Kennst du Şirnex (Şırnak)? Şirnex ist die Stadt, in der die Ausgangssperre seit 7 Monaten ununterbrochen Tag und Nacht anhält. Es ist die Stadt, in der die Straßen und Stadtteile jeden Tag ein Stückchen mehr abgerissen und vernichtet werden und wo von den zerstörten Häusern nicht einmal mehr der Schutt übrig bleibt. Alles wird fortgeschafft. Und falls du mal in Şirnex warst, das Şirnex, das du kanntest, das gibt es nicht mehr.
Şirnex wurde zerstört. Es wurde vom türkischen Staat zerbombt und niedergerissen. Doch Şirnex wurde nicht zum ersten Mal zerstört. Nach 24 Jahren wurde es jetzt zum zweiten Mal verbrannt und zerstört. Unbeachtet von der Welt, in aller Stille, und das trotz modernster Technik, die die Nachrichten in Sekundenschnelle von einem zum anderen Ende der Welt bringen.
Die Bevölkerung von Şirnex, die mit Verhängung der Ausgangssperre ihre Häuser und Wohnungen verlassen mussten, sie sind nicht abgewandert. Sie sind geblieben, haben an den Hängen der angrenzenden Berge, des Cudi und Gabar, Schutz gesucht und Unterschlupf gefunden. Sie errichteten ihre Zelte so, dass sie von dort aus ihre Stadt sehen können. Hier leben sie jetzt. Etwa 3.000 Familien, rund 10.000 Menschen. An vielen Stellen schossen Zeltsstädte aus dem Boden. Der Konutlar mevkii (Platz der Wohnungen) genannte Ort ist nur eine von vielen. Die Bedürfnisse derer, die hier sind, werden von den Rathäusern von Şirnex und Dergûl (Kumçatı) getragen. Denn die Familien selbst haben mit Verhängung der Ausgangssperre nicht nur ihr Dach über dem Kopf verloren sondern alles, auch ihre Arbeit und ihr Einkommen – dementsprechend groß ist die Not. Aber die Solidarität untereinander macht vieles wett, denn nur so lässt sich das Leben meistern. Neben der Sicherstellung einer Wasserversorgung haben sie einen Backofen errichtet. Es sind Toiletten gebaut und es gibt die Möglichkeit zu duschen. Doch die Nächte werden bereits kälter. Der Herbst und damit der Winter naht. Im Winter kann man hier nicht bleiben. Der Boden, auf denen die Zelte errichtet sind, besteht aus Erde. Wenn der erste Regen kommt, wird er aufweichen und das Leben hier dann zur Qual machen. Vor der Hitze wurden die Zelte mit Zweigen abgedeckt. Doch wie sollen sie sich vor der Kälte des Winters schützen? Im Winter fallen die Temperaturen in Şirnex sehr tief, meterhoch wird dann der Schnee liegen. Was soll dann aus den Kindern werden die hier leben? Eine Schule gibt es hier nicht. Seit der Verhängung der Ausgangssperre können sie nicht mehr zur Schule gehen. Als die Operationen noch andauerten haben die Menschen hier von den Hügeln aus beobachtet, was unten in der Stadt passierte. Seit Monaten ist die Militäroperation beendet, doch die seit dem 14. März dieses Jahres verhängte Ausgangssperre dauert weiterhin an.
Die Menschen wollen ihre Stadt nicht aufgeben, wollen sich nicht vertreiben lassen und haben dafür alles auf sich genommen. Seit Monaten leisten sie tagtäglich Widerstand. Sie fordern die Aufhebung der Ausgangssperre, aber wird es nicht auch Zeit, die Last, die auf ihnen ruht, zu teilen? Zum Beispiel mit einer Patenschaft oder einer Gemeinschaftspatenschaft für eine Familie? Heyva Sorê Kurdistan e.V. wird bei der Vermittlung bestimmt gern behilflich sein (s.a.: Familienpatenschaften – Für die Würde der Menschen in Kurdistan).
ANF, 27.09.2016, ISKU