Der Name Kobane trat im September 2014 mit dem Angriff des Islamischen Staats (IS) plötzlich ins Zentrum der Weltöffentlichkeit. Am 13. September 2014 wurde Kobane, welches in Nordsyrien/Westkurdistan liegt, aus fünf Fronten vom IS umzingelt und auf barbarische Weise angegriffen. Kobane aber leistete mit all seiner Existenz Widerstand gegen die schwarze Pest und ihre barbarischen Angriffe. Die KämpferInnen von den Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG und YPJ, gemeinsam mit internationalistischen Brigaden, haben in Kobane ganze 134 Tage epischen Widerstand geleistet und den IS aus der Stadt vertrieben.
Am 19. Juli 2012 wurde in Kobane die demokratische Autonomie ausgerufen. Durch eine friedliche Revolution konnte Kontrolle über die Stadt gewonnen und die Verwaltung an die Bevölkerung übertragen werden. Die Welle der Revolution hat nach Kobane die kurdischen Regionen Afrin und Cizre erreicht. In diesen drei Regionen wurde das System Demokratischer Autonomie, welches auf Pluralismus und Basisdemokratie basiert, ausgerufen. Es wurden regionale Kantone und demokratischen Selbstverwaltungsstrukturen etabliert.
Für Kobane beginnt im September 2014 eine schwere Zeit. Es werden Wasser- und Stromleitungen vom IS unterbrochen. Nahrung wird knapp, grundlegende Bedürfnisse können nicht gestillt werden. Hilfeleistungen aus dem Norden werden von der Türkei behindert. Die Bevölkerung in Kobane musste sich auf den schlimmsten Fall vorbereiten und war dabei vollkommen auf Eigenkraft angewiesen. Durch gemeinsame Produktion, demokratische Arbeitsteilung, kollektive Verwaltung und Selbstverteidigung konnte der Widerstand organisiert werden. Weil die Wasserleitungen vom IS unterbrochen wurden, mussten Brunnen gegraben werden. Für die Stromversorgung wurden Generatoren kollektiv genutzt. Für die Verteidigung schlossen sich immer mehr Menschen den Volks- und Frauenverteidigungseinheiten an und wurden an der Waffe ausgebildet. Während der IS von drei Fronten mit schweren Waffen, Kanonen und Panzern angriffen, versuchten vielleicht nicht einmal 500 YPG & YPJ KämpferInnen, die meisten von ihnen ohne jegliche Erfahrung, mit selbstgebauten Handgranaten und alten Kalaschnikow-Gewehren dem Angriff standzuhalten und ihre Stadt zu verteidigen.
Vor allem die globalen Dimensionen des Kampfes führten dazu, dass überall auf der Welt Millionen von Menschen mit den WiderstandskämpferInnen in Kobane mitgefühlt und sich solidarisiert haben. Weltweit haben Menschen realisieren können, dass es in Kobane um weit mehr als die Eroberung einer Stadt geht. Die Dialektik zwischen der Verteidigung Kobanes und dem Eintreten für universelle Werte der Menschheit verlieh dem Widerstand einen sowohl globalen als auch symbolischen Charakter. Aus diesem Grund haben sich weltweit Menschen, Organisationen und Bewegungen mit dem Widerstand in Kobane solidarisiert. Aus diesem Grund wurde gesagt „Überall ist Kobane, überall ist Widerstand!“. Der 1. November 2014 wurde sodann zum Welt-Kobane-Tag erklärt. In fast 200 Städten von 35 Ländern in 5 Kontinenten sind Hunderttausende Menschen für die Rojava-Revolution und gegen den IS auf die Straßen gegangen. Diese weltweite Solidaritätswelle hat einen wichtigen Beitrag für die Befreiung Kobanes geleistet.
