Ich bin zur Zielscheibe des AKP-Regimes geworden …

FAYSAL SARIYILDIZ, HDP-Abgeordneter von Şirnex (Şırnak)Persönliche Erklärung von FAYSAL SARIYILDIZ, HDP-Abgeordneter von Şirnex (Şırnak), veröffentlicht bei ANF

Ich bin zur Zielscheibe des AKP-Regimes geworden, vor allem nach dem ich während der Besetzung Kobanês durch den IŞİD (Islamischer Staat IS) lange Zeit in Pirsûs (Suruç) mit der Bevölkerung zusammen an einer Mahnwache teilgenommen und Informationen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hatte, die die Beziehungen zwischen AKP und IŞİD dokumentierten. Interessant ist auch, dass das Komplott – ich hätte Waffen in meinem Fahrzeug transportiert – gleich nach der Befreiung Kobanês vom IŞİD geschmiedet worden ist. Die AKP hatte all ihre Hoffnungen auf die Besetzung Kobanês durch den IŞİD gesetzt. Aber die Bevölkerung von Rojava und deren Freunde und Freundinnen haben diese Hoffnungen zu Nichte gemacht. Wie bekannt ist, bin ich in Folge von den Medien, die der AKP angebunden sind, in die Schlagzeilen lanciert und zur Zielscheibe gemacht, kriminalisiert, worden. Dieser politische Lynchversuch ist nach der Blockade gegen Cizîr (Cizre) noch forciert worden. Weil ich Zeuge der unmenschlichen Praktiken gegen Cizîr bin und diese in aller Offenheit der Welt zu Gehör gebracht habe, bin ich von der AKP und den Medien angegriffen, verunglimpft und sogar mit dem Tod bedroht worden.

Ich bin Zeuge des grausigen Massakers in Cizîr, dass wie ein dunkler Fleck in die Geschichte eingeht. Während der 79 Tage anhaltenden Blockade verloren 259 Menschen ihr Leben. Die meisten der 177 Menschen, die sich Schutz suchend in Keller geflüchtet hatten, darunter auch Schwerverletzte, wurden vom türkischen Staat verbrannt. Die wegen der Angriffe des Staates in den Kellern Schutzsuchenden, darunter Studierende, Journalisten, Aktive der legalen Politik, Frauenaktivistinnen forderten Tage lang in Kontakten zum Fernsehen, in Telefonaten und SMS mit mir medizinische Hilfe und die Bergung aus diesen Kellern. Obwohl der Staat zugesichert hatte, die Verletzten mittels Gesundheitspersonal und Rettungswagen bergen zu wollen, haben die Sicherheitskräfte die Keller angegriffen und die sich im Gebäude befindlichen Menschen auf grausigste Weise ermordet. Alle Menschen, die Zeuge dieses Grauens, alle Personen und Institutionen, die es dokumentierten, sind zur Zielscheibe worden. Viele sind inzwischen in Haft. Ich will hier nur einige Bespiele aufführen:

Yahya Idin, Mitglied des Kreisvorstandes der Partei der Demokratischen Regionen (DBP) von Şirnex (Şırnak):

Er war während der Ausgangssperre in Cizîr und Silopiya im Namen der DBP innerhalb der Koordination der Beerdigungstätigkeiten eingesetzt. Bei der Autopsie und der rituellen Waschung von etwa 200 zerstückelten Leichnamen war er selbst anwesend. Er ist Zeuge dessen, was selbst noch den Leichnamen angetan wurde. Er wurde 15 bis 20 Tage, nachdem in Cizîr die Ausgangssperre aufgehoben worden war, verhaftet. Denn Yahya war jemand der mit eigenen Augen gesehen hat, wie die Hunde die Schädel der Toten zerrissen, die von Militärmessern zerschnittenen Körper, die aufgeschnittenen Brüste der Frauen, die verbrannten und zu Asche gewordenen Jugendlichen. Er ist das Gedächtnis diese Grauens an den Leichnamen. Weil sie das Gedächtnis fürchten, haben sie Yahya ins Gefängnis geworfen.

Der Rechtsanwalt Ramazan Demir:

Der Rechtsanwalt Ramazan Demir – der sich wegen des Grauens, wegen der Vergehen gegen das Recht auf Leben und der Aushebelung jeglichen Rechts während der Ausgangssperre in Cizîr an das Verfassungsgericht und an das EGMR gewandt hatte – wurde am 6. April 2016 verhaftet. Weil er die Schuld des Staates anprangerte ist Ramazan Demir unter aus der Luft gegriffenen Gründen verhaftet und ins Gefängnis gesteckt worden …

Mele Kasım Yiğit, Co-Vorsitzender der zivilgesellschaftlichen Organisationen MEYA DER in Cizîr:

Mele Kasım ist Imam und hat an 150 zerstückelten Leichnamen mit seinen eigenen Händen die rituelle Waschung vorgenommen. Weil Mele Kasım die Grausamkeit, die er gesehen hat, ohne zu zögern erzählt und der Presse berichtet hat, wurde er zur Zielscheibe. Er wurde unter dem Vorwurf der „Propaganda für eine (Terror) Organisation“ verhaftet.

