BBC Türkçe hat ein Interview mit dem kurdischen Politiker Mehmet Emin Pencewini veröffentlicht. Pencewini berichtet in dem Interview von seiner Rolle als Kontaktmann zwischen Staat und PKK in den Jahren 2010 und 2012.
Nachdem im Rahmen der im April 2009 begonnenen sogenannten „KCK-Operation“ der türkische Staat etwa 5000 Kurden verhaftet hatte und die Partei der Kurden DTP (Demokratik Toplum Partisi) verboten worden war, begann die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans KCK mit ihrer Offensive vom 1. Juli 2010, sie erklärte ihren einseitigen Waffenstillstand für beendet und ging in den Status der aktiven Verteidigung über. Erst am 13. August 2010 wurde auf Forderung Abdullah Öcalans von der KCK erneut eine Aktionspause verkündet.
In der Zeit muss es gewesen sein, dass Talabani, damals Staatspräsident des Irak, Pencewini zu sich berufen und ihn beauftragt hat, für eine von der Türkei gewünschte Vermittlung zwischen der Türkei und der PKK tätig zu werden. So begannen die Kontakte zwischen Kandil und dem MIT (Türkischer Nachrichtendienst). Pencewini ist Mitglied im Kurdischen Nationalkongress und ein einflussreicher Politiker der Kurden im Irak. Er übte die Rolle als Vermittler bis zu Beginn der Gespräche in Oslo aus. Als diese abbrachen, bemühte er sich erneut. Wandte sich dann auf anraten Talabanis um Unterstützung auch an den Ministerpräsidenten der kurdischen Regionalverwaltung des Irak Neçirvan Barzani.
Wie sind Sie in die Phase als Mittler zwischen Staat und PKK involviert worden?
In der Zeit, als Celal Talabani Staatspräsident des Irak war, sagte er mir, dass die türkische Regierung, allen voran Recep Tayyip Erdoğan, in jenen Tagen ihr Ministerpräsident, den Wunsch hätte, den Krieg mit der PKK zu beenden und das sie dahin gehend etwas unternehmen wollten.
Wann haben Sie die Nachricht bekommen?
2010.
Was ist Ihnen noch mitgeteilt worden?
Die Regierung der Türkei sagte damals „ Wir möchten keinen direkten Kontakt mit der PKK, wir möchten auf irgendeine Art indirekt mit ihnen sprechen.“ Und ich sagte zu Talabani: „Okay, aber zuerst muss ich erfahren, was der Kandil darüber denkt.“ Ich bin in den Kandil gegangen und habe mich mit Murat Karayılan getroffen.
Was hat der Kandil dazu gesagt?
„So ist das“ sagte ich und eröffnete es ihm. Er sagte: „In Ordnung, wir sind bereit zu einem Dialog. Wir sind bereit, die kurdische Frage in der Türkei auf der Basis eines Dialogs zu lösen.“
Karayılan sagte: „Weil sie der erste Staatspräsident und der erste Ministerpräsident der Türkei sind, die die (Existenz der) kurdischen Frage akzeptieren und sie lösen wollen, entrichte ihnen meine Grüße. Sag ihnen, dass wir der gleichen Meinung sind und dass wir das Problem mit dem Dialog lösen wollen.“
Anschließend bin ich in die Türkei zum MIT gegangen. Zu der Zeit war Emre Taner Chef des MIT, mit ihm habe ich mich getroffen.
Wer war bei dem Treffen anwesend?
Sie brachten eine Dolmetscher für arabisch. Ich sagte: „ Ich will Kurdisch sprechen.“ Sie sagten: „ Wie bedauerlich; wir haben keinen Dolmetscher für kurdisch, wir haben nur einen für arabisch.“ Außer Taner selbst waren bei dem Treffen noch drei weitere Personen anwesend. Ein Verantwortlicher vom Militär und noch ein weiterer von der Regierung der für Sicherheit verantwortlich war. Und dann war da auch noch eine ältere Frau. Ich weiß von keinem die Namen.
Worüber haben Sie gesprochen?
Das Treffen dauerte etwa 3 Stunden. Sie stellten mir Fragen, ich beantwortete die Fragen den Interessen der Türkei und der Kurden entsprechend. Anschließend habe ich begonnen ihnen Fragen zu stellen.
