Tahir Elçi – YPS Kämpfer spricht von Mord

Interview mit Uğur Yakışır

Interview mit Uğur Yakışır | Foto: ANF

BEHDÎNAN – Fast ein Jahr ist seit der Ermordung von Tahir Elçi, dem ehemaligen Präsidenten der Rechtsanwaltskammer von Amed (türk. Diyarbakır), am 28. November 2015 vergangen. Zeuge des Mordes wurde Uğur Yakışır, ein Kämpfer der Zivilen Verteidigungskräfte YPS, die einen monatelangen Verteidigungskampf um die kurdischen Städte unter türkischer Besatzung führten. Er sprach mit ANF und gab preis, dass Elçi von staatlichen Kräften ermordet wurde.

Uğur Yakışır und sein Cousin Mahsun Gürkan waren in dem veröffentlichten Videomaterial zu sehen, als sie an der Pressekundgebung und dem viersäuligen Minarett vorbei rannten, nachdem es ein Auseinandersetzung mit der Polizei im Viertel Balıkçılarbaşı gab. Damals versuchten der Staat und die türkischen Medien die beiden Jugendlichen als Täter zu brandmarken.

Uğur Yakışır und Mahsun Gürkan waren Teil des Widerstandes von Sur, dem Altstadtviertel von Amed, welcher über vier Monate andauerte. Mahsun Gürkan fiel bei der Verteidigung gegen die türkische Armee, Uğur Yakışır überlebte. Er ist der einzige verbliebene Augenzeuge des Mordes an Tahir Elçi. Uğur Yakışır gelang es durch die militärische Blockade um Sur zu gelangen und die selbstverwalteten Gebiete in den Bergen Kurdistans zu erreichen. In seiner Aussage macht er die AKP loyale Polizei für den Mord an Tahir Elçi verantwortlich.

„KOMM NICHT HOCH, ICH KOMME RUNTER“

Es begann als Uğur Yakışır und Mahsun Gürkan von dem Grab ihres Cousins Süleyman Yakışır zurück kamen, dieser fiel ebenfalls als Kämpfer der YPS vor dem Maternity Krankenhaus.

Yakışır erzählte, dass sie ein Taxi nahmen, welches vor dem Yenikapı Friedhof stand. Sie fragten den Fahrer, ob er „beschäftigt oder frei sei“ und ob er sie „ins Viertel Gaziler bringen könnte“.

Der Fahrer sagte ja. Sie fuhren mit dem Taxi und bemerkten nach kurzer Zeit, dass der Taxifahrer ein verdeckter Polizist war, da im Taxi der Polizeifunk lief.

Sie forderten den Fahrer auf anzuhalten und sie aussteigen zu lassen. Sie suchten ein neues Taxi und fuhren weiter. Sie baten den neuen Taxifahrer sie im Viertel Balıkçılarbaşı abzusetzen. Nach einer Weile rief der Taxifahrer jemanden an und sagte: „Komm nicht hoch, ich komme runter“. Sie begriffen nicht was dies bedeutete. Die Polizei wartete währenddessen auf die beiden jungen Männer in Gaziler, dem Reiseziel des ersten Taxis.

Tatsächlich telefonierte der zweite Taxifahrer eben mit jener Polizei und gab eine kodierte Botschaft durch. Yakışır wollte direkt vor der alten Karawanserei am Anfang von Balıkçılarbaşı aussteigen.

„Wenn ich mich richtig erinnere, dann war es genau 100 türkische Lira. Der Fahrer fragte uns, ob wir nicht noch ein Stück weiter fahren wollen. Wir sagten nein. Währenddessen fuhr er weiter ins Viertel hinein. Wir baten ihn zu stoppen. Dann holte er seine Brieftasche heraus und erklärte, er hätte kein Wechselgeld mehr und wolle kurz welches in einem Laden klein machen. So landeten wir in Balıkçılarbaşı. Sobald das Taxi anhielt, sah ich drei Polizisten auf uns zukommen. Einer von ihnen mit einer Kalashnikow. Ich lud meine Waffe. Meine Tür wurde geöffnet, ein Polizist richtete seine Waffe auch mich, ich schoss auf ihn. Dann schoss ich auf den Polizisten direkt vor mir. Ich saß auf dem Vordersitz. Kurz darauf sah ich den Polizisten mit der Kalashnikow und den Taxifahrer davon rennen. Mahsun saß auf der Rückbank, er hatte sein Magazin verloren und wir hatten keine Zeit es zu suchen. Er hatte nicht einen Schuss abgegeben. Wir wollten dann in die Straße, die zum viersäuligen Minarett führt. Dort ist noch ein weiterer Platz auf der rechten Seite. Ich wollte dorthin flüchten. Als ich über den Platz lief kamen drei weitere Polizisten, ich schoss auf sie. Auch diese Polizisten wurden getroffen“.

