Dossier zur Situation des inhaftierten PKK-Vorsitzenden ABDULLAH ÖCALAN
18. Jahr der Geiselnahme – 18 Jahre unglaublicher Friedenswillen
The Committee for Freedom of Öcalan
Februar 2017
Dossier zur Situation des inhaftierten PKK-Vorsitzenden ABDULLAH ÖCALAN – PDF
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ……………………………………………………………………………………………………………………………… 1
Wer ist Abdullah Öcalan? ……………………………………………………………………………………………………….. 2
Friedensinitiativen Öcalans ……………………………………………………………………………………………………… 3
Staatspräsident Erdoğan stoppt die Friedensgespräche ………………………………………………………………… 4
Totale Isolation von Öcalan bedeutet totalen Krieg gegen Kurden………………………………………………… 4
Seit Jahren fordern Millionen von Menschen „Freiheit für Abdullah Öcalan“ ………………………………… 5
Öcalan bekundet erneut Willen zum Frieden ……………………………………………………………………………… 6
KCK: Mit der Isolation Öcalans wird die kurdische Bevölkerung erpresst …………………………………….. 6
Anwälte protestieren gegen die Isolation Öcalans ………………………………………………………………………. 6
Annäherung an Öcalan Gradmesser für Aussicht auf eine Lösung im türkisch-kurdischen Konflikt …. 7
Auswirkung im Mittleren Osten ……………………………………………………………………………………………….. 7
Die Debatte um die Todesstrafe als Teil einer Phase des Genozids – Von der Drohung zur Realität? … 8
Bericht über die beobachteten Rechtsverletzungen im Gefängnis von Imrali für das Jahr 2016 ………. 11
Einleitung
Am 15. Februar jährt sich zum 18. Mal der Jahrestag des internationalen Komplotts gegen Abdullah Öcalan. 18 Jahre lang versucht Abdullah Öcalan trotzt unmenschlichen Haftbedingungen die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Region einzudämmen, indem er zum einen versucht, Lösungsansätze für die kurdische Frage zu entwickeln und zum anderen für ein Gesellschaftsmodell plädiert, das die Grundlage für Unterdrückung, Krieg und Ausbeutung aus der Welt schaffen soll.
Trotz seiner Bemühungen, die Auswirkungen der gegenwärtigen Krise im Mittleren Osten zu begrenzen und Lösungen zu entwickeln, heizen die staatlichen Akteure der Region den Konflikt derzeit immer weiter an. So gerät die Krise total aus dem Ruder und der Bürgerkrieg befällt die gesamte Region. Der türkische Staat nimmt hierbei eine besonders negative Rolle ein. Denn nachdem die AKP-Regierung innerhalb ihrer 15-jährigen Regierungszeit die Türkei in eine Diktatur getrieben hat, wird seit einiger Zeit die Forderung nach der Einführung der Todesstrafe immer lauter. Erdogan erklärte bereits, dass er einen entsprechenden Gesetzesvorstoß im türkischen Parlament ohne Zweifel unterzeichnen würde. Dies würde einer weiteren Zuspitzung der Krise im Mittleren Osten bedeuten.
Allen ist klar, dass die Forderung nach der Todesstrafe eine Botschaft an die Kurden ist und auf den PKK-Vorsitzenden Öcalan anspielt. Die Vollstreckung der Todesstrafe, im Falle ihrer Einführung, gegen die Person Öcalans steht im Raum. Ein solcher Schritt wäre gleichbedeutend mit einem möglicherweise jahrzehntelangen Bürgerkrieg in der Türkei. Doch da Erdogan bereits bewiesen hat, dass er sich von Instabilität, Chaos und Krise nährt und seine Macht darüber ausbaut, ist diese Drohung ernst zu nehmen.
Abdullah Öcalan verließ 1998 Syrien, weil die Türkei dem syrischen Nachbarstaat mit Krieg drohte, falls Öcalan nicht des Landes verwiesen würde. Abdullah Öcalan verließ daraufhin Syrien, um einerseits keinen Anlass für einen Krieg darzustellen, und andererseits durch seine Reise in Richtung Europa dort eine politische Lösung für die kurdische Frage voranzubringen.
Aber alle Staaten beugten sich dem Druck von Staaten wie der USA, Deutschland oder Israel und verwehrten Öcalan das Recht auf Asyl, sodass er Europa verließ und in Richtung Kenia weiterreiste, wo er vorübergehend in der griechischen Botschaft untergebracht werden sollte.
Am 15. Februar 1999 wurde Abdullah Öcalan dann in Kenia mit Hilfe der amerikanischen und israelischen Geheimdienste in einem Piratenakt verschleppt und an die Türkei übergeben.
Die Festnahme des “Staatsfeindes Nummer 1” wurde voreilig vom türkischen Staat zum Sieg über die Kurden, die seit den 1980er Jahren unter Führung Öcalans gegen ihre Unterdrückung und Diskriminierung durch den Staat kämpften, erklärt. Die Festnahme des kurdischen Anführers wurde von den Kurdinnen und Kurden als Resultat einer “internationalen Verschwörung” angesehen, einer Aberkennung der Legitimität des kurdischen Widerstandes, die von den Geheimdiensten mehrerer Länder vorangetrieben wurde. Seine Entführung führte zu einer Welle der Empörung und zu Protesten von Kurdinnen und Kurden in aller Welt.
Der Festnahme Öcalans folgte ein Schauprozess, der allein darauf abzielte ihn als “Terroristen” darzustellen. Doch dies entspricht insofern nicht der Realität, als dass der Krieg in Übereinstimmung mit dem internationalen Recht steht. So fällt der bewaffnete Konflikt und kurdische Widerstand in das Humanitäre Völkerrecht nach den Genfer Konventionen von 1949 und den Zusatzprotokollen von 1977. Die PKK hat die Genfer Konventionen 1995 unterzeichnet. Das Gericht verhängte die Todesstrafe, welches später in Lebenslanger Haftstrafe umgewandelt wurde.
Unter diesen Rahmenbedingungen nutzte Öcalan seine Verteidigungsreden, um über die Möglichkeit für Frieden und Aussöhnung zwischen Türken und Kurden- basierend auf der Anerkennung kurdischer Kultur und regionaler Unterschiede innerhalb eines einheitlichen Staates- zu reden. Diese Reden waren sehr wichtig und entscheidend, stand die Türkei doch damals kurz vor einem ausgeprägten Bürgerkrieg. Diese Haltung verhinderte, dass die Türkei völlig in einen türkisch-kurdischen Bürgerkrieg schlitterte.
Die Anwälte von Öcalan brachten den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, um so das Urteil des unfairen Prozesses in der Türkei aufzuheben. Der Gerichtshof entschied 2003, dass der Prozess gegen Öcalan nicht fair gelaufen ist, sein Anrecht auf eine faire Prozessvertretung eingeschränkt war und dass er unmenschlichen Bedingungen im Gefängnis in Imrali ausgesetzt wurde. Leider hat der Europäische Gerichtshof seine Rolle nicht komplett ausgefüllt und es gab keine Versuche, die illegale Entführung oder das Verletzen des Kriegsrechtes näher zu untersuchen. Diese zurückhaltende Haltung ermutigt bis heute den türkischen Staat, mit seiner Isolierungspolitik fortzufahren und es wird kein konkreter Druck auf die Türkei aufgebaut, dass diese sich in einen gesetzlich festgelegten Friedensprozess einbringt. Während der 16-jährigen Gefangenschaft von
Öcalan hat das europäische Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) nach Massenprotesten und Aktionen der kurdischen Bevölkerung (wie Hungerstreiks, Demos und Unterschriftenkampagnen)- verschiedene Berichte veröffentlicht, aus denen hervorging, dass der türkische Staat gegen Öcalans Menschenrechte verstößt und ihn weiterhin in Isolationshaft gefangen hält. Dies führte jedoch nie zu konkreten Sanktionen.
