AZADÎ-Pressemitteilung, 9. Mai 2016
Am Donnerstag, 12. Mai, um 10.00 Uhr beginnt vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf-Hamm, Kapellweg 36 die Hauptverhandlung gegen den kurdischen Politiker Ahmet Çelik, der im Juli 2015 in Siegen festgenommen wurde und sich seitdem in Untersuchungshaft in der JVA Köln-Ossendorf befindet.
Die Anklage wirft dem 51-Jährigen vor, als mutmaßlicher PKK-Kader von Anfang Juni 2013 bis Juli 2014 den Sektor „Mitte“ (u. a. Bielefeld, Köln, Düsseldorf, Bonn) geleitet zu haben. In dieser Funktion sei er mit propagandistischen, personellen und organisatorischen Aufgaben befasst gewesen und habe zwecks Informationsaustauschs in engem Kontakt zu anderen Sektor- und Gebietsleitern sowie der PKK-Europaführung in Belgien gestanden.
Von Mai 2008 bis April 2011 hat sich Ahmet Çelik als Vorsitzender der Föderation kurdischer Vereine in Deutschland, YEK-KOM (heute NAV-DEM) insbesondere für die politische Lösung der Kurdenfrage und eine Demokratisierung der Türkei ebenso eingesetzt wie für eine gleichberechtigte Teilhabe der Kurd*innen an der deutschen Mehrheitsgesellschaft .
Gegen Ahmet Çelik wurden alle geheimdienstlichen Observationsmethoden angewandt – von einer umfassenden Telefonüberwachung, ausgelesenen SMS bis zum Einsatz von IMSI-Catchern.
Der Bundesgerichtshof hat im Oktober 2010 entschieden, die PKK nicht mehr „nur“ als kriminelle Vereinigung im Inland, sondern künftig als „terroristische“ Vereinigung im Ausland nach § 129b StGB einzustufen und politisch aktive Kurd*innen entsprechend zu verfolgen. Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen einer Ermächtigung zur Strafverfolgung durch das Bundesjustizministerium als einzige Instanz, die festlegt, ob eine Organisation terroristisch zu sein hat oder nicht. Eine solche Ermächtigung hat die Behörde am 6. September 2011 erteilt – generell für mutmaßliche Sektor- und Gebietsleiter sowie Deutschlandverantwortliche der PKK.
Diese Entscheidung muss nicht begründet werden und ist rechtlich nicht angreifbar. Die Regelung des § 129b wird in juristischen und Bürgerrechtskreisen als willkürlich, politisch motiviert und mit den Grundrechten unvereinbar kritisiert.
In allen §129b-Verfahren geht es nicht darum, Angeklagten eine individuelle Straftat vorzuwerfen und nachzuweisen. Ausschlaggebend ist einzig, ob die PKK in der Türkei als terroristisch eingestuft wird und ein Angeklagter die Vereinigung unterstützt hat bzw. deren Mitglied gewesen ist.
Angesichts der politischen Entwicklungen seit 2011 (u. a. Gesprächsdialog mit der PKK, Aufbau von Selbstverwaltungsstrukturen in der Türkei und Rojava/Nordsyrien, Rettung zehntausender Yesiden und Yesidinnen durch die HPG, Kampf der Volksverteidigungskräfte von YPG/YPJ gegen die Terrororganisation IS, Einzug der HDP ins türkische Parlament, blutiger Anschlag in Suruç, einseitige Aufkündigung des Friedensprozesses durch Erdoǧan und Kriegführung gegen PKK und kurdische Bevölkerung, EU-Flüchtlingsdeal mit dem AKP-Regime) müssten die Gerichte das Justizministerium auffordern, die Gültigkeit der Verfolgungsermächtigung zu überprüfen.
Nicht zuletzt bedeutet sie wegen der inhaltlichen Vorgaben des Ministeriums für jeden Angeklagten eine Vorverurteilung. Die Staatsschutzsenate der OLGe folgen der staatlich vorgegebenen politischen Richtschnur. Im Vordergrund stehen die in den Anklageschriften seitenlang aufgelisteten Aktivitäten der PKK-Guerilla, von einem staatsterroristischen Vorgehen des türkischen Regimes ist keine Rede.
AZADÎ fordert vor diesem Hintergrund die Einstellung aller Verfahren, die Freilassung der politischen Gefangenen, ein Ende der Kriminalisierung von Kurdinnen und Kurden sowie die Abschaffung des § 129, 129a/b StGB.
AZADî e.V., Rechtshilfefonds für
Kurdinnen und Kurden in Deutschland, Köln