„Ist es Ihnen wirklich ernst damit, dass Sie die kurdische Frage lösen wollen?“ fragte ich sie. Emre Taner sagte mir: „Erdoğan sagte mir, dass er die kurdische Frage lösen wolle. Meine Pensionierung stand an, aber Erdoğan wollte, dass ich mein Amt noch sechs Monate weiter führe, damit ich ihm ein Projekt erarbeite, mit der Zielsetzung, die kurdische Frage zu lösen. Ich sagte: ‚Sehr schön‘. Und fragte: ‚Wie sieht Ihr Vorhaben aus?‘“
Er sagte: „In der Verfassung werden Veränderungen vorgenommen. In die Verfassung wird mit aufgenommen, dass es neben den Türken auch das kurdische Volk gibt.“
„Teil des Projekts war auch eine Generalamnestie für die PKK‘ler, es sollten alle frei kommen. Jene die frei kommen, sollten ihre politische Tätigkeit in jenen Tagen unter dem Dach der BDP (Barış ve Demokrasi Partisi) fortführen dürfen. Im Gegenzug erwarteten sie dann von der PKK, dass sie die Waffen niederlege.“
Nach der Amnestie sollten alle in die Türkei zurückkehren. Ich fragte sie: „Nehmen wir mal an, die PKK gibt ihr okay, legt die Waffen nieder, alle sind in die Türkei zurückgekehrt, wenn die Regierung der Türkei dann aber nicht ihre Versprechen hält, was geschieht dann?“
Emre Taner sagte: „Wenn die Regierung ihr Wort nicht hält, dann gehe auch ich in die Berge.“ Ich sagte lächelnd: „Sie sollen herzlich Willkommen sein, ich bringe Sie in die Berge.“
Innerhalb der ersten 3 Jahre sollten etwa 70 Personen der PKK keine Amnestie erhalten.
Er sagte folgendes: „Diese 70 Personen können, wenn sie es wollen, in den Süden, also in unser Gebiet, sie können, wenn sie das wollen, auch in irgend einem Land Europas bleiben. Was sie benötigen, dafür kommen wir auf. Innerhalb der 3 Jahre werden wir Schritt für Schritt auch für diese eine Amnestie durchführen. Mit der Zeit werden auch diese in die Türkei zurückkehren und sich in die Gesellschaft einfügen können.“
Desweiteren sagte er: „Innerhalb dieser 3 Jahre wird Abdullah Öcalan aus dem Gefängnis entlassen und unter Hausarrest gestellt werden. Wir denken uns das ähnlich wie beim Projekt mit Nelson Mandela. In der Zeit, in der wir Abdullah Öcalan unter Hausarrest stellen, kann er mit Menschen, Journalisten u.ä. sprechen. Für die Amnestie Öcalans ist eine Zustimmung des Parlaments notwendig.“
Ich fragte: „Und wenn das Parlament dem nicht zustimmt, was passiert dann?“ Er sagte: „Wir arbeiten darauf hin, ohnehin besteht das Parlament zur großen Mehrheit aus uns. Ich war zwei Mal in Ankara.“
Hat Emre Taner irgendetwas verlauten lassen was darauf hindeuten würde, ob Erdoğan damit einverstanden war oder nicht?
Erdoğan hat ihm selbst angetragen, so ein Projekt zu entwickeln. Anschließend hat er das Projekt Erdoğan vorgestellt und dieser hat seine Zustimmung dazu erteilt. So hat er das erzählt.
Wenn das so ist, dann gehen Sie also davon aus, dass die Vorschläge, die in den Treffen zur Sprache gekommenen sind, alles Vorhaben waren, die die Zustimmung der Regierung besaßen?
Vollständig. Erdoğan und Gül haben all unsere Treffen live verfolgt.
Wie haben Sie davon erfahren?
Man sagte mir, dass sie uns mittels einer Kamera live verfolgen. Als ich das erste Mal dort war sagten sie: „Erdoğan und Gül sehen uns live zu, deshalb mach dir keine Sorgen, was immer auch dir auf dem Herzen liegt, zöger nicht, sprich es frei aus.“
Anschließend kehrten Sie in den Irak zurück …
Ich kehrte zurück und traf mich mit Talabani. Was ich Ihnen berichtet hatte berichtete ich auch ihm.
Talabani sagte: „Der Personenkreis mag 70, mag aber auch 700 umfassen, sie sollen ruhig (zu mir) kommen. Ich stelle ihnen in Süleymaniye ein Haus zur Verfügung, sichere ihren Schutz. Bis die drei Jahre verstrichen sind, werde ich sie schützen. Wenn das Kurden-Problem damit zu lösen ist, dann ist das etwas sehr einfaches.“
Dann bin ich wieder nach Kandil gegangen. Murat Karayılan stand eine Delegation zur Seite. Alles was die Türkei mir gesagte hatte, erzählte ich ihnen. Emre Taner hatte gesagt: „Wenn ich nach Kandil gehen würde, würden sie mich da wohl empfangen?“ Die im Kandil sagten, er solle nur kommen, wir sind bereit, empfangen ihn, treffen uns mit ihm und diskutieren dann.
