ANF | PKK (Partîya Karkerên Kurdîstan – Arbeiter_innenpartei Kurdistans) Exekutivratsmitglied Murat Karayılan erklärte, dass der türkische Staat den Willen der Völker Kurdistans brechen will und versprach gleichzeitig, dass die gemeinsame Antwort darauf der anhaltende Widerstand gegen diese Angriffe ist. Murat Karayılan verlas eine bedeutende Erklärung bezüglich des anhaltenden Staatsterrors und des bemerkenswerten Widerstandes in Bakûr (Nordkurdistan).
Auf die Fragen des Radiosenders Dengê Kurdîstan antwortete Karayılan, dass der Befreiungskampf am 14. Dezember eine neue Phase erreicht hat und der türkische Staat sich nun in einem Bürger_innenkrieg befindet.
Karayılan betonte, dass der türkische Staat den Willen der Völker Kurdistans brechen will und versprach gleichzeitig, dass die gemeinsame Antwort darauf der anhaltende Widerstand gegen diese Angriffe ist.
Im Folgenden ist ein Auswahl von Auszügen aus dem durch ANF English zur Verfügung gestellten Interview mit dem PKK Exekutivratsmitglied Karayılan.
Welche Absichten stecken hinter den massiven Angriffen des türkischen Staates gegen die Selbstverwaltungen?
Der Kampf unserer Völker hat eine historische und bedeutende Phase erreicht. Es gibt einen andauernden Krieg im Mittleren Osten, in dem die Völker Kurdistans und ihr Freiheitskampf populär wurden. Es ist jeder und jedem klar, dass die Region nach Ende des Krieges neu strukturiert werden wird.
Der Erfolg der Völker Kurdistans in Kobanê und Şingal haben sie zu einem Hauptakteur im Mittleren Osten gemacht. Die Region kann ohne die Völker Kurdistans nicht neu geplant werden. In dieser Beziehung hat somit eine neue Phase begonnen. Der Vertrag von Lausanne, dessen Bestandteil die Leugnung der Völker Kurdistans ist, verliert seine Bedeutung. Diese neue Realität erschütterte die Großmächte, die Kurdistan bisher unter ihrer Kontrolle hielten. Wie Davutoğlu selbst festgestellt hat, wurde die Entscheidung eines umfassenden Krieges vom MGK (Staatssicherheitsrat) nach dem Sieg von Kobanê gegen Ende Oktober gefällt.
Sie wollen Rêber Apo (Vorsitzenden Öcalan) mittels dieses Krieges brechen. Der Krieg hat bereits am 5. April auf İmralı begonnen. Er wurde gegen Rêber Apo begonnen. Dieser Krieg hat mit den Angriffen auf unsere Völker eine neue Phase erreicht. Der türkische Staat will den Willen der Völker Kurdistans brechen, sie unterdrücken und versklaven. Er will die Völker Kurdistans brechen und die Selbstverwaltungen zerschlagen. Die AKP hat den Krieg nur zu diesem Zweck begonnen und verstärkt ihn Tag für Tag. Dieser Krieg ist nach dem 14. Dezember in eine neue Phase eingetreten.
Wie äußert sich diese neue Phase?
Der Konflikt entwickelt sich zu einem Bürger_innenkrieg. Einige vergleichen es mit den 90er Jahren, aber die aktuelle Situation ähnelt mehr den zeitlichen Abschnitten von 1925, 1930 und 1938, als unsere Völker in Dêrsim durch den türkischen Staat massakriert wurden, weil diese ihre Selbstverwaltung verteidigten. Die Methoden und die Situation sind immer noch die selben. Die militärischen Operationen dienen der Besatzung, der Massaker, dem Brechen des Willens und der erneuten Versklavung. Dies ist ein Bürger_innenkrieg, den der türkische Staat den Völkern Kurdistans erklärt hat. Der türkische Präsident schwört öffentlich, uns hinter unseren Gräben und Barrikaden zu vernichten und auf jeden Aufstand mit brutaler Repression zu reagieren. Der türkische Staat will in aller Deutlichkeit den Willen unserer Völker brechen, die einen Schauplatz des gemeinsamen und organisatorischen Kampfes unter der Führung Rêber Apos geschaffen haben.
Das Menschen die Selbstverwaltungen an vielen Orten ausgerufen haben, ist eine progressive Aktion der kurdischen Freiheitsbewegung. Der türkische Staat und die AKP wollen die Völker Kurdistans von diesem Schauplatz tilgen. Sie wollen die Völker Kurdistans zu ihren Sklaven machen, indem sie die Machtposition wiedererlangen, die sie auf Kosten ihrer Kinder einst hatten. Die Massaker von Dêrsim, Zilan und Sheikh Said werden nun durch die AKP auf eine postmoderne Weise erneut begangen. Beim Versuch, die Gräueltaten vor der Welt zu verbergen, verdrehen die pro-staatlichen Medien sämtliche Nachrichten, so dass es schwer ist, die Wahrheit zu erkennen, selbst für diejenigen, die sich als Intellektuelle bezeichnen. Daneben gibt es auch einige Kollaborateure unter den Kurd_innen, die die Situation durch die Gräben und Barrikaden verschuldet sehen.
