BAKUR/NORDKURDISTAN – Der stellvertretende Kovorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP) Alp Altinörs wurde am 9. September festgenommen und befindet sich seit dem 16. September in Untersuchungshaft. Die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi berichtete einen Tag nach der Festnahme von Altinörs, dass dieser beschuldigt wird, “Mitglied in einer terroristischen Organisation zu sein und für die Organisation neue Mitglieder werbe.” Der Vorwurf basiere auf vermeintlichen Zeugenaussagen, so die Nachrichtenagentur. Nun meldet sich der stellvertretende Kovorsitzende der HDP aus der Haft heraus mit einem Brief an seine Parteizentrale zu Wort und erklärt, dass seine Verhaftung ausschließlich auf Verleumdungen basiere.
Altınörs bewertet in seinem Brief die aktuelle Situation und die Ursachen, die zu seiner Verhaftung führten, wie folgt: “Die türkische Regierung setzt wie in den 90er Jahren auf Verleumdungen, die auf erzwungenen Aussagen vermeintlicher Zeugen beruhen, um politische Gegner aus dem Weg zu räumen. In der Stadt Tokat wurden zahlreiche Genossen meines verstorbenen Freundes Zakir Karabulut auf diese Weise unter Druck gesetzt. Einige ihrer Anwälte zogen es deshalb vor, mit der Polizei zu kollaborieren. Lehramtstudierende wurden mit langen Haftstrafen und dem Rauswurf aus ihrem Studium bedroht. Auf diese Weise kam es zu unwahren ‘Geständnissen’. Einigen Studenten wurde auferlegt, insbesondere gegen mich schwere Vorwürfe zu erheben. Diejenigen, die dies ablehnten, wurden verhaftet. Die ‘Zeugenaussagen’ gegen mich, von denen ich später in der Nachrichtenagentur Anadolu erfuhr, kamen höchstwahrscheinlich unter diesen Umständen zustande.”
Die Vorwürfe der Anadolu-Agentur basieren auf Polizeiberichte
Altınörs erklärt, dass die Vorwürfe gegen ihn, die die Anadolu-Agentur veröffentlichte, auf Polizeiberichten basieren: “In meiner Zeit in Haft wurde unsere Partei HDP durch meinen Fall unter Druck gesetzt und bedroht. Ich begrüße alle Freunde, die hiergegen Widerstand leisten und für Recht und Demokratie kämpfen. Durch diesen Widerstand habe ich sehr viel an Kraft geschöpft.”
Weiter führt Altinörs aus, dass die türkische Polizei auf zwielichtige Methoden setzt, um die politische Opposition in der Türkei zu dezimieren. “Fethullah Gülen und seine Anhänger haben keinen Einfluss mehr in der Polizei, aber deren Methoden werden weiter praktiziert. Während ich fünf Tage lang keinen Kontakt zu meinen Anwälten hatte, wurden die Vorwürfe eines ‘geheimen Zeugen’ über die staatliche Agentur veröffentlicht. Ich werde zur Zielscheibe gemacht, weil ich bei der Beerdigungszeremonie von Zakir Karabulut1 teilnahm und eine Rede hielt. Alle anderen Vorwürfe, die in den ‘Geständnissen’ dieses Zeugen vorkommen, basieren auf Lügen und sind frei erfunden”, so Altinörs.
“Justiz erhält Befehle von oben”
Der inhaftierte Altinörs geht in seinem Brief weiter darauf ein, dass die Beweise, die er gegen die konstruierten Vorwürfe vorgelegt hat, schlichtweg ignoriert werden: “Die Aussagen des ‘Zeugen’ werden mir vorenthalten. Es ist völlig unklar, wann und unter welchen Umständen diese Vorwürfe gemacht wurden. Es ist ganz offensichtlich, dass die Anklage, die auf diesen Aussagen fußt, unhaltbar ist. Selbst als ich nachweisen konnte, dass ich zu der Uhrzeit, an dem behauptet wird, ich hätte jemanden zum Anschluss am bewaffneten Kampf überzeugen wollen, auf dem Rückflug aus Bitlis war, hat sich nichts an meiner Situation geändert. Da die Justiz in der Türkei scheinbar gehörlos gegenüber Beweisen unsererseits ist, müssen sie wohl Befehle von weit oben erhalten haben.”
“Wir werden unserer gefallenen Freunde immer gedenken”
Zu seinem verstorbenen Freund Zakir Karabulut, auf dessen Beerdigungszeremonie Altinörs die Rede hielt, die dann zu seiner Verhaftung führte, erklärt er in seinem Brief: “Zakir war Mitglied der HDP in Tokat. Jetzt ist er unser Friedens-Märtyrer. Sogar nach seinem Tod wird er kriminalisiert. Als er noch am Leben war, wurde kein einziges Mal gegen ihn polizeilich ermittelt. Aber jetzt wird ihm nicht mal in seinem Grab Ruhe gelassen. Es ist offensichtlich, dass sie es nicht vertragen können, dass wir ihn nach seinem Tod gedenken. Wir werden unserer gefallenen Freunde immer gedenken. Das gilt auch für Zakir.”
“Ich bin Türke, Demokrat und HDP’ler”
Zum Abschluss seines Briefes macht Altinörs nochmal deutlich, weswegen er hinter der HDP steht: “Einer der Polizisten fragte während meiner Festnahme, dass ich sehr türkisch aussehe und was ich bei der HDP suche. Ich glaube, sie versuchen uns für unsere Solidarität mit dem kurdischen Volk diesen Preis zahlen zu lassen. Ziel ist der gemeinsame demokratische Widerstand des türkischen und kurdischen Volks. Meine Antwort auf die Frage des Polizisten war ‘Ich bin Türke, Demokrat und HDP’ler’. Wir Sozialisten, Demokraten, Ökologen, diejenigen, die für Frauen- und Arbeiterrechte kämpfen und alle Linken innerhalb der türkischen Bevölkerung werden mit unserer bunten Vielfalt in den Reihen der HDP gegen den Faschismus kämpfen”
ANF, 01.10.2016, Civaka Azad
1. wurde bei der Friedensdemonstration in Ankara am 10. Oktober 2015 durch einen Selbstmordanschlag getötet