nach Oben herausfordern.
Daher ist es möglich, dass uns hier in Deutschland von den Regierenden einerseits demokratische Werte, Recht und Moralität vorgegaukelt wird. Auch wird auf die Gefahr des islamistischen Terrors und des politischen Islams hingewiesen. Aber trotzdem bekämpft man andererseits zusammen mit einem Bündnispartner und seinen islamistischen Gotteskriegern die Menschen und ihr demokratisches Projekt.
Dieser Widerspruch und diese Heuchelei seitens der westlichen Staatengemeinschaft, der UN, der NATO, der EU, der BRD ist vor allem aus folgendem Grund möglich:
Die auf den Gesellschaftsvertrag von Rojava basierende Gesellschaftsordnung steht mit ihrer gesellschaftspolitisch dezentralen, sowie seinen ökologischem, statt an Profit am Gemeinwohl orientiertem wirtschaftlichen Charakter, der gegenwärtigen kapitalistischen Ordnung und ihren ausbeuterischen Grundsätzen diametral entgegen. Rojava bietet daher eine ernsthafte Alternative zur herrschenden Ordnung im Nahen Osten. Diese Alternative ist nicht nur die lösungsorientierte Reaktion der Kurden auf ihre hundertjährige Unterdrückung, sondern auch auf viele zentrale Probleme unserer Zeit. In ihr äußert sich der Wille der Menschen und Gruppen, nicht der Wille der Großkonzerne oder anderer Profiteure.
Insofern ist das Verhalten der dominanten Regierungen und ihrer internationalen politischen Institutionen nicht nur ein Wegschauen oder Hinnehmen, sondern sie selbst versuchen Rojava auf direkte oder indirekte Art aus dem Weg zu räumen. Daher können sie so widersprüchlich und verräterisch handeln, wenn sie demokratische Werte preisen und den islamistischen Terror verteufeln, gleichzeitig aber die islamistische AKP-Türkei zusammen mit ihren dschihadistischen Verbündeten entgegen ihrer eigenen Werte und internationaler Gesetze in ihrem Angriffskrieg gegen demokratisch und feministische Menschen alles tun lassen und dieses Unrecht dadurch aktiv unterstützen.
Es ist dieselbe Korruptheit, es ist derselbe moralische Verfall, dieselbe Haltung und Gier, die dafür verantwortlich ist, dass Wenige auf den Schultern von Vielen leben, dass überall auf der Welt Kriege und Hunger herrschen, während sich in der westlichen Welt alles, ob Luxus oder Flüchtlinge, ob Millionäre oder billige Arbeitskräfte, ob Sicherheit oder Einsamkeit, anhäuft. Es ist dieselbe Politik im Sinne des Geldes und der Macht, die die Menschen zur Flucht treibt; es ist dieselbe entfesselte Gier, die den Planeten an den Rand der Zerstörung treibt. Schluss damit! Es reicht!
Wir Kurden haben es sehr gut gelernt, zwischen Staaten und der Zivilgesellschaften zu unterscheiden. Es gibt das kurdische Sprichwort: Die Kurden haben zwar keinen Staat, aber niemand kennt den Staat besser als die Kurden. Wir kennen ihn so gut, wir wollen gar keinen zentralistischen Staat, denn es ist dieser mit Nationalismus, Chauvinismus, Fundamentalismus, Patriarchat und Kapitalismus bis ins tiefste verwobene Staat, der uns in Kurdistan unterdrückt, nicht die Menschen! Nicht die Türken oder Araber oder sonst wer, sondern der türkische, irakische, syrische oder persische Staat und all ihre Verbündeten der westlichen Staatengemeinschaft tun das.
Ihr selbst seid hier und jetzt der Beweis dafür, dass die Zivilgesellschaft, die Gemeinschaft, die Menschlichkeit nicht mit Staaten gleichzusetzen ist. Während wir, die hier sind, und Tausende andere Menschen an vielen Orten in Deutschland und Europa seit zwei Wochen wie heute für Frieden, Menschenrechte und Demokratie, für Efrîn auf den Straßen sind, hört wir seitens staatlicher Akteure und der Regierungen keine einzige Kritik oder ein ernstzunehmendes Verhalten gegenüber dem völkerrechtswidrigem Angriffskrieg der islamistischen AKP-Türkei.
Lasst uns genau dagegen die Stimme heben und sagen: Schluss damit, es reicht! Denn es sind unsere Stimmen, mit denen sie regieren und diese Art von Politik machen!
Es lebe der Kampf um eine freie, demokratische, ökologische und gerechte Welt, es lebe der Widerstand von Efrîn und Rojava.“