Wer ist Abdullah Öcalan?
Abdullah Öcalan wird von Kurdinnen und Kurden als ihr politischer Repräsentant angesehen. Als ihr bedeutendster Vertreter im Kampf um Rechte und Demokratie gilt er als Symbol für die Freiheit der KurdInnen. Er ist der Vorsitzende der 1978 gegründeten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und setzt sich in dieser Funktion seit Anfang der 1990er Jahre für eine politische Lösung der kurdischen Frage ein. Er wendet sich gegen Separatismus und Sezessionismus und präsentiert als Lösungsperspektive einen demokratischen Mittleren Osten mit gleichberechtigten Völkern. Auch nach seiner internationalen Verschleppung und Auslieferung in die Türkei am 15. Februar 1999 setzte sich Öcalan von der Gefängnisinsel Imrali, auf der er eine lebenslängliche Haftstrafe verbüßt, weiterhin für eine friedliche Lösung im türkisch- kurdischen Konflikt ein. Der Anfang 2013 aufgenommene Lösungsprozess zwischen dem türkischen Staat und der PKK sind im Wesentlichen auf diese Bemühungen Öcalans zurückzuführen.
An einer weltweit geführten Unterschriftenkampagne für die Freiheit von Abdullah Öcalan, die im September 2012 mit 1000 namhaften ErstunterzeichnerInnen initiiert worden war, beteiligten sich bis Anfang des Jahres 2015 mehr als 10,3 Millionen. Das TIME Magazine kürte ihn 2013 zu einer der 100 weltweit einflussreichsten Persönlichkeiten.
Friedensinitiativen Öcalans
Öcalan war die treibende Kraft hinter der Verschiebung des Schwerpunkts der kurdischen Bewegung von einer hauptsächlich militärisch orientierten auf eine primär politisch und friedlich ausgerichtete Strategie. Seit dem ersten einseitigen Waffenstillstand der PKK im Jahr 1993 bemüht er sich kontinuierlich intensiv um eine friedliche Lösung in der kurdischen Frage. Bis zur Zeitpunkt der Verschleppung Öcalan wurde im Zeitraum 1993-1999 insgesamt (20. März 1993, 15. Dezember 1995, 1. September 1998).
Die Friedensbemühungen hielten auch nach seiner Festnahme an. So wurde die erste Waffenruhe am 1. September 1999 ausgerufen und hielt bis 2004 an. In dieser Zwischenzeit reagierte die PKK auf den Aufruf von Öcalan und zog seine bewaffneten Kräfte außerhalb den Staatsgrenzen der Türkei zurück. Ein Ergebnis dieser Phase war der vollständige Rückzug der bewaffneten Kräfte der PKK aus dem Staatsgebiet der Türkei. Dies stellte den Beginn eines fünfjährigen Waffenstillstandes dar, dem längsten in der Geschichte des Konflikts. Eine weitere überraschende Entscheidung im selben Jahr war der Vorschlag Öcalans, zwei
„Friedensgruppen“ bestehend aus PKK-Mitgliedern in die Türkei zu entsenden, um die Bereitschaft für eine friedliche Lösung zu unterstreichen. Die beiden Gruppen trafen tatsächlich in der Türkei ein, aber die Mitglieder der Friedensgruppen wurden unverzüglich festgenommen und sitzen nun zum Teil langjährige Haftstrafen ab.
Der türkische Staat verpasste diese Gelegenheit für Friedensgespräche und reagiert nicht positiv und ernsthaft auf diese Geste. Als die Gewalt in den Jahren 2006/2007 zum wiederholten Male eskalierte, intervenierte Öcalan erneut und rief die PKK zu einem erneuten Waffenstillstand auf. Während die PKK dem Waffenstillstand zustimmte, wurde er vom türkischen Staat nicht anerkannt.
Öcalans dritter Aufruf für Friedensverhandlungen und einen Waffenstillstand erfolgte im Jahr 2009, als die „Oslo-Verhandlungen“ eingeleitet wurden. Zwischen 2009 und Mitte 2011 fanden geheime Verhandlungen zwischen Öcalan, einer vom türkischen Staat benannten Delegation von Staatsvertreter_innen und langjährigen PKK- Mitgliedern statt, die später als „Oslo-Prozess“ bekannt wurden. Thema war eine politische Lösung der Kurdischen Frage. Auf Grundlage der Roadmap für Verhandlungen, die Öcalan im Jahr 2009 verfasste, einigten sich die Parteien auf drei Protokolle. Sie umfassten einen Zeitplan für die Beendigung des Konflikts und eine politische Lösung der kurdischen Frage. Zusätzlich rief Öcalan 2010 zu einer erneuten Friedensdelegation in die Türkei auf. Als Reaktion darauf übertraten eine Gruppe unbewaffneter Guerilla-Mitglieder und Geflüchteter aus dem Mexmûr-Camp die Grenze zwischen Südkurdistan (Irak) und der Türkei als Symbol für die Bereitschaft für Frieden und Verhandlungen. Im Gegensatz zu der ersten Friedensdelegation wurde diese Gruppe nicht direkt festgenommen, was rückblickend betrachtet zu einem falschen Gefühl der Hoffnung und Sicherheit führte. Die Delegation wurde überschwänglich von den Kurd_innen begrüßt, die hofften, dass „der Krieg endlich zu Ende ist“.
Die türkische Regierung entschied sich jedoch nicht für die Umsetzung des Plans und die Eröffnung von Diskussionen. Viele Mitglieder der Friedensdelegation wurden bald verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Aufgrund der Gewalteskalation ab Juli 2011 antwortete Öcalan erneut auf die Aufrufe sozialer Bewegungen zu einem erneuten Waffenstillstand und startete zu Beginn des Jahres
2013 einen neuen Verhandlungsprozess, den sogenannten „Imrali-Prozess“. Letztendlich wurde auch dieser bedeutende und jüngste Versuch von Präsident Erdogan beendet, als er im März 2015 erkannte, dass der Prozess erfolgsversprechend verlief. Er sagte damals sogar, „es gibt keinen Verhandlungstisch, keine Kurdische Frage und keinen Friedensprozess“. Mit dieser Aussage wurden alle Hoffnungen auf einen fortschreitenden Friedensprozess zunichte gemacht.
Staatspräsident Erdoğan stoppt die Friedensgespräche
„Im seit fast zweieinhalb Jahren andauernden Friedensprozess wurde in Hinsicht auf die Schaffung eines nachhaltigen Friedens eine bedeutende Etappe erreicht“, erklärte Idris Baluken, Mitglied der Imrali-Delegation, am 19. Mai auf einer Presseerklärung zu dem Abbruch der Gespräche im Lösungsprozess. Doch dann sei es durch eine Intervention des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu einem abrupten Ende der Friedensgespräche gekommen. Tatsächlich erreichte der Lösungsprozess, kurz bevor sich Erdoğan zu Wort meldete, seinen vorläufigen Höhepunkt und weckte die Hoffnungen auf eine baldige Lösung in der kurdischen Frage. In einer gemeinsamen Erklärung der Imrali-Delegation und Vertretern der türkischen Regierungspartei wurde am 28. Februar 2015 im Dolmabahçe-Palast
ein 10-Punkte-Plan, der den Rahmen für die Friedensverhandlungen zwischen den Konfliktparteien darlegt, mit der Öffentlichkeit geteilt. Doch kurz nach dem Aufkeimen der Friedenshoffnungen kritisierte Erdoğan sowohl die gemeinsame Erklärung im Dolmabahçe-Palast als auch den Inhalt des 10-Punkte-Plans. Es gäbe weder einen Verhandlungstisch, noch eine kurdische Frage, machte Erdoğan klar, was einem Befehl für den Abbruch des Lösungsprozesses gleichkam. Die erneute Totalisolation Abdullah Öcalans seit dem April 2015 ist ein Ergebnis dieses Abbruchs.
