Ein Reisebericht von Hinrich Schulze
08.03.2016
Ich bin unterwegs nach Amed/Diyarbakir. Leider bekomme ich hier auf dem Flughafen von Istanbul von den Feierlichkeiten zum Internationalen Frauentag nichts mit. In Amed ist es den Frauen gelungen, eine große Demonstration durchzuführen. Andernorts wurden Versammlungen verboten, in Istanbul unter Verwendung von Tränengas und Gummigeschossen aufgelöst. Unterdessen erklärt Präsident Erdoğans Ehefrau Emine die Vorzüge des Harems im Osmanischen Sultanat.
09.03.2016
Bin gerade in Amed/Diyarbakir gelandet. Es heißt, die Stadt mache sich bereit für Millionen von Touristen. Zu diesem Zwecke wurde gerade ein neues gigantisches Flughafengebäude mit überdachten Palmengarten und einer Tigris Fluss Nachbildung errichtet. Auf Grund der aktuellen Kriegslage bin ich heute allerdings scheinbar der einzige Tourist. Die neue Anlage liegt einige Kilometer weiter außerhalb, auf der weiterhin zivil/militärisch genutzten Anlage liegen Kampfflugzeuge. Man kann jetzt leider nicht mehr wie früher in einer halben Stunde vom Flughafen zu seinem Hotel laufen.
Die gesamte Altstadt ist hermetisch abgeriegelt.
Jeder der hinein will, muss sich körperlich durchsuchen lassen.
Ich habe Glück, mein Hotel liegt zwar ebenfalls in der Altstadt, aber mein Polizeibeamte kontrolliert mich äußerst oberflächlich.
Wahrscheinlich gehört er zu den wenigen intelligenten Beamten.
Er weiß, wenn er bei einer Person etwas finden sollte wäre die Situation nicht nur für die betreffende Person lebensgefährlich sondern auch für ihn selbst.
In der in friedlichen Tagen lebhaften Einkaufsstraße haben jetzt die meisten Geschäfte geschlossen. Die wenigen Händler, die ihren Laden geöffnet haben, glauben wahrscheinlich selber nicht daran, dass sich heute noch ein Kunde blicken lässt. Sie halten, so scheint es, aus Trotz der Obrigkeit gegenüber ihre Auslagen zum Kauf bereit. Als wollen sie beweisen, dass sie sich von den allgegenwärtigen Schikanen nicht unterkriegen lassen.
Nur ein Teil der Altstadt ist zugänglich, niemand weiß, was in der östlichen Hälfte geschieht. Ob es dort noch lebende Menschen gibt. Wie viele der Häuser noch stehen. Niemand darf hinein. Fotografieren ist strengstens verboten. Es soll nicht wieder so hässliche Bilder geben wie in Cizîr/Cizre. Bilder von Innenstädten, die sich in keiner Weise von denen aus dem im Krieg zerschundenen Syrien oder dem zerbombten Gaza Streifen unterscheiden.
10.03.2016
Es sind keine Schüsse mehr zu hören. Nur noch diese regelmäßigen Explosionen. Anscheinend gibt es im Osten nichts mehr was man erschießen könnte. Es hört sich so an, als würden die letzten verbliebenen Häuser der Altstadt gesprengt.
Kolonnen von LKWs fahren Bauschutt aus dem noch immer abgeriegelten Stadtteil. Was einst die Häuser der Bewohner waren sind jetzt Geröll, zersplitterte Fensterrahmen, Betonplatten und Stahlarmierungen, welche in bizarren Formationen hoch aus den Ladeflächen herausragen und bisweilen funkensprühend mit den über die Straße gespannten Weihnachts-Dekorationen kollidieren.
Dem ehemaligen Wildwuchs von kleinen Häusern und engen Gassen soll ein Ende bereitet werden. Es wurde angekündigt, dass in der historischen Altstadt schöne neue Wohnhäuser gebaut werden sollen, die von einer staatlichen Wohnungsbaugesellschaft verwaltet und kontrolliert werden. Wer unterschreibt, dass sein Haus von der PKK zerstört wurde, und nicht von den Granaten und dem Maschinengewehrfeuer der Regierung, soll sogar eine Entschädigung bekommen, heißt es.
Wenn dann auch noch die vielen zerschossenen antiken Bauwerke wieder neu errichtet worden sind, soll die Altstadt eine so wunderschöne Touristenattraktion werden wie die berühmte Stadt Toledo in Spanien, erklärte Ministerpräsident Davutoğlu. Und er ergänzt, dass auf Grund der bisherigen ungeplanten Entwicklung die Städte im Südosten des Landes, unabhängig von den aktuellen Zerstörungen, ohnehin im Rahmen eines städtischen Transformationsprojektes hätten neu errichtet werden müssen.