„MEINE HAND, MEIN NACKEN, MEIN FUSS, ICH WAR VERWUNDET“

Yakışır berichtete, dass Mahsun Gürkan vor ihm war, als sie die Straße zum viersäuligen Minarett betraten und erzählte weiter: „Er war vor mir und schrie, ich hörte seine Stimme. Ich konnte wegen der Schüsse nicht verstehen was er sagte. Ich rannte so schnell ich konnte hinter ihm her. Ich wollte mein Ersatzmagazin aus meiner Tasche holen um nachzuladen. Ich dachte ich hätte es in der Hand, doch es war mein Telefon. Ich rannte auf das viersäulige Minarett zu mit einer leeren Pistole und einem Telefon in meinen Händen.

In dem Video ist zu sehen, dass ich in meiner anderen Hand ein Telefon halte. Ich wurde von hinten und vorne beschossen. Als ich die Polizisten vor mir wahrnahm, warf ich meine leere Waffe auf sie. Ich rannte einfach weiter. Als ich dann an dem viersäuligen Minarett vorbei lief, sah ich jemanden auf dem Boden liegen. Ich hatte keine Ahnung wer er war. Mahsun war schon ein Stück vor mir. Ich rannte in die Kirchenstraße“.

Yakışır erreichte schließlich das geschützte Gebiet unter Kontrolle der YPS und sah dort Mahsun Gürkan wieder.

„Auch er ist über die Stellung, die wir „viersäulige Minarett Stellung“ nennen gekommen und wartete dort auf mich. Meine Hand, mein Nacken, mein Fuß, ich war verwundet. Mahsun hatte nichts abbekommen, ihm ging es gut. Erst dort konnte er mir erzählen, dass er sein Magazin im Taxi verloren hatte und so keinen einzigen Schuss hatte abgeben können. Auch er hatte jemanden am viersäuligen Minarett zu Boden gehen sehen“.

Yakışır erklärte, dass auch Gürkan nicht wusste, dass die ermordete Person Tahir Elçi war. „Nachdem wir kurz miteinander geredet hatten, gingen wir weiter ins Viertel zu unserer Einheit. Dort erzählte man uns, dass Tahir Elçi ermordet wurde. Kurz darauf wurde die Ausgangssperre verhängt“.

DER MÖRDER BEFAND SICH NAHE DER JAPON PASSAGE

Uğur Yakışır und Mahsun Gürkan wurden nach Sur verlegt, wo kurze Zeit später Mahsun Gürkan im Kampf gegen die türkische Armee fiel. Der einzig verbliebene Zeuge des Mordes, Uğur Yakışır, erklärte, dass sie von der Polizei durch das Taxi bewusst und geplant in das Viertel gebracht wurden. Yakışır sagte, dass sich der Mörder nahe der Japon Passage befunden hat, dieser schoss auch auf Yakışır und verwundete ihn.

„Wir wussten zu dem Zeitpunkt nicht, dass dort eine Pressekundgebung stattfand, dass sich dort Tahir Elçi befand und schließlich sein Leben verlor. Noch einmal, bereits als wir in die Straße einbogen hatten wir keine einzige Kugel mehr. Wir konnte nicht schießen. Mahsun hatte nicht einmal ein Magazin. Ich hatte mein erstes bereits leer geschossen und nicht die Möglichkeit es gegen mein Ersatzmagazin zu wechseln.“, so Yakışır. Er ist der Überzeugung Tahir Elçi wurde ermordet.

Yakışır berichtete zudem, dass er auf der Flucht auch aus Richtung der Japon Passage beschossen wurde. „Es waren zwei einzelne Schüsse auf mich aus dieser Richtung und die Waffe klang anders als die anderen. Ich weiß von meinem Training, dass dies ein Scharfschützengewehr gewesen sein muss. Einer der Schüsse streifte und verwundete mich im Nacken. Es ist möglich, dass Tahir Elçi von dort ermordet wurde. Sie hätten versuchen können uns auf dem Yenikapı Friedhof oder an einem anderen Ort festzunehmen, sie hätten uns auch stoppen und verhaften können. Dem Videomaterial nach zu urteilen, befanden sie sich sowohl vor, als auch hinter uns. Und auch das Drängen des Fahrers uns noch weiter ins Viertel zu fahren ist äußerst verdächtig. Sie brachten uns ganz bewusst in die Nähe dieser Straße und zu diesem Ort“.

Doğan Çetin – ANF, 22. November 2016, ISKU

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