Amed/Sûr – Die Ausgangssperre und Blockade von Sûr dauert nun schon den 90en Tag an. Das ist mehr als doppelt so lange, als die Pariser Kommune bestanden hat. Am 2. Dezember letzten Jahres wurde sie über das Altstadtviertel von Amed (Diyarbakir) verhängt. Bis auf eine Unterbrechung von 17 Stunden dauert sie ohne Unterbrechung bis heutige an. Mit ihr begann der Beschuss und die Ermordung ihrer Einwohner. Innerhalb dieser 3 Monate sind in Sûr mindestens 32 Menschen durch türkische Sicherheitskräfte ermordet worden. Obwohl davon auszugehen ist, das an die 200 Zivilisten, darunter Kinder und Mütter, noch in Sûr festsitzen, wird der Stadtteil täglich – teils mit Panzern oder von Hubschraubern aus – beschossen. Scharfschützen sind in Stellung gebracht und schießen auf alles, was sich bewegt. Viele Gebäude sind bis zur Unkenntlichkeit zerstört.
Sûr liegt im Altstadtbereich von Amed. Es besteht aus sechs Vierteln, die eingebettet sind in die Stadtmauer. Sûr ist von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt. Durch die Bombardierung sind jetzt viele historische Gebäude zerstört und in Mitleidenschaft gezogen.
Bei der Ausgangssperre in Cizîr (Cizre), die am 14. Dezember letzen Jahres über die Stadt verhängt wurde, sind Anfang Februar in drei Kellern, in denen Zivilisten Schutz gesucht hatten, mehr als 178 Menschen durch türkische Sicherheitskräfte grausamst ermordet, teilweise verbrannt worden.
In der Anfangszeit der Ausgangssperre haben die Bewohner unter der Ausgangssperre ausgeharrt. Ihr Leben kollektiv organisiert. Viele wollten sich nicht noch einmal vertreiben lassen, waren sie doch schon Anfang der 90ger vertrieben worden, als der türkische Staat ihre Dörfer verbrannte. 4000 Dörfer und Siedlungen wurden damals zerstört, 4 Millionen Kurden vertrieben. Vertrieben in die Großstädte, in die Metropolen der Türkei und Europa. Und eben auch nach Sûr.
Als man ihre Dörfer verbrannte, sind sie gegangen. Jetzt, wo ihre Städte zerstört werden, wollen viele nicht noch einmal vertrieben werden. Sie harren aus, ertragen was der Staat ihnen zumutet. Sie helfen sich gegenseitig und lindern die größte Not durch ein kollektives Leben. Ihre Kinder bildet Verteidigungsgruppen. Um zu verteidigen, was möglicherweise nicht zu verteidigen geht, aber zumindest um ein Massaker, wie in Cizîr geschehen, zu verhindern …
Wie es auch ausgeht, sie haben alles getan. Die, die nicht in Sûr leben müssen sich fragen, ob sie wirklich alles getan haben …
ANF, 29.02.2016, ISKU