Während in den deutschen Mainstream Medien die Berichterstattung bezüglich des Gedichtes Böhmermanns über Erdoğan und dessen völlig absurder Überreaktion darauf im Mittelpunkt steht, wird weiterhin kaum über die Situation in Bakûr (Nordkurdistan/Osttürkei) und den Angriffen auf die Demokratische Autonomie der Kurd*innen berichtet.
In Nisêbîn (türk. Nusaybin) leistet die Bevölkerung seit nunmehr 31 Tagen Widerstand gegen die staatlichen Angriffe, die nahezu täglich stattfinden. Durch Granaten und Artilleriebeschuss werden immer mehr Häuser zerstört. Zwei Drittel der Anwohner*innen, circa 60.000 Menschen, mussten ihre Häuser verlassen. Auch in den Städten Şirnex (türk. Şırnex) und Gever (türk. Yüksekova) gelten seit knapp einem Monat Ausgangssperren. Darüber hinaus versucht das türkische Militär in die bisher befreiten Gebiete vorzudringen, auch dies vornehmlich mit Granatbeschuss aus der Ferne, um möglichst viel zu zerstören. Die Zivilen Verteidigungseinheiten (YPS – Yekîneyên Parastina Sivîl) und Zivilen Frauenverteidigungseinheiten (YPS-Jin – Yekîneyên Parastina Sivîl-Jin) haben es trotz dieser schweren Angriffe geschafft, die Gebiete zu verteidigen und den türkischen Sicherheitskräften teils erhebliche Verluste beigefügt.
Neben der physischen Vernichtung wird auch die politische Eliminierung vorangetrieben. In Amed (türk. Diyarbakır) durchsuchte die Polizei in einer nächtlichen Aktion unter anderem die Büros des KJA (Kongreya Jinên Azad – Kongress der freien Frauen) und der DBP (Demokratik Bölgeler Partisi – Demokratische Partei der Regionen) und nahm 10 Mitglieder der Organisationen fest. Viele der Mitgenommenen waren schon 2009 während der KCK- Operationen inhaftiert worden. In Nisêbîn wurden zudem die bei der Nachrichtenagentur DÎHA angestellten Journalist*innen Meltem Oktay und Ûgûr Akgûl von türkischen Sicherheitskräften festgenommen.
In Kurdistan gibt es ein Sprichwort: „Der Frühling lässt sich nicht aufhalten“. Wenn im Frühjahr langsam der Schnee zu schmelzen beginnt und die ersten Knospen zu sprießen beginnen, dann kam auch immer die Zeit der Guerilla. Nun ist der Frühling da und die Guerilla der HPG (Hêzên Parastina Gel – Volksverteidigungskräfte), sowie die Guerillaverbände der YJA-Star (Yekîtîya Jinên Azad-Star – Verband der freien Frauen-Star) führen vermehrt Angriffe und Hinterhalte auf Militärtransporte und Armeeaußenposten durch. 47 Angehörige der Armee verloren bei diesen Aktionen in den letzten Tagen ihr Leben.
Doch auch in Rojava (Westkurdistan/Nordsyrien) setzen sich die Auseinandersetzungen fort. In Aleppo (kurd. Helep) fanden auch in dieser Woche Angriffe auf den von Kurd*innen bewohnten Stadtteil Şêx Meqsûd statt. Islamistische Gruppen setzten vermehrt chemische Kampfstoffe ein. Bei der Verteidigung tötete die YPG (Yekîneyên Parastina Gel – Volksverteidigungseinheiten) mindestens 11 Islamisten. Bei diesen barbarischen Angriffen der islamistischen Verbände sterben auch immer wieder Zivilist*innen oder werden verletzt.
In Deutschland versuchten am vergangenen Sonntag türkische Faschist*innen und Nationalist*innen unter dem Motto „Gegen den Terror“ bundesweit Aufmärsche zu organisieren. In vielen Städten, darunter Stuttgart, Köln, Frankfurt, München und Hamburg, fanden Demonstrationen oder Kundgebungen statt. Doch überall stellten sich ihnen internationalistische Bündnisse aus Kurd*innen, Türk*innen und Deutschen entgegen. Während in der Öffentlichkeit erneut ein ethnischer Konflikt zwischen „Türken und Kurden“ propagiert wird, verläuft die eigentliche Auseinandersetzung zwischen antifaschistischen und sozialistischen auf der einen und den faschistischen und nationalistischen Kräften auf der anderen Seite. Die faschistischen Aufmärsche wurden daher teilweise mit Polizeigewalt durchgesetzt.
Rosa Wolf – ISKU, 13.04.2016