Totale Isolation von Öcalan bedeutet totalen Krieg gegen Kurden
Der Umgang der Regierung bzw. des türkischen Staates mit Abdullah Öcalan ist immer ein Spiegelbild ihrer Politik gegen die kurdische Bevölkerung. Bevor die Friedensgespräche zwischen ihm Person und Vertretern des türkischen Staates Ende Juli letzten Jahres endgültig für beendet erklärt worden waren, setzte die AKP bereits im April 2015 auf die erneute Totalisolation Öcalans. Auf die Isolationshaft seit dem 05. April 2015 folgte ein umfassender Krieg des türkischen Staates in den Städten Nordkurdistans. Kurdische Städte und Bezirke wie Sur, Cizre, Nusaybin, Silopi, Sirnak und Mardin wurden vom Boden und aus der Luft angegriffen. Hunderte von ZivilistInnen wurden dabei ermordet. Nach Angaben des Menschenrechtsvereins IHD verloren so innerhalb eines Jahres (Zwischen 24. Juli 2015 bis 24. Juli 2016) insgesamt 1552 Menschen ihr Leben. Begleitet wurde diese Kriegspolitik von rechtlichen Maßnahmen des türkischen Staates gegen die kurdische Politik. So wurden Gesetze zur Aufhebung der Immunität von kurdischen Parlamentsabgeordneten und zur Absetzung kurdischer Bürgermeister verabschiedet. In der zweiten Septemberwoche wurden 11.500 kurdischen Lehrer_innen vom Dienst suspendiert und über 20 kurdische Stadtverwaltungen wurden innerhalb eines Tages unter staatliche Zwangs-verwaltung gestellt.
Diese kurdenfeindliche Politik des türkischen Staates ist nicht nur auf ihre Innenpolitik begrenzt. Auch die Errungenschaften der KurdInnen in Syrien wurden von Anfang an von der Türkei mit Argwohn beobachtet. Die Türkei geht sogar so weit, dass sie Mörderbanden wie den IS unterstützt, damit dieser die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete bekämpft und angreift. Sie schloss ihre Grenzen zum nordsyrischen Rojava und setzt die Region so unter ein wirtschaftliches Embargo, wodurch die Bevölkerung der Gefahr einer humanitären Katastrophe ausgesetzt wird. Sie macht keinen Hehl daraus, dass die Kurden in Syrien für sie eine viel größere Gefahr darstellen als der IS. Zuletzt begann sie am 24 August 2016 in der nordsyrischen Grenzstadt Dscharablus gemeinsam mit Gruppen des FSA eine Besatzungsoffensive gegen Rojava. Alleine die genannten Entwicklungen reichen aus, um zu erkennen wie gefährlich die Anti-Kurdenpolitik des türkischen Staates ist.
Seit Jahren fordern Millionen von Menschen „Freiheit für Abdullah Öcalan“
Herr Öcalan wird seit 1999 auf der Gefängnisinsel in einer Einzelzelle gefangen gehalten. Seit dem 5. April 2015 befindet er sich in absoluter Isolationshaft. Der türkische Staat erneuerte sein Konzept des totalen Krieges gegen die Freiheitsbewegung der Kurden, als er Abdullah Öcalan inhaftierte und ihn in Isolationshaft hielt. Für die letzten 17 Monate wurde ihm nicht erlaubt, sich mit seiner Familie, seinen Anwälten oder sonst jemanden zu treffen. Viele Jahre lang haben die Kurden regelmäßig Mahnwachen außerhalb des Lehrer_innen vom Dienst suspendiert und über 20 kurdische Stadtverwaltungen wurden innerhalb eines Tages unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt.
Diese kurdenfeindliche Politik des türkischen Staates ist nicht nur auf ihre Innenpolitik begrenzt. Auch die Errungenschaften der KurdInnen in Syrien wurden von Anfang an von der Türkei mit Argwohn beobachtet. Die Türkei geht sogar so weit, dass sie Mörderbanden wie den IS unterstützt, damit dieser die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete bekämpft und angreift. Sie schloss ihre Grenzen zum nordsyrischen Rojava und setzt die Region so unter ein wirtschaftliches Embargo, wodurch die Bevölkerung der Gefahr einer humanitären Katastrophe ausgesetzt wird. Sie macht keinen Hehl daraus, dass die Kurden in Syrien für sie eine viel größere Gefahr darstellen als der IS. Zuletzt begann sie am 24 August 2016 in der nordsyrischen Grenzstadt Dscharablus gemeinsam mit Gruppen des FSA eine Besatzungsoffensive gegen Rojava. Alleine die genannten Entwicklungen reichen aus, um zu erkennen wie gefährlich die Anti-Kurdenpolitik des türkischen Staates ist.
Seit Jahren fordern Millionen von Menschen „Freiheit für Abdullah Öcalan“
Herr Öcalan wird seit 1999 auf der Gefängnisinsel in einer Einzelzelle gefangen gehalten. Seit dem 5. April 2015 befindet er sich in absoluter
Gebäudes des CPT in Straßburg abgehalten. Seit vier Jahren wurde eine dauerhafte Mahnwache aufrechterhalten. Hunderttausende von Menschen versammelten sich auf Demonstrationen und 10 Millionen Menschen unterschrieben eine Petition, welche internationalen Institutionen vorgelegt wurde.
Trotz all dieser Anstrengungen wurden nicht alle notwendigen juristischen Mittel angewandt und die Haltung des türkischen Staates gegenüber Abdullah Öcalan hat sich nicht verändert. Mit dem Versuch des Militärputsches am 15. Juli 2016 in der Türkei hat die Sorge über Herrn Öcalans Leben, Gesundheit und Sicherheit massiv zugenommen. Aufgrund der Dringlichkeit der Situation sind ezidische Kurden seit dem 23. August 2016 in einen unbegrenzten Hungerstreik getreten, um das CPT aufzurufen, sofort Maßnahmen zu ergreifen. Im türkischen Teil Kurdistans haben 50 gewählte Offizielle, eingeschlossen Parlamentsabgeordnete, Bürgermeister und Menschenrechtsaktivisten, ebenfalls aus dem gleichen Grund einen unbegrenzten Hungerstreik am 5. September begonnen. Die Streikenden und die kurdische Bevölkerung fordern von den internationalen Organisationen und dem CPT, die Sorgen der kurdischen Bevölkerung und ihrer Freunde zu verstehen und Herrn Öcalan auf Imrali umgehend zu besuchen.
