TAK, für Kurd*innen bedeutet diese Abkürzung Rache

Kurdische Mutter in Silopiya

Kurdische Mutter in Silopiya | Foto: Kurdish Question

TÜRKEI/NORDKURDISTAN – Alleine diesen Monat gab es zwei gewaltige Bombenanschläge in der Türkei. Ein Explosion mitten im Herzen Istanbuls am 10. Dezember, eine Weitere in der nationalistisch bedeutenden Stadt Kayseri am 17. Dezember. Bei der Explosion in Istanbul starben 37 Polizisten der Einsatzhundertschaften sowie 8 Zivilist*innen, während in Kayseri 14 Soldaten der Kayseri Kommandobrigade ihr Leben verloren. Die Kayseri Kommandobrigade ist die erste türkische Kommandobrigade über die bekannt ist, dass sie an den Operationen in den kurdischen Gebieten wie Colemêrg (türk. Hakkari) und an grenzübergreifenden Operationen gegen die PKK in Südkurdistan/Nordirak. Angesichts des Anschlags auf die Kommandobrigade erklärte der Oberkommandeur der kurdischen Guerilla, Murat Karayilan, dass Soldaten der Brigade in einem Video zu sehen waren, indem sie zwei kurdische Guerillakämpferinnen gefangen nehmen, hinrichten und eine Klippe hinunter schmeißen.

Zu beiden Bombenanschlägen bekannten sich die Freiheitsfalken Kurdistans, kurz TAK, eine militante kurdische Gruppe, sie sagen über sich: „Wir suchen Vergeltung für die Misshandlung des kurdischen Volkes und für diejenigen, die durch die Hände der türkischen Regierung ermordet wurden“. Motiviert durch die Feindschaft zum türkischen Regime, ist TAK eine Stadtguerilla, geboren aus Perspektivlosigkeit gegenüber der zerstörerischen und vernichtenden türkischen Politik in den kurdischen Gebieten. Als Vergeltung für die Taten der türkischen Regierung hat TAK nach eigener Aussage besonders diese Brigade ins Visier genommen, da „die Kayseri Kommandobrigade seit Jahren an vorderster Front im Vernichtungskrieg gegen das kurdische Volk steht und dabei hunderte Menschen ermordet hat“.

Nach den Anschlägen im Februar und März diesen Jahres in Ankara auf türkische Soldaten wurden TAK zu einem allseits bekannten Begriff, deren Geschichte bis Mitte der 2000er zurückverfolgbar ist. Als im Juli 2015 der letzte Versuch eines Friedensprozesses zwischen dem türkischen Staat und der PKK von Staatspräsident Erdoğan persönlich abgebrochen wurde, traten TAK bei den sich steigernden Kämpfen wieder auf die Tagesordnung. Anders als die PKK, sind TAK keine soziale Bewegung und haben dementsprechend keine ganzheitliche politische Strategie. Laut eigener Aussage werden TAK ihre Angriffe fortsetzen bis die Massaker gegen die Kurd*innen eingestellt, ein Waffenstillstand zwischen dem türkischen Staat und der PKK vereinbart, die Isolationshaft Abdullah Öcalans aufgehoben und die politische Unterdrückung des kurdischen Volkes beendet wurde. Nachdem der türkische Staatspräsident Erdoğan den Verhandlungstisch verließ und mit Bezug auf die Dolmabahçe-Verhandlungen sagte, dass es keine Kurdenfrage gäbe, begann er einen totalen Krieg gegen die kurdischen Gebiete. Angesichts der Zerstörung kurdischer Orte und dem Ausbleiben jedweder Lösungsgespräche wurden TAK als Gruppe aktiv, um auf die politischen Prozesse in der Türkei und der gesamten Region einzuwirken.

WIE AGGIEREN TAK?

TAK sind eine Stadtguerilla und können somit bestens untertauchen, sie arbeiten grundsätzlich in Kleinstgruppen aus zwei Militanten, diese militanten Zellen führen ihre Aktionen mit genauster vorheriger Analyse und Erfahrung aus. Die Aktionen weisen eine solche Professionalität auf, dass für den Istanbuler Hauptkommissar Murat Caliskan nach dem Anschlag am 10. Dezember in Istanbul die einzige Erklärung war, dass die Aktion in Zusammenarbeit mit dem Staat organisiert wurde, da „die militante Gruppe angesichts des Ausmaßes der Explosion im Besitz militärischer Sprengstoff sein müsse“. Selbst innerhalb der TAK ist nicht bekannt wer, wo zur Stadtguerilla gehört, sie arbeiten als unabhängige Zellen, daher ist es für den türkischen Staat quasi unmöglich die Struktur aufzudecken und zu zerschlagen.

