Pressemitteilung, 1. Juli 2016
Im Jahresbericht 2015 des Bundesamtes für Verfassungsschutz findet sich unter der Rubrik „Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern“ – Überblick mit Strukturdaten zu wichtigen Beobachtungsobjekten – erstmalig auch der Rechtshilfefonds AZADÎ (Seite 233).
In dem kurzen Text wird festgehalten, dass es sich bei dem Rechtshilfefonds um einen Verein handele, „dessen Hauptzweck in der finanziellen beziehungsweise materiellen Unterstützung von Personen liegt, die aufgrund ihrer Tätigkeit für die PKK in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden“. So würden „zum Beispiel ganz oder teilweise Anwalts- und Prozesskosten“ übernommen oder „Zeitungsabonnements PKK-naher Zeitschriften für verurteilte Personen“ finanziert. Die Interpretation der von AZADÎ seit nunmehr über 20 Jahren geleisteten Unterstützungsarbeit für von der bundesdeutschen Kriminalisierungspolitik betroffenen Menschen: „Auf diese Weise sollen die Betroffenen auch weiterhin an die Organisation gebunden werden. Es bestehen enge Verbindungen zu PKK-nahen Organisationen sowie zur linksextremistischen Gefangenenhilfsorganisation Rote Hilfe e.V.“
Zur Klarstellung:
AZADÎ versteht sich seit seiner Gründung im Jahre 1996 als ein nicht ausländischer Verein, der sich zur Aufgabe gemacht hat, die in Deutschland lebenden politisch aktiven Kurdinnen und Kurden sowie jene, die sich mit ihnen solidarisieren, zu unterstützen. Das politisch motivierte PKK-Betätigungsverbot, das der damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) im November 1993 verfügte, hatte zu umfassenden Verboten und einer flächendeckenden Kriminalisierung von Aktivitäten und Personen geführt. Das veranlasste Antirepressions- und Bürgerrechtsgruppen, anwaltliche Organisationen, Mitglieder von Parteien, eine Reihe von Einzelpersonen und Vertreter*innen kurdischer Organisationen zu einem Aufruf, sich mit den Kurdinnen und Kurden zu solidarisieren und gegen die Repression zu unterstützen. Aus dieser Initiative ging 1996 der Rechtshilfefonds AZADÎ hervor.
Zu den Aufgaben des Vereins gehörte von Anbeginn an die finanzielle Unterstützung von Personen, die aufgrund des Betätigungsverbots strafrechtlich verfolgt wurden und bis heute werden (insbesondere wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz: Rufen verbotener Parolen, Zeigen verbotener Symbole, Spenden oder Spendensammeln). Es werden ferner Kurd*innen unterstützt, denen wegen politischer Betätigung (sei es die Teilnahme an genehmigten Demonstrationen, das Aufsuchen von kurdischen Vereinen oder der Besuch von Veranstaltungen mit einem kurdischen Bezug wie z.B. die Ermordung der drei kurdischen Aktivistinnen 2013 in Paris oder der gesundheitliche Zustand von Abdullah Öcalan) eine Einbürgerung verweigert oder eine Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert oder der Asylstatus aberkannt wird.
Selbstverständlich gehört zu diesen Aufgaben auch die Unterstützung der kurdischen politischen Gefangenen, die wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129b StGB) inhaftiert, angeklagt und verurteilt werden.
Diese erhalten von AZADÎ monatlich einen Betrag zum Einkauf in den Gefängnissen. Darüber hinaus werden die Kosten für Bücher und die Abo-Gebühren für die Zeitung „Hürriyet“ – sofern sie gewünscht wird – übernommen. Die Zeitung Yeni Özgür Politika wird vom Vertrieb kostenlos zur Verfügung gestellt. Sämtliche Bücher, die die Gefangenen auf deren Wunsch hin erhalten, sind zuvor durch den Ermittlungsrichter beim BGH genehmigt worden.
In dem monatlich erscheinenden ca. 10 – 15 Seiten umfassenden AZADÎ-infodienst werden unter der Rubrik „Unterstützungsfälle“ diese Ausgaben dokumentiert. Darüber hinaus wird über Prozesse berichtet, über aktuelle innen- und asylpolitische Entwicklungen, über die politische Lage in der Türkei und anderen kurdischen Siedlungsgebieten sowie über international relevante Ereignisse. Außerdem treten Vorstandsmitglieder und Mitarbeiter*innen von AZADÎ als Referent*innen und Redner*innen auf.
Nicht zuletzt organisiert AZADÎ internationale Fachtagungen und gibt Broschüren heraus (z.B. aus Anlass des 10., 15. bzw. 20. Jahrestages des PKK-Verbots, zum Thema „Minderheitenschutz, Selbstbestimmungsrecht und Autonomie“ als Beitrag für eine Lösung der kurdischen Frage in der Türkei oder zu den politischen Gefangenen in Deutschland).
Kontakt pflegt AZADÎ naturgemäß zu kurdischen Organisationen; darüber hinaus zu Bürgerrechts-, Flüchtlings- und Antirepressionsgruppen, Anwaltsorganisationen im In- und Ausland.
Verbindungen bestehen seit Gründung von AZADÎ zur Roten Hilfe, die sich mehr als Schutz- und Solidaritätsorganisation denn als „Gefangenenhilfsorganisation“ versteht, was allerdings nicht ausschließt, dass sie auch Gefangene unterstützt.
Die Nennung von AZADÎ im Jahresbericht 2015 ist der Versuch des Bundesinnenministers – Dienstherr des VS , eine Solidarisierung mit den Kurdinnen und Kurden bzw. mit unserem Verein zu torpedieren. Vor dem Hintergrund der seit dem vergangenen Jahr intensivierten deutsch-türkischen Zusammenarbeit nicht nur auf dem Sektor der Flüchtlingsabwehr, sondern auch hinsichtlich einer verstärkten geheimdienstlichen Kooperation unter dem Deckmantel des Anti-Terror-Kampfes, will der Bundesinnenminister offenbar die Repression auf demokratisch legitimierte Solidaritätsarbeit wie die von AZADÎ erweitern. Der lange Arm des türkischen Autokraten Recep Tayyip Erdoǧan darf nicht noch länger werden.
Die Strategie des Staates aus den 1970er-Jahren darf sich 40 Jahre später nicht wiederholen. Zu jener „bleiernen Zeit“ wurden Gruppen, Organisationen und Anwält*innen, die radikale Kritik an den herrschenden Verhältnissen übten bzw. politische Gefangene betreuten oder verteidigten, allesamt in den Dunstkreis des Terrorismus gerückt und für vogelfrei erklärt.
AZADÎ e.V., Rechtshilfefonds für
Kurdinnen und Kurden in Deutschland, Köln