In letzter Zeit sind verstärkt Anwerbeversuche des Verfassungsschutzes im Umfeld des „Zentrum für eine demokratische kurdische Gesellschaft“ in Hamburg bekannt geworden. Nach Angaben von Hatice Kaya, der Kovorsitzenden des Vereins, löst dieses Vorgehen bei den Betroffenen Empörung und Unverständnis aus.
Offenbar hat der VS, der angesichts rechtsextremistischer und dschihadistischer Bestrebungen merkwürdig hilflos wirkt, eine regelrechte Offensive gestartet, um kurdische Menschen als Spitzel zu gewinnen. Wie Hatice Kaya mitteilt, haben VertreterInnen des Vereins dieses Vorgehen in Gesprächen mit VertreterInnen des Senats, des LKA und einzelnen Abgeordneten thematisiert. „Der Vereinsvorstand ist gerne bereit, Auskunft über unsere politischen und sozialen Aktivitäten zu geben“, erklärt die Vereinskovorsitzende. Daher mache es keinen Sinn, die Vereinsmitglieder einzeln an ihrem Arbeitsplatz, in ihrer Wohnung oder auf der Straße anzusprechen, um sie als Spitzel anzuwerben.
Drohungen und Versprechen
Aus den Schilderungen der Betroffenen wird deutlich, dass der VS bei seinen Anwerbeversuchen immer die gleiche Strategie verfolgt. Die GeheimdienstlerInnen tauchen plötzlich am Arbeitsplatz, vor der Wohnung oder auf der Straße auf und stellen sich häufig mit „Verfassungsschutz, also wie Milli İstihbarat Teşkilatı“ [MIT, der türkische Geheimdienst] vor. Dann erklären sie, sich über für die Kurden wichtige Themen unterhalten zu wollen. Bei einer Anwerbeoffensive vor zwei Jahren, die sich vor allem auf kurdische Jugendliche konzentrierte, wurde zum Beispiel die Ermordung der kurdischen Revolutionärinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez im Januar 2013 in Paris erwähnt, um die Aufmerksamkeit der Betroffenen zu wecken. Bei den jüngsten Versuchen wird hingegen auf den Kriegszustand in Kurdistan und mögliche Auswirkungen auf Deutschland hingewiesen. Um die Betroffenen einzuschüchtern, wird ihnen verdeutlicht, dass dem VS alle Einzelheiten ihres Lebens bekannt sind. Auf der anderen Seite werden Erleichterungen bei der Einbürgerung versprochen.
Britta Eder: „Auf kein Gespräch einlassen“
Einige der Betroffenen haben sich an die Rechtsanwältin Britta Eder gewandt. Nach ihren Angaben sind Anwerbeversuche des VS legal. „Ebenso ist es aber legal, Informationen zu verweigern. Der VS ist nicht befugt, jemanden zu verhaften oder zu durchsuchen“, erklärt die Anwältin. Den Betroffenen rät sie, sich eindeutig zu verhalten: „Wer eine Zusammenarbeit mit dem VS ablehnt, sollte das klar zum Ausdruck bringen. Lasst euch auf kein Gespräch ein. Wenn ihr auf der Straße angesprochen werdet, könnt ihr mit lauter Stimme sagen, dass ihr nicht belästigt werden wollt. Ihr müsst keine Telefonnummern angeben. In einer solchen Situation sollte auch darauf verzichtet werden, die eigene politische Haltung zu verteidigen, die kennen sie ja sowieso.“
Wolfgang Struwe: “Einschüchterungsversuch“
Als Mitarbeiter der Informationsstelle Kurdistan (ISKU) verfolgt Wolfgang Struwe die Repression gegen die kurdische Bewegung in der Bundesrepublik seit vielen Jahren. Er rät dazu, solche Anwerbeversuche öffentlich zu machen: „Das ist die beste Methode, sich zu schützen. Es geht ihnen schließlich nicht nur darum, Informationen zu sammeln, gleichzeitig geht es um Einschüchterung und Behinderung der politischen Arbeit. Jeder hat das Recht, eine Zusammenarbeit mit dem VS zu verweigern.“ Außerdem weist Struwe darauf hin, dass auch Gespräche über vermeintlich belanglose Themen zu vermeiden sind: „Jede kleinste Information kann eine Bedeutung haben, da über Informationen aus verschiedenen Quellen für den Verfassungsschutz ein Gesamtbild entsteht. Selbst eine Unterhaltung über das Wetter kann dem VS bei der Einschätzung seines Gegenübers weiterhelfen.“
Cansu Özdemir: “Ziel verfehlt“
Für die Bürgerschaftsabgeordnete Cansu Özdemir ist die Konzentration des Verfassungsschutzes auf das Umfeld des kurdischen Vereins unbegreiflich. Özdemir hat mehrere schriftliche Anfragen zu dschihadistischen Bestrebungen in Hamburg an den Senat gestellt. Daraus werde deutlich, dass die Erkenntnisse zu diesem Thema nach wie vor dürftig seien: „Anstatt die kurdische Bewegung zu kriminalisieren, die ihre politische Meinung und ihre Forderungen ständig öffentlich zur Sprache bringt, sollten die Ressourcen dafür verwendet werden, Maßnahme gegen die demokratie- und menschenfeindlichen dschihadistischen Gruppierungen zu treffen“. Der deutsche Staat müsse seine Haltung zu dieser Frage dringend revidieren, so die Abgeordnete.
ANF, 12.12.2015, ISKU