Die TAK operieren in den türkischen Metropolen als sogenannte Schläferzellen und tragen somit den türkischen Krieg gegen das kurdische Volk in Gebiete, in der die Guerilla der PKK keine Einheiten oder Einflüsse hat. Auf Grund des Lebens im Untergrund und zur eigenen Sicherheit arbeiten die Militanten der TAK mit verschiedenen Identitäten, wie Abdulbaki Somer, Deckname Zinar Raperin, der im Februar den Anschlag in Ankara verübte und dem türkischen Staat nur als Geflüchteter aus Syrien bekannt war. TAK griffen ein in einer Zeit ein, in der die Zerstörung kurdischer Städte und die wochenlangen Ausgangssperren ihren Höhepunkt erreichten, in der die Gemeinden ihre Selbstverwaltung und Autonomie ausriefen und Jugendliche sich zu Zivilen Verteidigungseinheiten (YPS) zusammen fanden, um diese zu schützen. Die brutalen Ausgangssperren mündeten im Tod etlicher Zivilist*innen, Massakern an Menschen, die in Kellern Zuflucht suchten, vielen hunderten Verwundeten, unzähligen undokumentierten Menschenrechtsverletzungen und gewaltsamer Vertreibung von über einer Millionen Menschen.

DIE GRÄUELTATEN TÜRKISCHER EINHEITEN IN DEN KURDISCHEN STÄDTEN

TAK erklärten ihr erster Hauptangriff in Ankara sei eine direkte Reaktion auf die Massaker an 178 Menschen in Cizîr (türk. Cizre), die vor den massiven Angriffen Schutz in drei Kellern suchten. Während die Schutzsuchenden in den Kellern ermordet wurden, war es Mehmet Tunc, der Kovorsitzende des lokalen Volksrats, der mehrfach über Telefon um Hilfe für die verwundeten Menschen rief. Trotz dem Wissen der offiziellen Regierungsstellen über die Lage der Zivilist*innen, hat die türkische Armee erbarmungslos die Gebäude, die als Zufluchtsort dienten, zerbombt. Der Staat verleugnet jeglichen Hilferuf und jedes Wissen, er interessiert sich nicht für all die Toten, auch die türkischen Medien verbreiteten die Lügen des Staates und behaupteten, die Armee habe ein Gebäude gestürmt und dabei „60 Terroristen neutralisiert“. Kurz darauf wurde das Gebäude und die sich darin befindlichen Menschen in Brandt gesteckt, um jeden möglichen Beweis ihrer Gräuel zu vernichten.

Während der verhängten Ausgangssperre in Silopiya (türk. Silopi) im Dezember 2015 wurde die 57-jährige kurdische Mutter Taybet Inan auf offener Straße erschossen, da sie gegen die Ausgangssperre verstoßen habe. Ihr lebloser Körper lag über eine Woche auf der Straße und verweste langsam. Die türkische Armee verweigerte sämtlichen Rettungskräften die Bergung, Angehörige und Anwohner*innen wurden bei dem Versuch beschossen. Für über sieben Tage wurde Taybet Inan zu einem der deutlichsten Beispiele für die staatliche Brutalität, während ihre Kindern von ihrem Zuhause aus 150 Meter Entfernung ihre Leiche sehen konnten. Ihr Sohn Tamer schrieb einen Brief: „Als wir hörten, dass unsere Mutter erschossen wurde, rannten wir los, um sie zu holen, aber noch bevor wir bei ihr ankamen, hatte bereits mein Onkel versucht zu ihr zu kommen, auch er wurde erschossen“. Es waren diese Tage, als ein Polizist aus Silopiya, der später bei der Explosion im Istanbuler Stadtteil Beşiktaş starb, auf seiner Facebookseite schrieb: „Da sind überall Kadaver“.