Öcalan bekundet erneut Willen zum Frieden
Schließlich durfte am 11. September sein Bruder auf die Gefängnisinsel und ein Treffen fand statt. Diese Entwicklung ließ das kurdische Volk endlich aufatmen. In Öcalans Botschaft an die Öffentlichkeit sagte er:
„Die Isolation fährt fort, doch ich habe keine körperlichen Probleme. Die Situation geht weiter wie zuvor. Wir haben mit unseren Freund*innen weiterhin Kontakt, wir haben unsere Projekte und Pläne, wenn der Staat dafür bereit ist, können wir diese Projekte und Pläne innerhalb von 6 Monaten umsetzen. Doch festzuhalten gilt, dass es zunächst einmal nicht wir waren, die den Friedensprozess zerstört haben. (…) Ja, die kurdische Frage ist ein schwerwiegendes Thema. Sie ist keine Sache von 20 Jahren, sie geht 150-200 Jahre zurück. Aktuell sterben täglich schätzungsweise 30 Menschen. Wäre der Staat ehrlich, würde es nicht so viele Tote geben. Dieses Land verdient das nicht. Jeder Mensch mit Verstand muss das einsehen. Wenn der Staat dazu bereit wäre, würde er uns zwei seiner Vertreter schicken. Es handelt sich um eine ernste Angelegenheit, unsere Projekte und Pläne sind bereit. Wir können dieses Problem in 6 Monaten lösen. Der aktuelle Krieg, ist ein blindwütiger Krieg. Es ist ein Krieg, in dem keine Partei gewinnen kann. Dieser Krieg dauert seit 40 Jahren an. Vielleicht wird er so noch 80 Jahre weiter gehen. Es ist eine Schande um und für die Menschen, die in diesem Krieg sterben. Blut und Tränen müssen aufhören zu fließen. (…)
KCK: Mit der Isolation Öcalans wird die kurdische Bevölkerung erpresst
In einer schriftlichen Erklärung vom 08. Juli 2015 kritisierten die Kovorsitzenden des Exekutivrates der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) die erneute Totalisolation des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan durch den türkischen Staat mit deutlichen Worten. Die KCK erklärte, dass die Haftbedingungen Öcalans zugleich einen Gradmesser für die Lösungsbereitschaft des türkischen Staates in der kurdischen Frage darstellen. „Sollte er weiterhin unter diesen unfreien Bedingungen gehalten und die Isolation aufrecht erhalten werden, so wird es bedeuten, dass es keine Lösungswillen in der kurdischen Frage gibt“, so die KCK. Weiter heißt es in der Erklärung: „Der Vorsitzende Öcalan wird weiterhin wie eine Geisel behandelt. Mit seiner Gefangenschaft wird das kurdische Volk erpresst. Diese Politik hält seit dem Tag seiner Gefangenschaft an. Auch als Gespräche mit ihm geführt wurden, war die Haltung dieselbe.“ Obwohl Öcalan seit dem Regierungsantritt nun der AKP im Jahr 2002 ununterbrochen versuche, diese zu einer politischen Lösung zu bewegen, habe die Regierungspartei mit Hinhalte- und Täuschungsmanövern diese Bemühungen ins Leere laufen lassen.
„Die Deklaration in Dolmabahçe weckte große Hoffnungen. Aber die AKP und Erdoğan, die für eine Lösung keine Politik und keinen Willen besitzen, traten mit der Äußerung „Es gibt keine Partei, keinen Verhandlungstisch und keine kurdische Frage“ von der Schwelle zurück und stellten somit klar, dass sie nicht in den Lösungsprozess einsteigen werden. Daraufhin wurden die Gespräche mit unserem politischen Vertreter und Hauptverhandler Öcalan beendet, alle Besuchsanträge seiner Familie und Anwälte als auch der HDP-Delegation abgelehnt“, erklären die Kovorsitzenden des KCK-Exekutivrates weiter. Öcalan werde durch die AKP-Regierung weiterhin als Geisel behandelt und mit seiner Isolation werde die kurdische Bevölkerung erpresst. Die KCK erklärt, „die Freiheit unseres Vorsitzenden hat unmittelbar mit der Demokratisierung der Türkei und Lösung der kurdischen Frage zu tun“ und ruft aus diesem Grund alle demokratischen und fortschrittlichen Kreise dazu auf, mit den Forderungen nach der Aufhebung der Isolationshaftbedingungen und der Freilassung von Abdullah Öcalans auf die Straßen zu gehen.
Anwälte protestieren gegen die Isolation Öcalans
In einer Presseerklärung wandte sich am 08. Juli 2015 auch die Zweigstelle Istanbul des Vereins der Freiheitlichen Anwälte, dem auch die Anwälte Abdullah Öcalans angehören, an die Öffentlichkeit und kritisierte darin, dass der türkische Staat mit einer willkürlichen Politik, die noch nicht einmal das türkische Strafrecht respektiere, die Isolation des PKK-Vorsitzenden aufrecht erhalte. „Wir beantragen wöchentlich bei der Oberstaatsanwaltschaft Bursa Konsultationen mit Herrn Öcalan und unseren anderen Mandanten. Aber die Gefängnisverwaltung, das Justizministerium und die eigentlichen Verantwortlichen, also die Regierung, treten das Recht mit Füßen und beantworten unsere Besuchsanträge mit unethischen Ausreden wie „Boot ist kaputt“, „schlechte Wetterlage“, „Boot ist in Reparatur“ etc. Seit Jahren wird so deutlich, wie der Staat nicht einmal das in den eigenen Gesetzen vorgesehene Recht auf Konsultation mit einem Anwalt anerkennt“, heißt es unter anderem in der Erklärung.
Sowohl in Istanbul und Ankara, als auch in verschiedenen kurdischen Städten wie Amed (Diyarbakir), Mêrdîn (Mardin), Êlih (Batman) und Wan (Van) sind in den vergangenen Tagen Anwälte auf die Straßen gegangen, um gegen die Isolationsbedingungen des PKK-Vorsitzenden zu protestieren. Bei einem Sitzstreik vor dem Istanbuler Justizgebäude in Çağlayan erklärte der Co-Vorsitzende des Vereins der Freiheitlichen Anwälte, Ömer Güneş, dass die Ergebnisse der Parlamentswahlen vom 07. Juni zwar eine Manifestation des Friedenswillens der Bevölkerung darstellt, die türkische Regierung sich derzeit aber entgegen diesem Willen für einen Krieg vorbereite.
„Herr Öcalan konnte zum letzten Mal mit der Imrali Delegation am 05. April 2015, mit seinen Familienangehörigen am 06. Oktober 2014 und mit seinen Anwälten am 27. Juli 2011 sprechen“, so Güneş, der eine sofortige Beendigung der Isolation und eine Wiederaufnahme der Friedensgespräche forderte.
Annäherung an Öcalan Gradmesser für Aussicht auf eine Lösung im türkisch-kurdischen Konflikt
Die Person Abdullah Öcalans ist weiterhin von zentraler Bedeutung für den Lösungsprozess und die Aussicht auf eine friedliche Beilegung des Konflikts. Der PKK-Vorsitzende ist nicht nur trotz seiner widrigen Haftbedingungen vehementer Verfechter einer politischen Lösung in der kurdischen Frage, er gilt auch weiterhin als einflussreiche Führungspersönlichkeit unter der kurdischen Bevölkerung und könnte somit den größten Teil der Kurden von einer friedlichen Beilegung des Konflikts überzeugen. Doch hierfür muss zunächst auch die türkische Regierung ihren Friedenswillen unter Beweis stellen. Mit welcher Ernsthaftigkeit die AKP-Regierung hinter dem Lösungsprozess in der kurdischen Frage steht, lässt sich an ihrem Umgang mit dem inhaftierten PKK- Vorsitzenden – dem Hauptverhandlungspartner im Lösungsprozess – deutlich erkennen. Die erneute Totalisolation Öcalans kommt einer einseitigen Beendigung des Lösungsprozesses durch die türkische Regierung gleich. Wirkliche Verhandlungen über eine Lösung der kurdischen Frage hingegen können nur mit der Freilassung des PKK-Vorsitzenden aus dem Isolationsgefängnis von Imrali einhergehen.
Auswirkung im Mittleren Osten
Abdullah Öcalan ist weltbekannt als lebendes Symbol für den Kampf des kurdischen Volkes um Anerkennung und Selbstbestimmung. Die langandauernde und systematische Verweigerung dieser Rechte war Wegbereiter für die zahlreichen Massaker und Völkermorde an der kurdischen Bevölkerung in verschiedenen Ländern. Der Widerstand gegen diese Angriffe führte zu bewaffneten Konflikten, die zur allgemeinen Instabilität des Mittleren Ostens beitrugen. In Verlauf der letzten vier Jahrzehnte hat Öcalan beachtliche Anstrengungen unternommen, um den Konflikt von einem bewaffneten in einen politischen Kampf zu verwandeln. Durch seine beständigen Anstrengungen ist nun zum ersten Mal seit Jahrzehnten eine politische Lösung zum Greifen nah.