Gräben und Barrikaden sind unsere Selbstverteidigung. Die Völker Kurdistans sind gezwungen Gräben zu graben und Barrikade zu errichten, um sich zu verteidigen. Der Knackpunkt sind nicht die Gräben und Barrikaden, sondern die Absicht, den Willen der Gesellschaften Kurdistans ein für alle mal zu brechen. Und während sie dies tun, versuchen sie alles, um es vor der Weltöffentlichkeit im Verborgenen zu halten. Trotz der Möglichkeiten durch das Internet, versuchen sie die Wahrheiten und Ereignisse zu verdrehen und rechtfertigen ihre mörderischen Operationen mit den Gräben und Barrikaden der Selbstverteidigungen und natürlich mit den Beschuldigungen gegen die PKK. Doch dies ist nicht die Wahrheit. Die Völker Kurdistans haben einen enormen Willen entwickelt, die Menschen wollen leben, sie wollen gleichberechtigt leben und nicht weiter ihrer Rechte und ihres Lebens beraubt werden. Der Staat will die Kurd_innen unterdrücken, wie zur Zeit in Cizîr, Silopi, Sûr, Kerboran, Nisêbîn oder wie früher in Gewer, Bismil oder Dêrik. Es ist ein groß angelegter Krieg, der gegen die Völker Kurdistans geführt wird.
Daneben werden wie gesagt äußerste Anstrengungen getroffen, um die Wirklichkeit zu verdrehen. Staatliche Kräfte beschießen und verbrennen eine Moschee und später wird behauptet, dass die PKK dies getan hätte. Der Staat stellt sich als Unschuldslamm dar und schiebt jegliche Verantwortung auf die Gegenseite. Er versucht die Wahrheiten zu verdrehen, damit der Bürger_innenkrieg nicht ans Tageslicht kommt, vor allem nicht für die Weltöffentlichkeit. Der Staat will mit allen Mittel erreichen, dass die türkische Gesellschaft und die Völker Kurdistans nicht erkennen können, was tatsächlich passiert. Er will die Völker Kurdistans schwächen und unfähig machen, sich wie bisher selbst zu verteidigen, so wie es in den 1920er Jahren geschah.
Aus dem Wunsch heraus Rojava entgegenzuwirken, will der türkische Staat reale Erfolge erzielen, indem er durch Krieg Konflikte innerhalb der kurdischen Politik schaffen will. Er vollzieht enorme Anstrengungen, um die Völker Kurdistans daran zu hindern einen Platz im zukünftigen Mittleren Osten einzunehmen. Das ist die Hauptstrategie der AKP Regierung.
Jugendliche, Frauen, Kinder, Alte widerstehen jedweden Angriffen auf die selbstverwalteten Gebiete. Was bedeuten dabei Gräben und Barrikaden, als Teil eines neuen Völkerwiderstandes in Kurdistan?
Zunächst grüße ich alle Menschen, die gegen die Angriffe Widerstand leisten. Die Stimme der Jugend Kurdistans in Kobanê, die rund um den Erdball in der Person von Arin Mirkan und Gelhats erklang, erklingt heute aus Cizîr, Silopi, Nisêbîn, Kerboran und Sûr, wo sich die Menschen mit dem gleichen Geist widersetzen. Das bedeutet ein neues Niveau der kurdischen Freiheitsbewegung. Das ist ein wertvolles Beispiel.
Unsere Antwort auf diejenigen, die sich wiederholt über die Gräben und Barrikaden beklagen, ist: Diese Gräben, diese Barrikaden sind für unsere Selbstverteidigung und die Verteidigung unseres Willens. Diejenigen, die die Gräben und Barrikaden in Frage stellen, sollten lieber eine Lösung gegen diese faschistischen Angriffe anbieten. Werden sie im Stande sein, die staatlichen Banden der AKP aufzuhalten? Nein. Mit anderen Worten verlangen diese Anklagen nur eins, unsere Kapitulation.
Jede und jeder, der sich Kurd_in, Bürger_in Kurdistans, Patriot_in oder Demokrat_in nennt, sollte dies erkennen und sich dem Widerstand anschließen. Sie sollten in Solidarität mit diesem Kampf für Menschlichkeit und gegen die Gräuel und den Faschismus sein. Dies ist ein Kampf für das Leben mit dem Ziel des Zusammenlebens.