Viele weitere solcher Gräueltaten ereigneten sich Ende 2015 und Anfang 2016, wie Hacı Lokman Birlik, einem 24-jährigen kurdischem Mann, er wurde durch 28 Kugel getötet und anschließend wurde seine Leiche an einem gepanzerten Militärfahrzeug durch die Straßen der Stadt geschleift. Eine türkische Spezialeinheit nahm alles auf Video auf und veröffentlichte es anschließend im Internet, das war im Oktober 2015. Sie erzeugten damit enorme Wut, Schmerz und den massenhaften Schrei nach Rache.

Viele andere Gräueltaten sind während des Herbstes und Winters 2015 und Anfang 2016 vorgekommen; Haci Lokman Birlik, ein 24-jähriger kurdischer Mann, wurde 28mal geschossen und ist zu einem gepanzerten Fahrzeug punktgleich gewesen, sein lebloser Körper hat sich die Straßen durch türkische Soldaten in die Länge gezogen. Türkische Sondereinheiten haben ein Video davon auf sozialen Medien im Oktober 2015 in Umlauf gesetzt und haben weit verbreitete Wut, Schmerz und Aufrufe nach Rache verursacht.

Als der damalige türkische Premierminister Ahmet Davutoğlu im Fernsehen verkündete, dass alle in Cizîr getöteten Personen Terroristen gewesen sein, wurde im September 2015 zeitgleich das 10-jährige kurdische Mädchen Cemile Cagirga vor ihrer Haustür erschossen. Ihre Leiche wurde aufgrund der totalen Ausgangssperre über drei Tage in einer Tiefkühltruhe aufbewahrt und konnte erst auf einem Friedhof beerdigt werden, als Parlamentsabgeordnete der HDP (Demokratischen Partei der Völker) vor Ort eintrafen. Ein weiterer Fall ist der, der 3 Monate alten Miray, die gemeinsam mit ihrem Großvater von der Polizei in Cizîr erschossen wurde, als dieser versuchte sie ins Krankenhaus zu bringen. Eben jene Gräueltaten sind es, die die TAK motivieren das türkische Militär und staatliche Einrichtungen überall in der Türkei als legitime Ziele auszuwählen.

REICHT ES GEGEN GEWALT ZU SEIN UM ALL DIES ZU STOPPEN?

Viele offizielle Stellen verurteilen die Angriffe der TAK und erklären, dass sie gegen Terrorismus und Gewalt in der Türkei seien. Jedoch allein sich gegen Gewalt auszusprechen wird all dies nicht beenden. Das kurdische Volk ist einer größeren Unterdrückung ausgesetzt, als je zuvor vor allem im Vergleich zu den 1990er Jahren, einer Zeit intensivster Kämpfe zwischen der PKK und Ankara, in der der Staat massenhaft extralegale Hinrichtungen ausführte und Menschen einfach für immer verschwanden. In den 90er Jahren konnten die Verbrechen von JITEM, einer militärischen Organisation die dem Tiefen Staat zugerechnet wird, aufs einfachste verdeckt werden. Heute können diese Gräuel innerhalb weniger Stunden weltweit veröffentlicht werden. In einer Welt, in der Fotos von enthaupteten YPS Kämpfer*innen oder leblosen Körpern kurdischer Kämpferinnen vollkommen entblößt in den sozialen Medien über Accounts, die JITEM oder dem Tiefen Staat zugehörig sind, veröffentlicht werden, ist es keine Überraschung, dass Gruppen wie TAK, die die Aktionen und Taktiken der kurdischen Guerilla gegen den Staat als „zu weich und ineffektiv“ kritisieren, den Staat und die Metropolen mit Bomben ins Visier nehmen.

Obwohl TAK immer wieder erklären, dass ihre Ziele Einrichtungen des türkischen Staates, Sicherheitsorgane sowie Industrie und Wirtschaft sind, gibt es keine Entschuldigung für den Tod unschuldiger Zivilist*innen bei den Aktionen. Die Gruppe drückte zuletzt ihr Bedauern über die zivilen Opfer aus, die „zufällig“ in den Radius der Angriffe gerieten. TAK sind jedoch nicht wie die PKK, die die Genfer Konvention akzeptiert, erfüllt und Untersuchungen bei den Aktionen begonnen hat, in denen Zivilist*innen ums Leben kamen. Auch die PKK kritisiert die TAK in ihren Aktionen bei denen Zivilist*innen getötet oder verletzt worden sind. Dies hatte bisher jedoch keine Auswirkungen auf die Aktionen der TAK. Daher müssen die Verhältnisse und Beweggründe untersucht werden, die zur Entstehung der TAK und ihrer Aktionen in den türkischen Metropolen geführt haben.

