Amed/Sûr – Auch am 89. Tag der Belagerung von Sûr durch das türkische Militär dauert die Bombardierung unvermindert an. Bemühungen um eine 24-stündige Aussetzung der Ausgangssperre zu erwirken, damit die ca 200 Zivilisten, darunter Frauen, Kinder, Alte und Verletzte in Sicherheit gebracht werden können, fanden bei den türkischen Behörden bisher kein Gehör.
Nachdem seit den Morgenstunden kein Kontakt mehr zu den eingeschlossen Zivilisten hergestellt werden konnte, gelang es jetzt mit Remziye Tosun telefonisch Kontakt zu bekommen. Sie erzählt mit vielen Unterbrechungen über ihre Situation: „Was denkst du, wie es geht? Wir haben kein Ladekabel. Wie ist unsere Situation? Wir werden bombardiert. Der Kontakt zu den anderen Familien ist unterbrochen. Die einzigen hier ist die Familie an meiner Seite und ich. Hier gab es eine Familie die aus Antep stammt. Der Kontakt zu ihnen ist abgebrochen. Zuletzt beschossen Panzer ihr Haus. Ihr Name war Aysel, die Namen der anderen weiß ich nicht.“
Schüsse sind zu vernehmen.
“Wir waren am Anfang zusammen. Wir sind jetzt 1-2 Häuser weiter. Es war sehr starker Beschuss aus Panzern und so. Wir haben sie angefleht kommt mit uns 1-2 Häuser weiter. Was wir auch machten, sie kamen nicht mit. Sie sagen: wenn wir auch sterben, wir werden das Haus nicht verlassen. Wie haben kein Haus, kein Geld. Wir sind arm, sind bedürftig, wohin könnten wir schon gehen? Das sagten sie. So haben sie das Haus nicht verlassen. Die Zimmer in denen sie zuletzt waren wurden von Panzern beschossen. Was danach passiert ist wissen wir nicht. Womöglich sind sie Tod. Seit 3 Tagen haben wir nun keinen Kontakt mehr zu ihnen. (Man hört ihre Tochter Beritan ununterbrochen weinen) Beritan lässt mich nicht von ihrer Seite.“
Das Gespräch wird mehrmals unterbrochen.
Es gibt kein Telefonnetz mehr. Vor 3 Tagen haben wir die Familie zuletzt gesehen. Das Wasser der Moschee floss nur noch spärlich. Dort haben wir sie kennen gelernt. Sie waren fremd hier. Ich weiß dass die Frau Aysel heißt. Jetzt wenn wir so von weitem dorthin sehen, sieht es so aus, als sei durch den Beschuss der Panzer von dem Haus so gut wie nichts mehr vorhanden. Wir haben nicht den Mut gehabt hinzugehen und nachzuschauen. Es ist starker Beschuss. Es gibt Scharfschützen. Wir wissen es nicht, haben keine Nachricht mehr von ihnen bekommen können.
Unsere Lage. Wir alle sitzen in einem winzigen Raum fest. Du hörst das Weinen der Kinder. Sie sind genervt wollen auf die Straße. Hubschrauber kreisen über uns, bombardieren alles. Wir überlegen, ob wir an einen sichereren Ort wechseln. Denn hier können auch wir jeden Moment mit dem Tod konfrontiert sein. Wenn ihr das Haus, in dem wir uns befinden sehen könntet, währt ihr überrascht, dass wir hier schlafen können. Übel nicht? Nur der Raum, in dem wir uns befinden, ist noch ganz, alles rundherum ist zerstört. Zwischen all dem ein einziges Zimmer. So ist das. Es liegt höher als ein Keller, aber es gibt keinen Ort wohin wir könnten. Wenn es den gäbe, würden wir dahin gehen, aber hier gibt es keinen Keller. Es gibt hier nur das Erdgeschoß. Alles ist zerstört, ein Ruinenfeld. Vielleicht seht ihr das von da draußen nicht. Ich weiß es nicht, aber manchmal, wenn ich so auf die Straße hinaus sehe, weiß ich selbst nicht wo ich bin, so zerstört ist alles hier. Ruinen, alles vernichtet. Vielleicht seht ihr das von da draußen, einiges ist zerstört und so. So ist das.
Wer sich etwas Menschlichkeit bewahrt hat lass uns bitte nicht allein. Wir haben keinen Kontakt mehr zu den anderen Familien. Hier sind noch Emine und ich (und die Kinder).
ANF, 28.02.2016, ISKU