In einer politischen Atmosphäre im Mittleren Osten, die zunehmend von nationaler und religiöser Homogenität und der Unterdrückung von Frauenrechten geprägt ist, hat Öcalan in den letzten 20 Jahren eine politische Philosophie entwickelt, die für die Umsetzung einer alternativen Gesellschaftsvision steht. Seine Ideologie für Frieden sieht gleiche Rechte für Menschen aller Nationalitäten und Glaubensrichtungen und insbesondere die praktische Anerkennung von Frauenrechten und -freiheiten in allen Bereichen der Gesellschaft vor. Dieses Paradigma hat sich als sehr einflussreich und als Quelle der Hoffnung für viele Gruppen erwiesen. Politische Maßnahmen, die seinem Ansatz folgen, halfen bei der sicheren und friedlichen Etablierung der kurdischen Region Rojava in Nordsyrien, während der Großteil Syriens im Chaos versank. Dies führte zu mehreren langandauernden Waffenstillständen und einem vielversprechenden Dialog zwischen zwei früher erbitterten Feinden: dem türkischen Staat und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).
In Rojava wurde aufgrund Öcalans wiederholtem Eintreten für dieses Modell die Inklusion aller ethnischen und religiösen Gruppen wie Assyrer_innen, syrischen und chaldäischen Christ_innen in die Verwaltung der Kantone umgesetzt. In seinen Schriften und Erklärungen setzt sich Öcalan für einen inklusiven Ansatz ein und beeinflusst damit kurdische und nicht-kurdische politische Führungspersönlichkeiten in der Region.
Dies ermöglichte die Rettung der yezidischen Kurd_innen, trug bedeutend zu der relativ friedlichen Entwicklung der Region inmitten des syrischen Bürgerkrieges bei und dient heute als Modell für die Zukunft Syriens und des Mittleren Ostens im Allgemeinen. Das Konzept von Öcalan wurde von der Kurdischen Bewegung in Syrien übernommen, die sich seit 2013 in einem intensiven Krieg mit dem sogenannten Islamischen Staat (IS) befindet. Die kurdische Bewegung in Syrien setzt das Konzept in den befreiten Gebieten um und hat sich damit als effektivste Kraft gegen den
barbarischen IS erwiesen. Der Erfolg der kurdischen Bewegung in Syrien basiert auf den Ideen und dem Konzept Herrn Öcalans; nicht nur im Kampf gegen den IS-Terrorismus, sondern auch bei der Umsetzung eines inklusiven Modells für die Koexistenz lang verfeindeter ethnischer und religiöser Gruppen. Die Anstrengungen Abdullah Öcalans für Frieden und Demokratie wurden nicht nur von den Kurd_innen in der Türkei begrüßt, sondern insbesondere von den anderen ethnisch- religiösen Gruppen in Syrien, die heute gegen den IS kämpfen. Das Modell der inklusiven Koexistenz hat als wirkungsvolles Mittel für Frieden, Stabilität und Wohlstand für die Menschen in der Region gedient und kann dies auch weiterhin tun.
Die Debatte um die Todesstrafe als Teil einer Phase des Genozids – Von der Drohung zur Realität?
Mahmut Şakar, Rechtsanwalt und stellvertretender Vorsitzender von MAF-DAD e.V.
Die politischen Diskussionen um die Todesstrafe haben in der türkischen Politiktradition einen historischen wie gesellschaftlichen Kontext. Es handelt sich also nicht um eine Angelegenheit von heute. Neben der Abwehr politischer Forderungen, Tendenzen und Alternativen wurde die Todesstrafe stets als ein für die Zukunft gewichtiges politisches Instrument insbesondere an historisch kritischen Wendepunkten praktiziert.
Seit der Gründung der Republik Türkei bis zur Gegenwart wurden im Anschluss an drei Militärputsche Todesstrafen verhängt und umgesetzt. Die Führer der rechtsgerichteten Demokratischen Partei (Demokrat Parti, DP), die nach dem Ende des Einparteiensystems in der Türkei 1950 an die Macht gekommen war, wurden nach dem Militärputsch vom 27. Mai 1960 in den Yassıada-Prozessen verurteilt. Gegen Ministerpräsident Adnan Menderes und zwei seiner Minister wurde anschließend auf der Gefängnisinsel Imralı die Todesstrafe vollstreckt. Wiederum nach dem Militärputsch vom 12. März 1971 wurden auf Druck rechter Kreise und Parteianhänger 1972 die wichtigen Repräsentanten der 1968er-Generation Deniz Gezmiş, Hüseyin Inan und Yusuf Aslan erhängt. Neben dem für diese Epoche symbolhaft stehenden Erhängen des 17-jährigen Erdal Eren in der Zeit nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 wurde als Folge dieses Putsches an fünfzig Personen die Todesstrafe durch den Strang vollstreckt. Allein diese kurze historische Referenz verdeutlicht, dass die Todesstrafe außer in gewöhnlichen Strafsachen als interne Kriegspraxis eingesetzt wurde. Dieser Umstand schafft uns eine bessere Grundlage, um die aktuelle Diskussion über die Todesstrafe einzuordnen.
Im Zentrum des Diskurses über die Todesstrafe steht die umstrittene Person Abdullah Öcalans. Im Jahre 1999 war er auf dem Wege eines internationalen Piratenakts entführt und der Türkei ausgehändigt worden, um im Schauprozess von Imralı mit der Todesstrafe verurteilt zu werden.
Dieses Urteil wurde vom obersten Gericht bestätigt und anschließend dem Amt des Ministerpräsidenten zwecks Vollstreckung zugeleitet. Aufgrund der damaligen politischen Bedingungen schob die Koalitionsregierung die parlamentarische Abstimmung über die Vollstreckung der Todesstrafe auf die lange Bank, um dann dem Beschluss des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) folgend die Vollstreckung komplett auszusetzen. Als Begründung wurde angeführt, dass durch diese Entscheidung das Risiko und die Gefahr eines Bürgerkrieges im Falle einer Hinrichtung Öcalans abgewendet worden seien.
Die Todesstrafe wurde in der Türkei zuletzt im Jahre 1984 praktiziert, die Vollstreckung aller weiteren Urteile wurde ausgesetzt. Nach der Unterzeichnung der Zusatzprotokolle 6 und 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention (ECHR) durch die Türkei war im Mai 2004 die Todesstrafe aus der Verfassung und den Gesetzen gestrichen und durch die verschärfte lebenslange Haft ersetzt [endgültig]. Die Isolationshaft und Todesstrafe im Fall Öcalan zeigen, dass mit der heute erneut entflammten Diskussion um die Einführung der
Todesstrafe das Thema nur konjunkturell behandelt bzw. abgeschafft wurde. Dies sieht man auch deutlich an der Behandlung Öcalans. Insbesondere muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass in der Praxis auf dem Wege der Totalisolation eine verlängerte Todesstrafe umgesetzt worden ist. Das bestätigt der General Tuncer Kılınç, der zeitweise für die Sicherheit auf der Gefängnisinsel Imralı verantwortlich war. Er erklärte, dass die Maßnahme gegen Öcalan unersetzbar sei. Indem er hinzufügte, dass Öcalan nicht einmal, sondern jeden Tag aufs Neue umgebracht werden würde, bestätigt er die offizielle Ansicht der türkischen Behörden. Laut Öcalan ist die Gefängnisinsel Imralı als Foltersystem gedacht. Als ein außergewöhnliches Foltersystem, in dem sogar das Recht gänzlich ausgehebelt wird. Einige nach dem Ausnahmezustandsdekret eingeführte Maßnahmen mit Gesetzeskraft sind eigentlich eine Übernahme dieser auf Imralı geltenden Sonderanwendung der Isolationshaft.
