MINBIC – Gestern gegen 17:30 Uhr bombardierte die türkische Luftwaffe vermeintliche Stellungen der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) in vier Dörfer westlich von Minbic. Die betroffenen Dörfer Şex Nasir, Qert, Wêran und Êlan liegen an der Front zum türkisch besetzten Nordwesten Rojavas.
Minbic ist eine größtenteils arabische Stadt westlich des Euphrats und wurde erst vor wenigen Monaten nach wochenlangen blutigen Kämpfen vom IS befreit. Mittlerweile ist ein Umkreis von bis zu 40km befreit worden, Einwohner*innen konnten zurückkehren und übernehmen Stück für Stück ihre Selbstverwaltung. Zu Letzt zogen sich auch offiziell die letzten verbliebenen YPG/YPJ Kräfte aus Minbic zurück, diese kümmerten sich um die Ausbildung der lokalen Verteidigungskräfte.
Die befreite Stadt ist sowohl dem türkischen, als auch dem sogenannten islamischen Staat ein Dorn im Auge, stellt sie doch den ersten Schritt zur physischen Trennung beider Regime dar. Die Demokratischen Kräfte Syriens, zu denen auch der Militärrat von Minbic gehört und die YPG/YPJ des westlichen Kanton Efrîns rücken Stück für Stück aufeinander zu, die Trennlinie beträgt gerade mal noch 27km.
Dieser Situation verschuldet entwickelt sich al-Bab zu einer heiß umkämpften Stadt. Al-Bab liegt 40km südwestlich von Minbic und befindet sich auf halbem Weg zwischen dem Kanton Efrîn und der Front westlich von Minbic. Die Stadt befindet sich seit über vier Jahren unter Herrschaft des IS. Nördlich konnten die islamistischen FSA-Einheiten mit Unterstützung der türkischen Armee bis auf 2km zur Stadtgrenze vorrücken. Südlich nährt sich die syrische Armee Assads auf nur noch 11km an. Ein Kopf an Kopf rennen.
Nachdem der IS auch für den türkischen Staat nicht mehr zu kontrollieren war warb er Teile für seine eigenen Interessen ab und erschuf ein Gebilde turkmenischer FSA-Milizen, diese wiederum beziehen sich nach bisherigen Erkenntnissen vor allem auf die faschistischen Grauen Wölfe, also die türkische MHP, den aktuellen inländischen Partner der türkischen Regierung, also Erdoğans AKP und den türkischen Geheimdienst MİT, welcher durch Waffentransporte an den IS und Verbindungen zum Attentäter auf die in Paris ermordeten Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Söylemez Bekanntheit erlangte.
De facto stehen sich nun vor den Toren al-Babs pseudo-islamische Faschisten anderen pseudo-islamischen Faschisten gegenüber. Ein Szenario welches absurde Situation wie in der Stadt Qabasin nordöstlich von al-Bab erzeugt.
Qabasin ist ebenso wie al-Bab seit mehreren Jahren unter der Terrorherrschaft des IS. Vergangene Woche vermeldete die türkische FSA die Einnahme der Stadt ohne einen einzigen Schusswechsel. Am Tag darauf meldete der IS die Stadt zurück erobert zu haben. Dieses Spiel setzte sich seit dem fort, wobei mittlerweile auch Kampfhandlungen zu vernehmen sind.
Deutlich wird jedoch das Eigeninteresse des türkischen Staates, der sowohl ein zusammenhängendes Kurdengebiet wie Rojava, als auch ein Wiedererstarken Assads unter allen Umständen vermeiden will. Die türkische Regierung bekundete bereits sowohl Absichten zur Einnahme Aleppos, als auch Raqqas zu haben.
Für Rojava bedeutet dies vor allem einen harten Kampf um die verbliebenen 27km, da sowohl Erdoğan, als auch der IS und Assad alles in ihrer Macht stehende tun werden, um ein verbundenes, selbstbestimmtes und demokratisches Rojava zu verhindern.
Der türkische Staat machte gestern dabei seinen ersten zögerliche Schritt, um zu testen wie weit er gehen kann und wie stark der Gegenwind wird. Zu bemerken bleibt, dass auch hierbei Deutschland seine Hände im Spiel hat. Die türkische Luftwaffe arbeitet mit Aufklärungsdaten deutscher Kampfflugzeuge. Diese seien zwar laut zuständigem Amt mit dem Vermerk nur zur Nutzung gegen Ziele des IS versehen, jedoch fände keine weitere Kontrolle statt.
Eins ist bereits jetzt gewiss, der Kampf um al-Bab und die letzten 27km wird alle internationale Solidarität und Aufmerksamkeit brauchen.
21. November 2016, ISKU – Konstantin Weinert
aktuelle Frontentwicklungen: http://syriancivilwarmap.com/