Şiyar war, bevor er sich der Guerilla anschloss, in der linken Szene in Deutschland beheimatet, dazu erklärt er: „ Ich war ständig auf der Suche. Denn in dem was ich vorfand, sah ich keine befriedigende Antwort. Wo es auf der Welt auch nur eine revolutionäre Bewegung gab ich, untersuchte sie. Als Ergebnis fiel meine Wahl auf die Revolution in Rojava, ich war stark beeindruckt von ihr. Auf diese Weise lernte ich die PKK kennen. Um ein Teil dieser Revolution zu werden beschloss ich, mich ihr anzuschließen.
Als ich noch Jugendlicher war, so 13 oder 14 Jahre alt, da entwickelten sich bereits die ersten Widersprüche zum System. Ich sah die Leere, die im Leben der Menschen herrschte. Das System hatte einen roboterartigen Gesellschaftstypus erschaffen. Das Wesen des Lebens bestand nur noch im Materiellen, im Konsum, völlig losgelöst von jeglichen ideellen Werten. Ein solches Leben konnte ich nicht teilen. Ich konnte die herrschende Ungerechtigkeit in der Welt nicht hinnehmen. Ich hätte in dem System nicht leben können und suchte nach einer Alternative.
Über die Praxis der Linken sagt Şiyar: „In ihren Reden geben sie sich sozialistisch, doch Bedingungen für eine Revolution zu schaffen, davon sind sie weit entfernt. Möglicherweise gibt es individuell einige Bemühungen, aber das reicht nicht, um das kapitalistische System zu stürzen. Das ist nicht ausreichend, um der Ungerechtigkeit und den Machtzentren Paroli zu bieten. Ich wollte ein Leben führen in Einklang zwischen Theorie und Praxis. Das führte mich zur Suche nach Alternativen. Denn ich musste für den Sozialismus etwas tun. Ich spürte, dass meine Suche nach einer Alternative wichtig war. Auf der Suche nach Antworten stieß ich auf die PKK. Sie war die Einzige die dem, was ich suchte, entsprach. Bei der PKK überzeugte mich hauptsächlich die Einheit von Theorie und Praxis. Wenn es darum geht ein freies, gleichberechtigtes und alternatives Leben aufzubauen, müssen Praxis und Theorie im Leben übereinstimmen, das heißt, das Leben muss dem Anspruch entsprechen. Mich beeindruckte die Opferbereitschaft und der Mut, mit der die Guerilla der PKK zum Hoffnungsträger der Völker wurde.“
Şiyar hat, bevor er sich der PKK anschloss, die Bücher von Abdullah Öcalan gelesen und Antworten auf Fragen, die ihm im Kopf herum gingen, gefunden. Er erzählt: „Je mehr ich die Philosophie der PKK von Öcalan kennen lernte, um so mehr gelang es mir, mich, meine Familie und die Gesellschaft in der ich lebte zu analysieren, und das machte mich glücklich. Ich fühlte mich, als sei ich neu auf die Welt gekommen. Denn zuvor konnte ich das auf Macht beruhende System mir nicht erklären. Ich bemühte mich wohl die Unterdrückung von Frau und Mann zu begreifen, doch wie Blind uns das System gemacht hat begriff ich erst, nachdem ich in die Berge ging. Ich erkannte, wie verzerrt, im Lichte des freiheitlich liberalen Verständnisses des Systems, sich alles darstellt.
Jetzt erkenne ich, wie unbedeutend das Leben im System, mit einem Versprechen von individueller Freiheit, allein zum Zwecke des Konsums, war, gegenüber dem Leben hier in einem freien Raum, in den Bergen. Ich fühle wie wirkliche Freiheit ist und wie bedeutend das Leben.
Die Jugend der Welt sollte sich um die Revolution bemühen. Die Jugend in Europa sollte erkennen, dass man mit dem System nicht leben kann. Das System täuscht mit seinen ihm eigenen Lügen die Gesellschaft. Die Herren des kapitalistischen Systems sagen, dass die Zeiten der Revolution vorbei seien und der Sozialismus besiegt sei. Das ist eine Täuschung. Der Beweis dafür ist die Revolution in Rojava und das Werk und die Philosophie von Abdullah Öcalan. Die Jugend sollte sich der Guerilla anschließen und für Freiheit, Gleichberechtigung und Sozialismus kämpfen. Şiyar berichtet in kurdischer Sprache. Er erzählt: „Das Leben jetzt in den Bergen ist ein Leben ohne Luxus und Konsum, mit Anstrengungen. Ich liebe es. Man kann sagen, ich liebe die Freiheit“, er strahlt über das ganze Gesicht. Man glaubt ihm, was er sagt. „Als ich noch in Deutschland war, konnte ich kein Kurdisch“, sagt Şiyar. Jetzt kann er es. Er sagt: „Ich kam in die Berge und habe es hier gelernt. Kurdisch ist wirklich eine schöne Sprache.“ Und lächelt erneut.
ANF, 14.08.2016, ISKU