„AGHET“
AGHET – Die Katastrophe, so wird der Völkermord an ihren Vorfahren durch die Jungtürken von der armenischen Gemeinschaft bezeichnet. Dass die Türkei auch nach 101 Jahren nicht bereit ist, sich diesem dunklen Kapitel ihrer Geschichte zu stellen, sehen wir derzeit an den Reaktionen der türkischen Regierung auf die Anerkennung des Genozids an den Armeniern durch den Bundestag. Weshalb die Türkei so reagiert, liegt auf der Hand. Denn seit dem Völkermord an den Armeniern zieht sich der blutige Nationalismus des türkischen Staates wie ein roter Faden durch die Geschichte der Republik.
Gewalt gegen Selbstbestimmung
Die aktuellen Geschehnisse in den kurdischen Siedlungsgebieten der Türkei sind der eindrucksvollsten Beweis hierfür. Der türkische Staat unter Präsident Erdoğan führt derzeit einen grausamen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung. Seit der Gründung der türkischen Republik treten die Kurdinnen und Kurden für ihre Anerkennung und ein selbstbestimmtes Leben ein. Doch die Türkei hat auf diese Forderungen stets mit Gewalt, Repression und Krieg reagiert. Diesen Kurs setzt Erdoğan und seine AKP nun hemmungslos fort und treibt den Krieg gegen die kurdische Bevölkerung auf eine neue Ebene.
Denn seit knapp einem Jahr werden kurdische Städte und Bezirke unter Ausgangssperre gestellt, um dann systematisch angegriffen und zerstört zu werden. Hunderte Zivilisten sind bei diesen Angriffen bereits ums Leben gekommen. Die Bilder aus den zerstörten Städten gleichen denjenigen Bildern, die uns aus den Bürgerkriegsgebieten Syriens erreichen. Denn die türkische Armee setzt schwerste Waffen bei der Belagerung der Städte ein. Immer wieder begeht das Militär bei diesen Operationen Kriegsverbrechen. Hunderttausende Menschen befinden sich derzeit auf der Flucht, zehntausende sind obdachlos, es droht eine humanitäre Katastrophe. Und das alles vor den Augen der Weltöffentlichkeit.
Damit die Presse über diese Ereignisse nicht berichtet, werden Journalisten bedroht, verhaftet und mit Strafen überzogen. Damit oppositionelle Politiker die Verbrechen der AKP nicht in die Öffentlichkeit tragen, wird nun ihre Immunität aufgehoben, um sie anschließend hinter Gittern zu bringen. Damit die Soldaten, welche die Kriegsverbrechen in den kurdischen Gebieten begehen, nicht für diese haftbar gemacht werden können, werden neue Gesetze erlassen, welche die Armee vor rechtlichen Folgen schützt. Das ist die gegenwärtige Situation in der Türkei, also einem Land, mit welchem die EU paktiert, um ihr „Flüchtlingsproblem“ zu lösen.
Erdoğan oder Nichts?
Doch Erdoğan möchte noch weiter gehen. Er will sein „Präsidialsystem“ – also die 1-Mann Diktatur – in der Türkei verwirklicht sehen. Und genau hierfür geht er mit allen Mitteln gegen die einzige tatkräftige Opposition im Lande, die Demokratische Partei der Völker (HDP), vor. Der HDP war es im vergangenen Jahr trotz aller Angriffe der regierenden AKP gelungen, zwei Mal die 10%-Hürde bei den Wahlen zu knacken undden Einzug in das Parlament zu meistern. Nun will Erdoğan eben diese HDP, die sich strikt gegen Erdoğans
Präsidialsystem stellt und eine pluralistische und demokratische Türkei einfordert, wieder aus dem Parlament schaffen. Hierfür wurde jüngst das Immunitätsgesetz erlassen, das die Verfolgung der HDP Abgeordneten für die Staatsanwaltschaft erleichtern soll. Bereits jetzt befinden sich rund 2000 Mitglieder der HDP in Haft.
Ausweg aus der Spirale von Gewalt und Krieg
Das demokratische Projekt der HDP ist dem türkischen Staatspräsident ebenso ein Dorn im Auge wie die Revolution in Rojava. Denn im Norden Syriens ist es den Kurdinnen und Kurden gemeinsam mit den Völkern der Region gelungen, ein basisdemokratisches und geschlechterbefreites Selbstverwaltungsmodell zu etablieren und gegen die Angriffe des barbarischen „Islamischen Staates“ zu verteidigen. Das Modell „Rojava“ beruht auf den Ideen des seit 1999 in der Türkei inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan. Die Gedanken Öcalans stellen den Grundstein für ein anti-staatliches Gesellschaftsmodell dar, welches für viele der grundlegenden gesellschaftlichen und politischen Probleme des Nahen und Mittleren Ostens eine Lösungsperspektive bietet. Öcalan plädiert für eine Demokratie im Mittleren Osten, welche über ethnische und religiöse Grenzen hinausgeht und die patriarchalen und hierarchischen Strukturen in der Region herausfordert. Öcalan ist zugleich von kurdischer Seite der einzige legitime Partner für mögliche Friedensverhandlungen mit der Türkei. Sein Schicksal und der Ausweg aus der Spirale von Gewalt und Krieg sind sehr eng miteinander verknüpft.
Mit der Armenien-Resolution im deutschen Bundestag wurde 101 Jahre nach der großen Katastrophe für die Armenier der Völkermord einschließlich der deutschen Beteiligung an diesem anerkannt. Gegen die Kurdinnen und Kurden wird allerdings ganz gegenwärtig ein Vernichtungskrieg geführt – und gerade durch den „Flüchtlingsdeal“ wird der Kriegspartei Türkei auch durch die deutsche Bundesregierung der Rücken im Krieg gegen die kurdische Bevölkerung gestärkt. Wir können nicht zulassen, dass sich Politiker und Historiker in ferner Zukunft erst Gedanken über die Vernichtung des kurdischen Volkes machen. Wir müssen jetzt handeln und diesen Krieg stoppen! Und genau aus diesem Grund fordern wir Freiheit für Öcalan und einen Status für Kurdistan!
NAV-DEM
Demokratisches Gesellschaftszentrum der Kurdinnen in Deutschland e.V.
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