Zum Beispiel die Aufzeichnung der Anwaltsgespräche, die obligatorische Anwesenheit einer dritten Person bei diesen Gesprächen, die willkürliche Einleitung von Untersuchungen gegen Anwälte zwecks Entlassung aus ihrer Tätigkeit, die Begrenzung der Anwalts-Mandanten-Gespräche auf bestimmte Tage und Fristen usw. Diese sogenannten Öcalan-Normen sind sehr bald nach den Erfahrungen mit ihnen auf Imralı zu anwendbaren Maßstäben für die ganze Türkei geworden. Die Forderung nach der Todesstrafe als politische Aussage im Zusammenhang mit der Isolationspolitik war für Öcalan als Option eigentlich nie vom Tisch. Ganz besonders in Wahlkampfzeiten wird, um die Emotionen der türkischen Massen zu treffen, zwecks Stimmenfangs ein Wettrennen zwischen der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) und der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) veranstaltet, wer zuerst die Todesstrafe wieder einführt. Das führt sogar so weit, dass bei Wahlkampfreden vor Menschenmengen mit Galgenschlingen geworben wird.
Die Todesstrafe findet vor allem im politischen Jargon des türkischen Nationalismus höchste Legitimität. Seit 1999 wurde das Hängen Öcalans stets auf der Agenda gehalten. Die Forderung kam manchmal von Seiten der MHP und manchmal von anderen rechten Parteien. In der Bevölkerung wurde der Glaube, dass mit der Hinrichtung Öcalans die Kurdenfrage gelöst werden könnte, immer lebendig gehalten. Deshalb gehört diese Diskussion um Öcalan zu den Hauptthemen und -losungen des türkischen Nationalismus und seiner Anhänger. Vor dem Hintergrund dieser von EU-Kreisen kritisierten Debatte um die Todesstrafe ist zu unterstreichen:
1. Dieser Diskurs muss in direktem Zusammenhang mit dem im Oktober 2014 auf der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats (MGK) verabschiedeten und ab Juli 2015 angewendeten »Vernichtungsplan« gesehen werden. Wir alle kennen die Folgen der als türkische »tamilische Lösung« dargestellten zeitgenössischen Version des zwischen 1925 und 1938 praktizierten Şark-Islahat-Plans: die Zerstörung dutzender Städte, die Verbrennung zahlreicher Menschen in Kellern, die Vertreibung tausender Menschen, die Zerstörung von Lebensraum, die Vernichtung gesellschaftlicher und politischer Institutionen, die Entfernung kurdischen Personals aus dem öffentlichen Dienst, die Einführung der [kommunalen] Zwangsverwaltung u. a. Ein totalitäres Regime, in dem Legislative und Judikative komplett kontrolliert und von Erdoğan bestimmt werden, soll einer lang andauernden faschistischen Regierung den Weg ebnen. Man sollte nicht vergessen, dass der Diskurs über die Hinrichtung in dieser Atmosphäre neu entstanden ist.
2. Insbesondere führt die Diskussion um das Hängen Öcalans beim nationalistischen Lager zur forcierten Zerstörung in Kurdistan. Im Zuge des »Vernichtungsplans« sind ohnehin einige extralegale Paramilitärs installiert worden.
Dieser Zustand kann dazu führen, dass gegebenenfalls alle Gruppen oder Oppositionellen, die nicht der Regierung gehorchen, vernichtet oder auf offener Straße ermordet werden.
In diesem Zusammenhang soll die Diskussion um die Todesstrafe stets die aktuelle Phase befeuern. Das heißt, die Todesstrafe und ein möglicher Genozid an den Kurden könnten zusammen zum Einsatz kommen und wären nicht voneinander zu trennen. Für beide Möglichkeiten ist die Wahrscheinlichkeit mehr denn je gegeben.
Zum Abschluss: Heute ist die Debatte um die Todesstrafe für Oppositionelle und vor allem für Öcalan so weit gediehen, dass sie jederzeit praktisch werden könnte. Innerhalb der Grenzen der Türkei existiert keine institutionelle, juristische oder moralische Grundlage, um diese Situation abzuwenden.
Im Hinblick auf internationale Beziehungen werden Partner und Bündnisse angestrebt, die diese gegebenen faschistischen Praktiken dulden.
Die Todesstrafe ist nicht mehr eine Bedrohung, Anschuldigung oder Behauptung. Die Neukonzeption der Todesstrafe für Oppositionelle ist zu einer jederzeit realisierbaren Gefahr geworden, weshalb jeder dazu eine klare Haltung einnehmen sollte.
Bericht über die beobachteten Rechtsverletzungen im Gefängnis von Imrali für das Jahr 2016
Rechtsbüro des Jahrhunderts (Asrin Hukuk Bürosu), 06.01.2017
1. Einführung
Der Putschversuch vom 15. Juli 2016 hat in rechtlicher, politischer und administrativer Hinsicht zu Veränderungen und Einschränkungen geführt. Aus diesem Grund werden unsere Beobachtungen bezüglich der Entwicklungen sowie der Rechtsverletzungen, die auf der Gefängnisinsel Imrali im Jahre 2016 stattgefunden haben, in die Zeiträume Januar bis 15. Juli 2016 und 15. Juli bis 31. Dezember 2016 eingeteilt und geschildert.
Unser Mandant Herr Abdullah Öcalan ist seit dem 15. Februar 1999 bis heute auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftiert und wurde in den ersten zehn Jahren seines Gefängnisaufenthaltes als einziger Häftling auf dieser Insel und allein in einer Zelle gehalten. Nach der erst nach zehn Jahren erfolgten Feststellung, diese Haftbedingungen verstießen gegen das Verbot der Folter sowie der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung, wurden ab dem 17. November 2009 fünf weitere Häftlinge auf die Insel verlegt. Diese Fünf wurden wiederum am 15. März 2015 in die F-Typ- Gefängnisse von Tekirdag und Kandira verlegt. Vor dem Hintergrund des Friedensprozesses wurden fünf neue Häftlinge, die auch die Funktion eines sogenannten „Sekretariats“ innehaben sollten und über die auch in den Medien berichtet wurde, auf die Gefängnisinsel Imrali geschickt. Doch wurden zwei dieser neuen Häftlinge, nämlich Herr Nasrullah Kuran und Herr Cetin Arkas, gegen ihren Willen am 26. Dezember 2015 von der Gefängnisinsel Imrali geholt und am 27. Dezember 2015 in das Gefängnis von Silivri in Istanbul gebracht. Von dieser Verbannung wurde zufälligerweise am 5. Januar 2016 Kenntnis erlangt. Obwohl ab dem 6. Januar 2016 täglich Anträge zur Durchführung von Mandantengesprächen an die Justizvollzugsbehörde des Silivri-Gefängnisses gestellt wurden, konnte erst nach sechs Tagen ein Gespräch mit ihnen geführt werden. Dieses schließlich am 11. Januar 2016 fünfzehn Minuten lang stattfindende Mandantengespräch wurde durch die Benutzung eines Tonaufzeichnungsgerätes und die Anwesenheit eines Beamten unter rechtswidrigen Bedingungen durchgeführt. Die Isolationspolitik von Imrali fand mit diesem Beispiel erstmals auch in einem Gefängnis auf dem Festland konkrete Anwendung.
Nach diesen Ereignissen befinden sich auf der Gefängnisinsel Imrali neben Herrn Abdullah Öcalan noch Herr Ömer Hayri Konar, Herr Veysi Aktas und Herr Hamili Yildirim. Die Inhaftierten werden alle allein und voneinander isoliert jeweils in einer Zelle gehalten. Auch der einem Häftling täglich gestattete vierstündige Hofgang wird isoliert von den anderen Häftlingen durchgeführt (Herrn Abdullah Öcalan wurde jedoch nur ein Hofgang von zwei Stunden gewährt; es liegen keine neuen Informationen über eine Änderung der ihm zustehenden Zeit im Laufe des Jahres 2016 vor). Die Häftlinge werden täglich für eine Stunde an einer Stelle zusammengeführt, um entweder Sport zu treiben oder sich zu unterhalten.
