Am 6. September 2011 hat das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) den Generalbundesanwalt ermächtigt, kurdische Aktivist*innen gemäß § 129b Abs. 1 in Verbindung mit § 129a Abs. 1 Strafgesetzbuch strafrechtlich zu verfolgen, die mutmaßlich als Deutschlandverantwortliche oder Verantwortliche für in Deutschland bestehende PKK-Gebiete tätig sind bzw. waren. Sie werden – wie in der Türkei – der Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung im Ausland“ beschuldigt.
Die Linksfraktion im Bundestag richtete eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung zu Auskünften über die „Verfolgung sogenannter ausländischer terroristischer Vereinigungen aus der Türkei“ (BT-Drucksache 18/7228).Wie das BMJV am 26. Januar 2016 u a. mitteilte, sind „zwischen April 2011 und September 2015“ insgesamt 17 Ermächtigungen gegen Kurden wegen ihrer politischen Aktivitäten für die PKK erteilt worden.
Einer von ihnen ist Muhlis K., der am 16. Februar 2016 in Düsseldorf festgenommen wurde und der heute dem Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe zur Eröffnung des Haftbefehls „vorgeführt“ wird.
Auf die Frage, aus welchen Quellen das notwendige Wissen für die Strafverfolgung nach § 129b stamme, verwies das BMJV in seiner Antwort u. a. auf „bilaterale Gespräche“ des Auswärtigen Amtes mit dem türkischen Außenministerium, des Bundesinnenministeriums mit dem türkischen Innenressort sowie zwischen deutschen und türkischen Sicherheitsbehörden.
Der bis heute ungelöste türkisch-kurdische Konflikt, dessen Lösung vor einigen Jahren in greifbare Nähe gerückt war, im Sommer 2015 aber vom AKP-Regime beendet wurde und dessen militärische Eskalation sich derzeit vor den Augen der Weltöffentlichkeit abspielt, ist für die Strafverfolgungsbehörden kein Grund zur Änderung ihres Vorgehens gegen Kurdinnen und Kurden. Mehr denn je können sie sich auf eine politische Rückendeckung verlassen.
Wo sind die mutigen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte oder Richterinnen und Richter, die angesichts des staatsterroristischen Vorgehens von Präsident Recep Tayyip Erdoǧan und seines Ministerpräsidenten Ahmet Davutoǧlu gegen die eigene Bevölkerung nicht mehr bereit sind, direkt und indirekt Handlangerdienste für dieses Regimes zu leisten ?
AZADÎ fordert die Abschaffung der Verfolgungsermächtigungen nach § 129b durch das BMJV, die Einstellung aller politisch motivierten Verfahren und die Freilassung der bislang sieben Gefangenen, die sich in Straf- bzw. U-Haft befinden.
AZADÎ e.V,
Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden
in Deutschland, Köln
17. Februar 2016