Ein anderes Ziel dieses Kampfes ist die Demokratie. Der Widerstand des kurdischen Volkes gegen den AKP-Faschismus ist gleichzeitig ein Ringen für die Demokratie in der Türkei und für die Erreichung eines gemeinsamen Willens der türkischen Gesellschaft. In dieser Hinsicht ist dieser Widerstand ein Kampf für die Demokratie und Freiheit in der Türkei, dies ist der Grund, aus dem sich alle linken, sozialistischen, demokratischen und pazifistischen Bewegungen solidarisieren und anschließen sollten. Dies ist der Widerstand aller ethnischen und religiösen Minderheiten. Es ist der Widerstand der Vielfalt, der Demokratie und Freiheit gegen „eine Sprache, eine Nation einen Staat, eine Fahne, eine Religion“. Die Völker der Türkei, all diejenigen, die vom System unterdrückt werden, sämtlichen Arbeiter_innen und Glaubensgruppen sollten Teil des Widerstandes in Cizîr, Silopi, Nisêbîn, Kerboran, Sûr und ganz Kurdistan werden.
Diese Angriffe sind Zeichen der staatlichen Schwäche. Der Staat führt diese Angriffe aus Angst vor der immer größer werdenden Stärke der Völker Kurdistans. Er würde keine Panzer auf den Straßen in Stellung bringen, wenn er nicht angreifbar und unsicher wäre. Er weiß, dass dies der Anfang vom Ende ist. Und doch ist der Wille unserer Völker stärker als jeder Panzer. Dies ist ein Völkerwiderstand, der stärker ist als alles andere. Die AKP kann keinen erneuten Genozid wie den von Dêrsim begehen. Aus diesem Grund sollten alle Patriot_innen, Kurd_innen und ihre Freund_innen zusammen stehen und die Angriffe der AKP zurückschlagen, die zurzeit an einem Tiefpunkt ist.
Der türkische Staat behauptet, dass 200 Mitglieder der PKK und der YDG-H/YDGK-H ermordet wurden. Wie ist diese Behauptung einzuschätzen?
Das ist nicht die Wahrheit. Die AKP behauptet, dass die Guerilla von den Bergen in die Städte gekommen ist, um ihre Angriffe gegen unser Volk zu rechtfertigen. Die HPG ist in diese Kämpfe und Auseinandersetzungen noch nicht involviert. Es sind die Jugend Kurdistans und unsere Völker die zu den Waffen gegriffen, Gräben gegraben und Barrikaden errichtet haben und sich in den Gebieten unter dem türkischen Beschuss widersetzen.
Wenn der Staat tatsächlich so viele Menschen getötet hat, wo sind dann ihre Leichname? Wo sind ihre Waffen? Das sind alles Lügen. Sie ermorden die Zivilbevölkerung und behaupten: „Wir setzen Truppen ein, weil die Guerilla von den Bergen in die Städte gekommen ist“. Die Jugend widersetzt sich mit leichten Waffen und wir stehen ihnen bei, bis zum Ende. Sie sind die Zukunft Kurdistans, sie sind die Kämpfer_innen der Freiheit und Demokratie. Die Völker Kurdistans dürfen die Jugend nicht alleine lassen, die Jugend führt die Perspektive Rêber Apos, der sagt, dass der Frieden durch die demokratische Entschlossenheit und Freiheit geschaffen wird. Der Staat will diesen Widerstand brechen und Rêber Apo von der Bildfläche verschwinden lassen. Dies ist der Grund, weshalb heute ein so massiver Krieg gegen die Völker Kurdistans geführt wird.
Die Armee ist mittlerweile auch ein Teil dieses Krieges geworden, wie beispielsweise in Farqîn und nun Cizîr. Ich warne die AKP, die staatlichen und militärischen Beamten, sie spielen mit dem Feuer. Wenn sie weitermachen wie bisher, wird sich die Guerilla in einer aufopferungsvollen Weise in diesen Krieg einbringen und die Verbindungen zwischen den Völkern Kurdistans und der türkischen Republik werden vollends gekappt. Wenn sie unsere Völker mit Panzern und Artillerie ermorden, wird es nicht mehr möglich sein, gemeinsam zu leben. Die AKP plant die Kurd_innen zu zerschlagen und dann an einen gemeinsamen Tisch zu bringen. Entschuldigung, aber niemand wird an einem Tisch mit denjenigen sitzen, die unsere Kinder, Mütter und Alten ermordet haben. Wir sind von ihnen nicht abhängig, wir können ohne sie. Die Situation ist nicht mehr diejenige, die sie eigentlich sein müsste. Diese Realität und Tatsache muss klar sein.
Die Armee widersetzte sich zunächst Truppen in den Städten zu stationieren, aber warum hat sie es nun getan? Dies ist offensichtlich ein Staatsstreich, der auf die Demokratie und die Völker Kurdistans ausgerichtet ist. Diese Angriffe trennen die Verbindungen zwischen Völkern der Türkei und Kurdistans. Jede und jeder sollte seine Schritte mit Bedacht machen und vor Augen haben, dass sich die Völker Kurdistans niemals ergeben werden und das unser Widerstand Leben bedeutet.
ANF, 19.12.2015, ISKU