11.03.2016
Dummerweise hatte ich heute Morgen den Wunsch mir neue Schuhe im Basar zu kaufen. Am Eingang zu den weitläufigen Markthallen geriet ich dann unerwartet in eine Polizeikontrolle. Bei der körperlichen Durchsuchung fanden die Beamten in der Hosentasche eine Kamera worauf die bewaffneten Herren meinten sie seien gezwungen mich Mohammed, den gefährlichen Terroristenkiller aus Elazîz/Elazığ vorstellen.
Mohammed spricht sehr gutes Englisch, nur bei meiner Frage, ob ich denn nun festgenommen sei oder was das ganze denn nun soll, versteht er leider gar nichts mehr. Dafür begleitet er mich mit festem Griff von einem militärischen Unterstand zum nächsten.
Immerhin kann ich dadurch den Militäreinsatz mit all seinen Akteuren viel näher kennenlernen, als wenn ich nicht festgenommen worden wäre. Ich sehe die schwer bewaffneten Trupps in das abgeriegelte Stadtviertel hineingehen und ich sehe die Trupps erschöpft zurückkehren. Niemand weiß was sie in dem Stadtviertel machen. Es gibt keine Zeugen. Die letzten Zivilisten hatten sich vor Tagen aus den Kellern gemeldet. Jetzt ist alles still. Nur immer wieder diese Explosionen.
Ich weiß jetzt wie die Panzerwagen von innen aussehen und ich habe den ständig am Funkgerät hängenden Einsatzleiter vor Ort kennengelernt. Eine Mischung aus Rasputin und Jesus mit wirren Haaren und zerschlissenen Jeans, der optisch auch als exzentrischer nonkonformistischer Intellektueller durchgehen könnte. Nicht, dass ich die Akteure nach Äußerlichkeiten beurteilen möchte. Was mich erschreckt ist, dass es in diesem Land keine Sicherheit geben kann. Jeder kann ein Spitzel oder Zivilpolizist sein. Und sie sind überall, ob alt ob jung, Mann oder Frau, gepflegt mit Anzug oder abgewetzten Klamotten, mal als forscher Macker oder auch als schüchterner Milchbubi, freundlich und harmlos aussehend wie dein Mitbewohner aus der Studenten-WG. Denen man unter anderen Bedingungen sofort Vertrauen schenken würde. Wenn sie dann nicht plötzlich „Ich hasse dieses verfickte Diyarbakir“ in ihren Bart murmeln oder lachend ihren Kameraden mit „Mohammed ist unser bester Terroristenkiller“ loben würden.
Die Destruktion des Menschlichen scheint der Krieg In der gesamten Befehlskette durchdrungen zu haben: Bezeichnen doch die regierenden Zyniker die monatelangen Ausganssperren, den Tod hunderter Zivilisten und die Zerstörung tausender Wohnungen als „eine Maßnahme um die öffentliche Sicherheit und die Sicherheit der Bewohner wieder herzustellen“.
Bei unserem Weg durch die Kriegstrümmer kann ich auch einen flüchtigen Blick auf den Platz vor dem 4 Füße Minarett werfen. Hier, vor der Scheich Matar Moschee, befand sich ein kleines Café. Es sollte nach dem Wunsch des Besitzers eine internationale Stätte der Begegnung werden. Die Wände hatten die Gäste aus aller Welt noch letztes Jahr mit selbstgemalten Friedenszitaten dekoriert. Aber im Zuge des eskalierenden Krieges standen die Tische immer häufiger leer. Dann wurde im letzten November direkt vor dem Café auf offener Straße während einer Pressekonferenz Tahir Elçi, der prominente Vorsitzende der Anwaltskammer von Diyarbakir erschossen. Jetzt konnte ich dort, wo ich regelmäßig meinen Tee zu mir nahm, nur noch einen einzigen zusammengeschossenen Trümmerhaufen erkennen.
Plötzlich reicht mir Mohammed meinen Pass zurück und mein unfreiwilliger Besuch des Kampfgebietes ist vorbei. Weil die Kuratoren meiner Fotos aus der Kamera nur spielende Kinder, Katzen, Sonnenuntergänge und auch sonst nichts verdächtiges finden konnten. Auch weil ich einen deutschen Reisepass vorweisen konnte, hat man mich schon nach drei Stunden wieder zurück zu meinem Schuhverkäufer geleitet.