Şebnem Korur Fincancı:

Sie hat als Rechtmedizinerin das Grauen in Cizîr dokumentiert und einen Bericht verfasst. Deshalb wurde sie von Erdoğan und der AKP zum Ziel erklärt. Wenn unter jenen die Solidarität mit Özgür Gündem bekundeten nicht auch Şebnem Hoca gewesen wäre, wer weiß, ob es dann überhaupt zu Verhaftungen gekommen wäre. Eine weitere wichtige Zeugin ist so zum Schweigen gebracht worden. Außerdem ist Şebnem Hoca eine in der internationalen Arena bekannte Person. Eine Akademikerin, dessen Wort Achtung gezollt wird. Weil sie jemand ist, die auf internationaler Ebene der AKP im Hinblick auf das Grauen in Cizîr erhebliche Kopfschmerzen hätte bereiten können, wurde sie verhaftet und soll so zum Schweigen gebracht werden.

Weil ich jede Sekunde der 79 Tage anhaltenden Ausgangssperre Zeuge all dieser unmenschlichen Praktiken wurde, soll auch ich – als einer von ihnen–, zum Schweigen gebracht werden.

Ich werde niemals einer Gerichtsbarkeit Vertrauen entgegenbringen, die, wenn Staatspräsident Erdoğan und die AKP piep sagen, Beifall spendet. Wo hunderte unserer Menschen verbrannt wurden, werde ich niemals – auch nur einen Augenblick lang – mir um mich Sorgen machen. Ich treffe mich ununterbrochen mit internationalen Institutionen, Organisationen und Parteien, um ihnen das Grauen von Cizîr, dessen Zeuge ich wurde, zu Gehör zu bringen. Um diese Tätigkeit weiterführen zu können, werde ich noch eine Weile im Ausland bleiben.

Die Menschen in Europa wollen aus erster Hand erfahren was in Cizîr während der Zeit des Grauens geschah. Das Grauen von Cizîr der Welt zu Gehör zu bringen ist meine Pflicht. Um die Verantwortlichen, die in Cizîr ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben zur Rechenschaft zu ziehen, werde ich mich in der Diplomatie stark machen.

Der Beschluss zur Aufhebung der Immunitäten und das dazu gefasste Gesetz, ist Produkt eines völlig gesetzlosen und willkürlichen Verständnisses. In der Türkei ist das Staatsgebilde aus einer Mentalität der Feindlichkeit gegen Kurden geformt worden. Und diese Mentalität ist es, die in der Republik der Türkei alle am Staate beteiligen, die militärische- und die zivile Bürokratie, zusammen hält. Sobald es um die Kurden geht, stellt sich uns ein historischer Block entgegen. Aktuell bemüht sich dieser Block die Kurden und die gesamte um sie herum sich kristallisierende Opposition auf der Ebene der demokratischen Politik zu liquidieren und sie vollständig zu illegalisieren. Sie schrecken dabei auch nicht davor zurück auf jegliche Art von Lügen zurückzugreifen.

Alle gegen mich vorgebrachten Beschuldigungen weise ich weit von mir. Ich bin für eine Partei gewählt ins Parlament gekommen, die 90 Prozent der Stimmen der Bevölkerung auf sich vereinen konnte. Weil mir die Kraft und Wirkung demokratischer Politik bewusst ist, hatte ich mich entschlossen Politiker zu werden. Weil ich die Notwendigkeit die Lösung der kurdischen Frage am Verhandlungstisch auszuhandeln verteidige, bin ich Abgeordneter geworden. Aber die autoritäre und tyrannische Regierung der AKP, die selbst das nicht ertragen kann, hat mich mit gegenstandslosen und erfundenen Behauptungen beschuldigt, und mich durch die Hand der Presse diskreditiert und zur Zielscheibe gemacht. Sie haben auch Ermittlungsanträge vorbereitet. Wenn ich in die Türkei zurück kehre bin ich der Gefahr ausgesetzt, lange Jahre im Gefängnis bleiben zu müssen, ermordet zu werden und was es sonst noch so gibt. Ohnehin ist das Strafregister des Staates in dieser Hinsicht umfangreich. Aber natürlich werde ich in mein Land zurückkehren, werde es fortsetzen demokratische Politik zu verteidigen und zu betreiben.

Ich werde niemals Angst vor dem Gefängnis haben. Denn ich bin selbst erst vor gar nicht langer Zeit, vor gerade mal 2 Jahren, aus dem Gefängnis gekommen. Ich war im Rahmen der so genannten KCK-Operation – einer Operationen, die die politische Vernichtung eines Volkes anstrebte – in Haft genommen worden, 5 Jahre verblieb ich im Gefängnis.

Ich möchte es hier noch einmal wiederholen, während der Blockade von Cizîr habe ich eine große Anzahl von Freunden und Freundinnen, mit denen ich viele Jahre zusammen gearbeitet hatte, als Abgeordneter, aber auch Menschen, mit denen ich, als ich wegen der politischen Operationen im Gefängnis war und die gleiche Zelle geteilt habe, verloren. Die meisten unter diesen Menschen wurden, kurz nachdem wir zusammen waren oder kurz nach dem wir miteinander am Telefon gesprochen hatten, ermordet. Die AKP will mich – indem sie mich verhaftet –zum Verstummen bringen und so auch die Erinnerung an das Grauen von Cizîr auslöschen. Aber diesen Gefallen werde ich Erdoğan nicht tun. Denn ich werde, unter welchen Bedingungen auch immer, vom Grauen von Cizîr berichten.

ANF, 26.06.2016, ISKU

Dieser Beitrag wurde in Bakur/Nordkurdistan/Südosttürkei, Menschenrechtsverletzungen, Presse, Türkei veröffentlicht und getaggt , , , , , . Ein Lesezeichen auf das Permalink. setzen. Sowohl Kommentare als auch Trackbacks sind geschlossen.