Aufgrund der Tatsache, dass den Häftlingen des Imrali-Gefängnisses die den Häftlingen in anderen Gefängnissen zur Aufrechterhaltung der Kommunikation mit der Außenwelt gewährten Möglichkeiten und Rechte verwehrt werden, gibt es keine offene und konkrete Kenntnis über ihre Lebensbedingungen und ihren Gesundheitszustand. Insbesondere handelt es sich u. a. um Rechte wie die Gestattung des Familienbesuchs, des Besuchs von drei weiteren Freunden außerhalb der Familie sowie das Recht zur telefonischen Kontaktaufnahme. Die auf der Gefängnisinsel Imrali befindlichen Häftlinge durften im Laufe des Jahres 2016 keinerlei Kontakt zu ihren Anwälten aufnehmen und ihnen wurde auch jegliche telefonische Kontaktaufnahme verwehrt. Außer dem einzigen Familienbesuch, den Herr Abdullah Öcalan mit seinem Bruder durchführen konnte, wurden etwaige Gespräche anderer Häftlinge mit Familienangehörigen nicht gestattet. Bei einer Gesamtbetrachtung dieser negativen Haftbedingungen ist festzustellen, dass das Gefängnis von Imrali keineswegs eine von Rechtmäßigkeit, Transparenz und Überprüfbarkeit der Verhältnismäßigkeit geprägte Strafvollzugsinstanz darstellt, sondern vielmehr eine spezielle Vollstreckungsanstalt verkörpert, die durch die Isolationshaft gekennzeichnet ist.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) veröffentlichte am 18. März 2014 seine Entscheidung über die vier miteinander verbundenen Anträge Herrn Öcalans (Anträge Nr. 24069/03,
197/04, 6201/06 und 10464/07). In diesem Beschluss wurde festgestellt, dass die lebenslange Freiheitsstrafe, zu der Herr Öcalan ohne die Möglichkeit einer Haftentlassung zu einem bestimmten Datum bis zum Tode verurteilt worden war, einen Verstoß gegen das Verbot der Folter sowie unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung darstelle. Es ist nun das 18. Jahr, in dem Herr Öcalan kontinuierlich diesen Haftbedingungen ausgesetzt wird. Die türkische Regierung hat weder in gesetzlicher noch in verwaltungsrechtlicher Hinsicht Schritte zur Umsetzung dieser Entscheidung des EGMR unternommen. Dieser Umstand wurde auch am 16. Juni 2016 dem Ministerkomitee des Europarates als Information mitgeteilt.
II. Entwicklungen und Beobachtungen zwischen 1. Januar und Juli 2016
Obwohl zahllose Anträge zur Durchführung von Mandantengesprächen gestellt wurden, konnten seine Anwälte seit dem 27. Juli 2011 keinerlei Kontakt mit Herrn Öcalan aufnehmen. Die Staatsanwaltschaft der türkischen Republik hat mit den verschiedensten Begründungen alle 57 Anträge abgelehnt. Diese Anträge wurden jede Woche für den Mittwoch und den Freitag gestellt. 47 Anträge wurden mit der Begründung eines Defekts des Schiffes abgelehnt, 10 weitere Anträge wegen der Wetterverhältnisse. Gleichzeitig stellten die Familienangehörigen insgesamt 26 Anträge an die Staatsanwaltschaft der türkischen Republik in Bursa. Aber auch diese Anträge wurden mit den zuvor erwähnten Begründungen abgelehnt.
Über diese Situation der Isolationshaft wurde auch das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (nachfolgend als CPT abgekürzt) regelmäßig informiert.
Neben persönlich, von Angesicht zu Angesicht, übermittelten Informationen wurden zudem
– im Januar 2016 allgemeine Informationen über die zwischen August 2015 und Januar 2016 erfolgten Besuchsanträge der Anwälte und der Familienangehörigen sowie allgemeine Informationen über den Zustand unserer Mandanten,
– im April 2016 Informationen über Besuchsanträge der Familienangehörigen und Anwälte dem CPT mitgeteilt und er wurde aufgefordert, die notwendigen Maßnahmen bezüglich der Isolationshaft in Imrali zu ergreifen.
Nach diesen Ereignissen teilte das CPT auf seiner offiziellen Website mit, am 28./29. April 2016 das Imrali-Gefängnis besucht zu haben. Ein offizieller Bericht über den Besuch auf der Insel ist bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht worden.
Es lässt sich nicht behaupten, dass die Aktivitäten des CPT bzgl. der Isolationshaft im Imrali-Gefängnis die notwendigen Wirkungen mit sich gebracht hätten. Im Juli 2016 wurde beim Berichterstattungsinstitut der UN Anti-Folter –Konvention (CAT) ein die Isolationshaftbedingungen betreffender Antrag gestellt. Hinsichtlich dieses Antrages hat es bisher keinerlei Entwicklung gegeben.
III. Entwicklungen und Beobachtungen zwischen 15. Juli und 31. Dezember 2016
Am 15. Juli 2016 wurde in der Türkei ein Militärputsch versucht. Anschließend wurde ab dem 21. Juli für das ganze Land der Ausnahmezustand verhängt, dann wurden insgesamt zwölf Notstandsverordnungen (Verordnungen mit Gesetzesrang) erlassen. Mit am 22. Juli 2016 offiziell veröffentlichten Notstandsdekret wurden den Inhaftierten sowohl die Besuchsrechte als auch das Recht zur Durchführung von Mandantengesprächen erheblich eingeschränkt, sodass die bereits in Imrali angewandten willkürlichen und rechtswidrigen Maßnahmen teilweise in ihrer Anwendung im gesamten Land verbreitet wurden. Außerdem war im Gefängnis von Imrali die erste „Einschränkungsentscheidung“ bereits vor einer Veröffentlichung des Notstandsdekretes umgesetzt worden.
Die Erste Strafkammer des Gerichts in Bursa stellte in ihrem Beschluss Nr. 2016/56 D vom 21. Juli 2016 fest, dass folgende Rechte der Inhaftierten mit Inkrafttreten des Dekretes über die Inhaftierten eingeschränkt werden sollten:
– Untersagung jeglicher Besuchserlaubnis;
– Einschränkung des Briefverkehrs und der Durchführung von Telefonaten;
– Einschränkung der Einreichung von Dokumenten durch die Anwälte.
Aufgrund der Tatsache, dass dieser Beschluss sowohl in rechtlicher Hinsicht als auch in der tatsächlichen Durchführung nicht tragbar ist, wurde unsererseits auch Einspruch dagegen eingelegt. Die für diesen Beschluss herangezogenen Artikel 114 und 115 des Strafvollstreckungsgesetzes Nr. 5275 beziehen sich ausschließlich auf die Untersuchungshaft und nicht auf den Strafvollzug und garantieren zudem das Recht auf effektiven Rechtsschutz. Der Einspruch wurde mit Beschluss (Nr. 2016/1127) der Zweiten Großen Strafkammer zu Bursa vom 26. Juli 2016 abgelehnt. Gegen diese Maßnahmen sowie Beschlüsse wurde am 27. Oktober 2016 Individualbeschwerde beim Verfassungsgericht eingelegt. In diesem Zusammenhang lehnte das Verfassungsgericht den Antrag auf einstweilige Anordnung ab. In der Hauptsache ist über das Verfahren bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht entschieden worden.