Nach einem zweieinhalb Monate beginnt am 29. November 2014 die Offensive für die Befreiung Kobanes. Die Offensive beinhaltete nicht nur das Stadtzentrum, sondern das gesamte Gebiet. Kobane sollte vollkommen vom IS befreit werden. Am 26. Januar 2015 war es dann soweit und die Befreiung und Rückeroberung von Kobane konnte deklariert werden.Diese Befreiung hatte historischen Charakter. Denn zum ersten Mal war es möglich den IS, aus einer überfallenen Stadt zu vertreiben. Der Mythos der „unbesiegbaren Barbaren“ war zerstört. Die schwarze Pest hatte vor einer farbenfrohen Front für Freiheit, Selbstbestimmung und Demokratie kapituliert.
Kobane war befreit, jedoch fast komplett zerstört. Internationale Expertengruppen stellten fest, dass 80% der Stadt zerstört war. Grundlegende Dienstleistungen und Infrastruktur, wie Wasser- und Stromversorgung, Bildung, Gesundheit und Straßenwesen waren direkt vom IS als Ziel gesetzt worden, um soviel Schaden wie nur möglich anzurichten und somit die Rückkehr ins Leben zu erschweren.
Seither ist gelungen 22 der 25 zerstörten Schulen in Kobane wiederaufzubauen. 38 Tausend SchülerInnen konnten in ihre Klassenräume zurückkehren. Zwei von ehemals drei Krankenhäusern konnten wiederaufgebaut werden. Darüberhinaus sind zwei neue Gesundheitskliniken hinzugekommen. Die Stromversorgung konnte zu 100% wieder hergestellt werden. Andere Projekte für den Wiederaufbau der Grundlage der zerstörten Stadt, wie ein neues Abwassersystem, zwei Großbäckereien, ein Getreidesilo und die Produktion von 100 Tonnen Mehl pro Tag sowie eine Zement-, eine Teer- und eine Pressformfabrik für die Stillung der Bedürfnisse der Bevölkerung in und um Kobane sind im Gange. Ebenso werden Straßen neugebaut. Der Bevölkerung wird subventioniertes Zement und anderes Baumaterial zur Verfügung gestellt, damit sie ihre Häuser günstig wieder aufbauen können. Darüberhinaus erhalten die Menschen subventionierte Grundnahrungsmittel, wie Brot, Zucker, Öl, sowie Heizöl.
Der Wiederaufbauprozess der Stadt wird erschwert durch ein de-facto Embargo. Sowohl die Türkei als auch die Kurdische Regionalregierung (KRG) im Nordirak halten die Grenzposten zu Rojava größtenteils geschlossen. Aus diesem Grund können Hilfsgüter und humanitäre Hilfe nicht über die Grenze transportiert werden. Darüberhinaus unterstützt der Kanton Kobane Tausende Binnenflüchtlinge aus Manbich, Rakka und Aleppo. Aus diesem Grund ist vor allem humanitäre Hilfe unerlässlich.
Viele Einzelpersonen und Organisationen aus allen Teilen der Welt solidarisieren sich auch weiterhin mit Kobane und leisten einen Beitrag für den Aufbau. Auch sind internationale BrigadistInnen direkt am Wiederaufbau der Stadt beteiligt. Diese internationale Solidarität und Unterstützung ist wichtig. Der Krieg in Rojava dauert noch immer an. Momentan besteht die Gefahr eines zweiten Kobane im Kanton Afrin, der momentan von türkischen Streitkräften, der Freien Syrischen Armee und dem IS umzingelt ist. Aus diesem Grund ist keine Zeit zu verlieren. Der 1. November wird mindestens solange als internationaler Solidaritätskampftag weitergeführt, bis die Rojava-Revolution gesichert und Angriffen ein Ende gesetzt wird. Deshalb gehen auch in diesem Jahr wieder am 1. November überall auf der Welt und in Kurdistan Menschen, die für die Werte der Revolution, für Selbstverwaltung, direkte Demokratie und Frauenbefreiung einstehen, auf die Straße. .
Für Unterstützung des Wiederaufbaus von Kobane: helpkobane.com
Kurdisches Frauenbüro für Frieden