Nachdem ich berichtet hatte sagten sie: „ Okay, das akzeptieren wir, aber wir stellen eins zur Bedingung. Alle Verhandlungen sollen sie mit Imrali, mit Öcalan führen. Alles was Öcalan sagt, dem stimmen wir zu.“
Ohnehin hatte ich, als ich mich mit Emre Taner getroffen hatte, diesem gesagt: „Öcalan ist nicht weit, Ihr könnt euch mit ihm treffen. Wenn Öcalan sagen würde legt die Waffen nieder, legen sie sie nieder, wenn er sagt stoppt den Krieg, dann stoppen sie den Krieg. Warum gehen Sie nicht zu ihm.“
Und Sie gingen erneut nach Ankara …
Ja, ich ging ein 2. Mal zum MIT. Diesmal stand Emre Taner ein anderer zur Seite. Sie sagten mir, er wäre sein Vize. Jung und gut aussehend.
Kannten Sie diese Person?
Nein.
Ich sagte zu Emre Taner: „Die Freunde akzeptieren ihre Vorschläge, man bereitet sich im Kandil darauf vor Sie zu empfangen. Sie sagen, sie stellen nur die einzige Bedingung, dass die Gespräche auf Imrali aufgenommen werden.“
Was ist bei dem Treffen besprochen worden?
Karayılan bat mich Erdoğan und Taner folgendes zu übermitteln: „Wir sind bereit dazu, die kurdische Frage mit friedlichen Mittel zu lösen. Und wir sind auch bereit, die Waffen nieder zu legen. Aber unter einer Bedingung. Und die ist, dass die Friedensbemühungen auf Imralı aufgenommen werden. Anschließend bin ich wieder nach Kandil gegangen.
Welche Haltung nahm diesmal Kandil ein?
Ich informierte Kandil darüber, was gesprochen worden war. Nach einiger Zeit erklärte mir Kandil: „Zieh dich zurück, denn zwischen Ankara und uns ist ein weiterer Kontakt entstanden.“ Talabani sagte mir das selbe. Danach begannen die Gespräche in Oslo.
Sagten sie Ihnen, welcher Art dieser neue Kontakt war?
Nein.
Als die Gespräche in Oslo liefen, waren Sie da in irgend einer Weise involviert? Wessen Bemühungen sind Ihrer Meinung nach da zum Tragen gekommen, um diese zu ermöglichen?
Das waren sehr geheime Gespräche, aber die Fethullah Gülen-Bewegung hat sie dechiffriert. Einer von Gülens Leuten hat sie offenbart und sie begannen damit, sie gegen Erdoğan zu benutzen. Wer die Gespräche hat zustande kommen lassen, weiß ich nicht.
Zum Hintergrund: Im September 2011 ist ein Mitschnitt der Gespräche von Oslo in den Medien veröffentlicht worden. Es gibt Stimmen die sagen, dass auf dem Mitschnitt Hakan Fidan, Chef des MIT und speziell von Ministerpräsident Erdoğan für diese Aufgabe beauftragt, sein Vize, Afet Güneş, Mustafa Karasu (Mitglied der KCK), Sabri Ok (Mitglied der PKK), Zübeyir Aydar (Vizevorsitzender von KONGRA-GEL) und der Vertreter des die Gespräche koordinierenden Landes zu hören sein sollen.
Pencewini weiter: Es kam ein Hubschrauber zum Kandil. Er holte einen Verantwortlichen des Kandil ab und nahm ihn mit. Wem der Hubschrauber gehörte, weiß ich nicht. Eine Zeit lang wollte die Türkei mich sprechen, aber ich bin nicht hingegangen, da Kandil mir abgeraten hatte.
Nachdem die Gespräche in Oslo abgebrochen waren, wurden Sie wieder involviert. In wie fern?
Nachdem die Gespräche in Oslo abgebrochen worden waren war eine Zeitlang Stille. Um das Projekt wieder zu beleben, bin ich selber aktiv geworden. Ich bin in den Kandil gegangen und habe gefragt: „Was können wir jetzt machen.“ Ich sagte (ihnen) : „Zusätzlich sollten sich die ihren von Europa aus bemühen.“
Die im Kandil fragten mich: „Was schlägst Du vor.“ Talabani hatte mir gesagt: „Geh hin und suche Neçirvan Barzani auf. Die Beziehungen zwischen Barzani und der Türkei sind sehr gut.“ Ich suchte einige Male Neçirvan Barzani (Ministerpräsident der Kurdischen Regionalverwaltung im Irak) auf.
