Die Türkei steht am Rand des Abgrundes. Es mehren sich die Zeichen dafür, dass sie möglicher Weise sogar schon einen Schritt weiter gegangen ist. Am 2. Dezember hat Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan während der Eröffnung eines Autohandelszentrums in Ankara, als er die Errungenschaften unter seiner Amtszeit proklamierte, noch geschwärmt, dass so viele Menschen wie nie zuvor in der Türkei ein Auto ihr eigen nennen können und auch das Straßennetz erheblich ausgeweitet worden wäre. Doch das war es nicht, was dann für Schlagzeilen sorgte. Für Schlagzeilen sorgte sein Aufruf, wörtlich erklärte er: „Jene, die Devisen unter ihrem Kopfkissen haben, kommt wechselt das Geld in Gold, wechselt es in Türkische Lira. Damit die Türkische Lira an Wert zulegt, damit das Gold an Wert zulegt.“
Seit dem ist ganz offensichtlich, die Türkei ist wirtschaftlich stark angeschlagen. So stark angeschlagen, dass sie sich dazu gezwungen sieht, sich an jeden Strohhalm zu klammern, der ihr Rettung verspricht. Und sei es Omas mühsam Erspartes. Dass die drei Dollar oder vier Euro aus Omas Sparstrumpf die Türkei zu retten vermag, daran glaubt wohl keiner ernstlich. Nicht einmal Erdoğan selbst. Und dass sich der Weltmarkt im Handel mit der Türkei auf die Türkische Lira einlässt, das zu glauben, dazu bedarf es schon sehr viel Naivität.
Doch eine Analyse der ökonomischen Krise in der Türkei ist hier nicht die Zielsetzung. Vielmehr gibt es einen interessanten Hinweis aus den Reihen der Politik, der hier kurz angerissen werden soll. Cemal Şerik, von der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans KCK, weißt in einem Interview auf das zeitliche Zusammentreffen der Wirtschaftskrise in der Türkei mit ganz grundlegenden Veränderungen in der unmittelbaren Nachbarschaft der Türkei hin.
So macht Şerik den Wegfall dreier profitabler Quellen aus, aus denen sich seiner Ansicht nach die Türkei zuletzt gespeist hatte, für den wirtschaftlichen Verfall verantwortlich. Da wäre zuerst einmal die Umgehung des über den Iran verhängten Embargos. Und auch der Bürgerkrieg in Syrien soll Investoren, die zuvor im Syrien aktiv waren, sich von Syrien abgewendet und in die Türkei driften lassen, die jetzt allerdings, in ihrem sebstverursachten inneren politischen Desaster, versinken. Und zuletzt wäre da noch der Wegfall der Geschäfte mit dem sogenannten Islamischen Staat.
Der IS hatte die letzten Jahre die Kontrolle über wichtige Ölquellen in Syrien und dem Irak. Mit dem Voranschreiten der Revolution in Rojava – zuletzt startete sie sogar eine Operation gegen den IS in Rakka – und der Militäroperation in Mossul im Irak geriet der IS zunehmend unter Druck und verlor wichtige Verbindungswege zur Türkei. Mit Versiegen der Quellen, so Şerik, war es auch um die türkische Wirtschaft geschehen. „Die Quellen versiegten, die Pleite kam“, fasste er kurz und bündig das Geschehene zusammen. Sicher, Cemal Şerik ist kein Ökonom. Aber sollte er trotzdem Recht haben, ist die Türkei in einen Strudel geraten aus dem fraglich ist, wie sie da wieder herauszukommen gedenkt. Und das Omas Sparstrumpf da dann auch nicht mehr viel helfen kann, dazu muss man kein Ökonom sein, um das zu erkennen. So hat kaum eine Woche nach Erdoğans Eröffnungsrede in Ankara sein Ministerpräsident Binali Yıldırım erklären müssen, dass es vorerst wohl nichts mit dem Traum vom eigenen Auto wird, weder für den Staat noch für seine Bürger.
ANF, 08.12.2016, ISKU