DER BRUCH ZWISCHEN KURD*INNEN UND TÜRK*INNEN

Es ist kein Geheimnis, dass sich der Großteil der türkischen Gesellschaft über Nachrichten freut, die melden, dass kurdische Kämpfer*innen „neutralisiert“ wurden, was zumeist bedeutet, dass sie getötet wurden. Trotz des Erstarkens rassistischer, ultra-nationalistischer und antikurdischer Aktionen und Ressentiments will ein Großteil der kurdischen Gesellschaft zurück an den Verhandlungstisch für Friedensgespräche, sie wollen nicht noch mehr Blut auf beiden Seite fließen sehen. Jedoch muss akzeptiert werden, dass solange die Verleugnungs- und Vernichtungspolitik gegen das kurdische Volk weiter gehen, Gruppe wie TAK für das kurdische Volk kämpfen werden. Dies bringt eine Frage mit sich: Sind TAK mit der PKK verknüpft oder eine autarke Abspaltung? Sowohl die PKK als auch TAK sind Ergebnisse der historischen Ungerechtigkeit. Sollte diese Ungerechtigkeit nicht aufgelöst werden, werden sich zukünftig mit hoher Wahrscheinlichkeit noch radikaler Gruppen bilden. Der einzige Weg um TAK zu stoppen ist der Weg des Dialogs und die Öffnung für Verhandlungen. Doch gerade scheinen diese Türen fest verschlossen zu sein, so wiederholte Ankara im 32. Jahr dieses blutigen Krieges immer wieder: „Wir werden die PKK im nächsten Jahr endgültig vernichten!“.

Für Kurd*innen wurde das 32. Jahr des Krieges gleich mit dem Wort „Keller“. Türkische Spezialeinheiten, die in Cizîr aktiv waren, verkünden stolz ihre Machenschaften, sprühen Parolen, wie „In den Keller wurde die Liebe gelebt mein Schatz“, hießen türkische Fahnen vor durch Kugeln durchsiebte Gebäude und machen dabei den faschistischen Wolfsgruß. All dies wurde als Propaganda im ganzen Land verbreitet: innerhalb der gesamten Bevölkerung, bei Fußballspielen und durch Internettrolle der Regierung in den sozialen Medien. Während die Kurd*innen jedweden erdenklichen Schmerz fühlen, wenn sie das Wort „Keller“ nur hören, bedeutet die Abkürzung TAK für sie Rache.

Quellen:

http://tihv.org.tr/wp-content/uploads/2016/04/Cizre-Gözlem-Raporu_31-Mart2016.pdf

http://anfenglish.com/features/karayilan-akp-government-responsible-for-the-bloodshed

http://m.bianet.org/bianet/insan-haklari/172358-dna-sonucuna-gore-intihar-bombacisi-tak-in-acikladigi-abdulbaki-somer

https://www.hrw.org/news/2016/07/11/turkey-state-blocks-probes-southeast-killings

https://www.amnesty.org/en/documents/eur44/5213/2016/en/

https://www.rt.com/news/335200-cizre-burned-beheaded-kurds-erdogan/

http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=53895#.WGEQgLXfWaM

http://www.mazlumder.org/fotograf/yayinresimleri/dokuman/MAZLUMDER_CIZRE_REPORT_20162.pdf

http://sendika14.org/2016/02/turkish-government-kills-60-in-basement-in-cizre-reports/

http://en.tihv.org.tr/fact-sheet-on-declared-curfews-between-11-25-december-and-violations-of-right-to-life-against-civilians/

http://mobile.nytimes.com/2015/10/06/world/europe/turkey-to-investigate-images-of-dead-kurdish-man-being-dragged.html

http://www.haberiyakala.com/mobile-2016-02-09-sirnakta-guvenlik-gucleri-duvara-ask-bodrumda-yasaniyor-guzelim-yazdi-h72290.haber

 

Aylina Kilic – Kurdish Question, 26. Dezember 2016, ISKU

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