Die nach dem Putschversuch vor allem in den Medien verbreiteten Meldungen über „die Pläne der Putschisten bezüglich des Imrali-Gefängnisses“ verstärkten die Sorgen um das Wohlbefinden unserer Mandanten in erheblichem Umfang. In den Medien wurde vor allem verbreitet, dass das Imrali-Gefängnis in der Nacht des Putschversuches bombardiert und Herr Öcalan entführt worden sei. In diesem Zusammenhang häuften sich Meldungen über eine beabsichtigte Entführung und Ermordung unseres Mandanten durch die Putschisten. Vor diesem Hintergrund wurden erneut täglich Anträge auf Mandantengespräche gestellt, die bis zum 21. Juli unbeantwortet gelassen wurden und ab diesem Zeitpunkt mit Hinweis auf den oben genannten Beschluss abgelehnt worden sind. Als Begründung wurde angeführt, dass sich dieser Beschluss auf das Verbot von Briefverkehr, Telefonaten und Besuchserlaubnissen beziehe und anwaltliche Besuche untersagt seien. Insofern ist jedoch festzustellen, dass keiner der ab dem 21. Juli erlassenen Notstandsverordnungen die Bestimmung zugrundegelegt worden ist, das Recht auf ein Mandantengespräch insgesamt aufzuheben.
Vor diesem Hintergrund wurden zahlreiche Gespräche mit verschiedenen NGOs und Menschenrechtsorganisationen aus der Türkei geführt, um über die besorgniserregende Situation zu informieren. Außerdem wurde zwischen 19. und 26. Juli auch mit verschiedenen Anträgen an das CPT gefordert, dieses solle dem Imrali-Gefängnis dringend einen Besuch abstatten. Das CPT besuchte zwischen dem 29. August und dem 6. September die Türkei. Es kam dabei jedoch nicht nach Imrali, sondern teilte nach dem Besuch in einer Presseerklärung mit, dass die Situation auf der Gefängnisinsel mit den zuständigen Vertretern erörtert worden sei.
Diese Entwicklungen führten dazu, dass fünfzig kurdische Politiker bis zu einer glaubhaften Information über den Gesundheitszustand von Herrn Öcalan in einen unbefristeten Hungerstreik traten. Der am 5. Juli 2016 begonnene Hungerstreik wurde sodann am 11. Juli nach dem einstündigen Besuch Herrn Mehmet Öcalans bei seinem älteren Bruder Herrn Abdullah Öcalan und der authentischen Information über dessen Gesundheitszustand beendet. Dieser seit dem 6. Oktober 2014 erstmals wieder durchgeführte Familienbesuch wurde jedoch nur Herrn Öcalan gestattet. Es war der einzige im Jahre 2016 in Imrali hergestellte Kontakt. Nach dem Besuch im Gefängnis erklärte Herr Mehmet Öcalan, seinen Beobachtungen zufolge sei der Gesundheitszustand seines Bruders nicht schlecht und in der Nacht des 15. Juli hätte es keinerlei Übergriffe auf ihn gegeben. Die nach diesem Besuch gestellten Besuchsanträge wurden allesamt erneut abgelehnt. Imrali befand sich bis zum Ende des Jahres 2016 wieder im Zustand der stillen Isolationshaft.
Das CPT wurde erneut hinreichend über die Ergebnisse der am 16. Dezember sowie zwischen dem 19. Juli und dem 25. November 2016 gestellten Anträge auf Erteilung von Anwalts- und Familienbesuchserlaubnis informiert. Zwischen 15. Juli und 31. Dezember 2016 wurden insgesamt 62 Anträge auf Erteilung einer anwaltlichen Besuchserlaubnis gestellt und in derselben Zeitspanne 54 Anträge vonseiten der Familien. Mit Ausnahme des Besuches am 11. September 2016 wurden alle Anträge unter dem Vorwand abgelehnt, dass während des Ausnahmezustandes kein Besuch stattfinden dürfe.
IV. Ergebnis
Das Hochsicherheitsgefängnis von Imrali, das sich innerhalb der Grenzen der Türkei und auf der Insel Imrali im Marmarameer befindet, wird unter einem Regime verwaltet, das die Grundrechte und Grundfreiheiten, die universellen Werte und Regeln der Menschlichkeit und die demokratischen Werte missachtet. Mit den nach dem Putschversuch erlassenen Notstandsverordnungen haben die seit 2005 andauernden, rechtswidrigen Einschränkungen des Rechtes auf effektiven Rechtsschutz einen legalisierenden Charakter erhalten mit der Folge, dass nun auch in anderen Gefängnissen des Landes diese Vorgehensweise Anwendung finden kann. Insbesondere geht es dabei um Maßnahmen wie das Verbot des Rechtes auf einen Anwalt, die zeitliche Einschränkung von Mandantengesprächen, die Anwesenheit eines Regierungsbeauftragten bei der Durchführung von Mandantengesprächen, die Unterschlagung von Dokumenten des jeweiligen Anwaltes sowie die audiovisuelle Aufzeichnung von Mandantengesprächen. Obwohl der Großteil dieser Maßnahmen keine rechtliche Grundlage hat (wie z. B. im Falle der audiovisuellen Aufzeichnung oder der zeitlichen Einschränkung der Mandantengespräche), wurden diese Maßnahmen bei allen zwischen Juni 2005 und Juli 2011 stattgefundenen Mandantengesprächen angewandt. Die Tatsache, dass die genannten Maßnahmen ab Juli 2016 vor dem Hintergrund des Ausnahmezustandes mit dem Erlass von Notstandsverordnungen legalisiert worden sind, verdeutlicht den Umstand, dass die bisher in Imrali angewandten Maßnahmen rechtswidrig waren und gegen geltendes Recht verstoßen haben und sich Imrali folglich stets kontinuierlich im ungesetzlichen Ausnahmezustandsstatus befunden hat.
Das sich in einem ordentlichen Rechtssystem stets in einem außerordentlichen Zustand befindliche Imrali- Gefängnis ist gleichzeitig der Ort, an dem ab 2013 bis 2015 offizielle und rechtmäßige Gespräche im Rahmen des Friedensprozesses durchgeführt wurden und Herr Öcalan Hauptakteur in diesem Prozess war. Dieser Prozess hatte zur Folge, dass vor allem eine Waffenruhe einkehrte, der Konflikt in einen politischen Diskurs kanalisiert wurde und eine vor allem von Pluralismus und Toleranz geprägte sozialpolitische Ebene entstand. Die Hauptbedürfnisse der Türkei im Jahre 2016 waren vor allem diese genannten positiven Entwicklungen während des Friedensprozesses. Die Beendigung des Friedensprozesses ab April 2015 hatte vor allem ab Juli 2015 den hinterlassenen Zustand eines erbarmungslosen Krieges ohne Regeln zur Folge. Seitdem wird der Sollzustand des Dialoges, des politischen Diskurses, des Pluralismus oder der rechtlichen Verteidigung konsequent der Zerstörung durch Antithesen wie Krieg, Beleidigung, Unterdrückung, Zentralisierung, Einschüchterung ausgesetzt.
Unter diesen Umständen ließ unser Mandant in seinem einzigen Gespräch mit seinem Bruder der Presse mitteilen: „Diesen Prozess haben nicht wir zerstört. Nur über den Frieden kann mit mir gesprochen werden. Sollte eine solche Absicht bestehen, werden wir gemeinsam diesen Konflikt mithilfe von Friedensprojekten in wenigen Monaten lösen können.“ Die Tatsache, dass sich die vergangenen Dialogprozesse auf die Gesellschaft ausgewirkt haben, und vor allem die Imrali währenddessen innewohnende Friedensrolle sowie die Parallelität zwischen Krieg und Isolation verdeutlichen, dass ein Hinterlassen Imralis in einem Zustand stiller Isolationshaft die Option auf ein friedliches und demokratisches Leben in der Türkei zunehmend schwächt.