Schlimmer erging es am selben Tag Murat B. Er ist Musiker und sehr erfahrener Journalist. Ich kenne ihn vom vorigem Jahr. Nächste Woche hat seine Band BANDISTA ein Konzert in Hannover. Er wollte mir helfen solange E. noch nicht zurück in Amed/Diyarbakir ist. Jetzt braucht er selber Hilfe. Heute haben sie ihn in Nisêbîn/Nusaybin festgenommen. Wir wissen nicht ob er wieder freikommt. Die Haftbedingungen sind hier für Menschen mit türkischen Pass nur schwer erträglich.
12.03.2016
Ich versuche verzweifelt zur Abwechslung mal positive Nachrichten aus diesem Land zusammenzustellen.
Das oberste türkische Gericht hat das bis jetzt geltende Verbot von Tischfußball (kickern) aufgehoben. Es dürfen ab jetzt Tischfußballgeräte importiert und aufgestellt werden.
Mein Hotellier hat sich wahnsinnig gefreut mich wiederzusehen.
Endlich hat er mal einen Gast den er betreuen kann. Ansonsten ist das Hotel auf Grund der angespannten Lage meist leer.
Eine weitere positive Nachricht habe ich gerade aus Deutschland bekommen. Laut Nachrichtenagentur DİHA ist Murat wieder frei. Ich wusste es bisher nicht. Informationen von DİHA kann ich hier leider nicht empfangen. Die Nachrichtenagentur gehört zu den vielen Institutionen deren Webseiten in der Türkei gesperrt sind.
Es soll doch noch einige lebendige Personen in der östlichen Altstadt gegeben haben. Jedenfalls gibt die Polizeiführung nach länger andauernden Gefechtslärm eine Erfolgsmeldung heraus. Es seien weitere drei Terroristen deaktiviert worden. (rendered ineffective)
Heute Nachmittag haben mich mehrere Frauen freudig wiedererkannt. Sie hatten mich im letzten Jahr zu sich aufgenommen. Spät abends im umkämpften Stadtteil Sur. Unter dem Schutz der aufgebauten Barrikaden war es eine schöne, friedliche Stimmung. Es wurde Essen herumgereicht und auf der Straße gesungen und getanzt. Bis spät nachts die ersten Feuerstöße aus der Ferne zu hören waren. Es galt damals die Regel, dass alle Haustüren geöffnet sein sollten falls jemand in Not ist.
Beim jetzigen Wiedersehen gehörten sie leider zu den vielen Menschen, meist Mütter, die jeden Tag zusammen kommen um Informationen über ihre vermissten Angehörigen auszutauschen, im Leid zusammenzustehen und an den Absperrungen der Polizei vergeblich Zugang zu den wahrscheinlich sterblichen Überresten ihrer Verwandten zu verlangen. Einige sind von weit angereist, zeigen mir Bilder von Brüdern, Schwestern, Kindern und fragen mich ob ich sie vielleicht bei meinem letzten Besuch gesehen habe.
13.03.2016
Der nordöstliche Teil der Altstadt ist heute für die zurückkehrende Bevölkerung geöffnet worden. Möglicherweise werden die dort eingesetzten Einheiten für die kurz bevorstehende Offensive in den Städten Gewer/Yüksekova, Nisêbîn/Nusaybin und Şirnex/Şırnak benötigt. Mehr als 80 Panzer und weiteres Kriegsgerät der nach eigenen Angaben zweitgrößten Armee der Nato sind unterwegs, um gegen die wenige hundert Jugendliche Mitglieder der autonomen Selbstverwaltung eingesetzt zu werden.
Inzwischen hat die Polizei die Eingänge in die zerstörten Stadtteile mit weißen Planen verhüllt. Anscheinend soll die Öffentlichkeit nicht durch den trostlosen Anblick erschreckt werden.
15.3.2016
Seit letzte Nacht wird hier wieder aus allen Kalibern geschossen.
Die Menschen sind wieder auf der Flucht.
Insgesamt 50.000 Menschen haben allein in Amed/Diyarbakir ihre Häuser verlassen müssen, 5000 Häuser (oder Wohnungen, das habe ich bisher nicht rausfinden können) sind zerstört.
Einem Filmteam aus Schweden wurde heute Abend die Einreise verweigert und die iran-kurdischstämmige Redakteurin mit einer lebenslangen Einreisesperre belegt.
Hinrich Schultze | Pressefotos | http://www.dokumentarfoto.de/