Barzani fragte mich: „Warum sind die Gespräche in Oslo geplatzt. Was war der wirkliche Grund.“ Ich sagte: „Kandil will, dass die türkische Regierung direkt mit Imrali (Abdullah Öcalan) verhandelt. Die türkische Regierung hingegen will direkt mit Kandil verhandeln.“
Später erklärte mir Barzani dann, dass er die türkische Regierung hat davon überzeugen können direkt mit Imralı zu verhandeln.
Wann war das?
Ende 2011, Anfang 2012 …
Was erzählte Ihnen Barzani darüber?
Barzani soll ihnen gesagt haben: „Wenn Sie das wirklich ernsthaft lösen wollen, auf Imrali ist Abdullah Öcalan. Auf Vermittlung Öcalans könnt ihr auch mit Kandil verhandeln.“
Und danach begann die „Sequenz für eine Lösung“ (genannte Zeit der Gespräche) …
Ja, sie begannen, direkt nach Imralı zu gehen. Ahmet Türk, Sırrı Süreyya Önder, Pervin Buldan, Selahattin Demirtaş gingen nach Imrali. Auf diese Weise endete mein Part.
Zum Hintergrund: Am 12.09.2012 begannen die Gefangenen aus der PKK mit einem Hungerstreik. Innerhalb von 2 Monaten wuchs die Zahl der am Hungerstreik beteiligten auf etwa 10.000. Erst auf Intervention Öcalans wurde der Hungerstreik im November 2012 für beendet erklärt. Gleich, am 3. Januar 2013, war dann eine Delegation von zwei kurdischen Abgeordneten bei Abdullah Öcalan auf Imrali. Bei den Abgeordneten handelte es sich um Ahmet Türk und Ayla Akad Ata.
Kann man im Hinblick auf Sie davon sprechen, dass Sie derjenige sind, der die Gespräche zwischen Staat und PKK begonnen hat?
Ja, so in etwa.
Sie haben dann die Gespräche aus der Ferne verfolgt …
Danach kam es ohne hin zur Übereinkunft von Dolmabahçe (Anmerkung: 28.02.2015). Ich war sehr erfreut darüber, dass meine Bemühungen ein Ergebnis hervor gebracht haben. Über die Übereinkunft waren auch Talabani und Barzani sehr glücklich. Aber leider nahm alles ein Ende.
Die letzte Delegation nach Imrali erfolgte am 05. April 2015. Bei dem Treffen mit Öcalan kamen neben vielen Themen auch zur Sprache, dass die HDP an den Wahlen am 7. Juni zum ersten Mal als Partei antreten will, sich also gewiss sein muss, dass sie die 10%-Wahlhürde knacken müssen, um ins Parlament einziehen zu können. Danach wurden keine weiteren Delegationen nach Imrali mehr gestattet. Und Erdogan selbst leugnete bereits überhaupt die Existenz der Übereinkunft von Dolmabahçe.
Als die Zeit der Gespräche ein Ende nahmen, hat sich da irgend eine Seite erneut um Vermittlung an Sie gewandt?
Nein, niemand wandte sich an mich.
Kann sich Ihrer Meinung nach in nächster Zeit erneut eine solche Phase der Gespräche abzeichnen?
Nur wenn Öcalan interveniert und Erdoğan dies gestattet. Denn auch ein Gang nach Imrali wäre ja nur unter Kontrolle Erdoğans machbar.
Würden Sie sich noch einmal um eine derartige Vermittlung bemühen?
Heute ist nichts von den Gesprächen um den Frieden übrig geblieben. Ich denke, der Krieg wird sich noch vertiefen.
Ich bin bereit, alles in meiner Macht stehende zu tun. Trotz meines zunehmenden Alters kann ich zwei Tage lang zu Fuß marschieren und dahin gehen. Wenn Neçirvan Barzani oder ein anders Land der Vermittler ist, dann kann auch ich wieder eine Rolle übernehmen, das ist nicht schwer.
Eine Phase (der Gespräche) wäre für die Türkei, aber auch für die Kurden, notwendig. Ich denke, wenn es auch so sein sollte, dass die PKK und der Staat noch weitere 10 Jahre kämpfen sollten, so werden sie doch letztendlich erneut an den Tisch (zu Friedensgesprächen) zurückkehren müssen.
Die Bemühungen der PKK um den Frieden lassen sich auf das Jahr 1993 zurück datieren. Damals rief die PKK ihren ersten Waffenstillstand aus. Damals wie heute dauert dieses Bemühen an. Zuletzt an Newroz dieses Jahres erklärten die Kurden, trotz aller widrigen Umstände, an ihrem Willen zum Frieden festhalten zu wollen, und dass, obwohl ihnen nur allzu klar ist, dass sie alle persönlich einen hohen Preis dafür werden zahlen müssen.
BestaNûçe, 18. April 2016, ISKU