Duran Kalkan zur Lage im Mittleren Osten

Duran Kalkan zur Lage im Mittleren OstenPKK-Vorstandsmitglied Duran Kalkan sagte bezüglich Erdoğans Versuche, den Staat mit all der Brutalität und seiner Grausamkeiten auf den Beinen zu halten, dass die Standbeine des Staates gebrochen und der Staat kollabiere. Duran Kalkan nahm im Rahmen der Sendung „Ülkeden“ (zu dt: „Aus dem Land“) in dem neuen Medya Haber TV Sender an einem Interview teil und beantwortete Fragen mit dem Journalisten Derviş Eren. Dies sind die wichtigen Themenschwerpunkte und Bewertungen

Aktionen der Guerilla

Gegen die Linie der Guerilla, der geistigen Arbeit und ihren Aktionen, kann keine Kraft Stand halten. Die zur stolzen, prahlerischen, zweitstärksten NATO Armee gewordene Republik Türkei befindet sich in keiner guten Situation. Sie ist nicht wiederzuerkennen. In jüngster Zeit sind die Aktionen der Guerilla von Şemzînan bis Dersim für sie niederschmetternd gewesen, sie entwickeln sich weiter und werden fortgesetzt werden. Wenn man die Offensive der Demokratischen Kräfte Syriens QSD in Raqqa und Dêra Zor mit den Aktionen der Guerilla in Verbindung setzt, entsteht folgendes Bild: Der in den vier Teilen Kurdistans auf der Linie von Abdulla Öcalan entwickelnde Guerilla-Widerstand wächst Tag für Tag und bringt alle faschistischen Brennpunkte in der Region zu Fall. DAIS, Al-Qaida, AKP, MHP und andere faschistischen Gruppierungen wird er zu Fall bringen.

Der Staat ist am zerfallen

Um diesen Staat auf den Füßen zu halten, werden so viele Panzer und Flugzeuge eingesetzt, wie notwendig. Man würde sich da nicht zurückhalten, sagte Tayyip Erdoğan. Das kommt dem Brutalitätsverständnis für Gräueltaten gleich. Das alles macht er, um den Staat aufrechtzuerhalten. Seine Standbeine sind gebrochen und er ist im Begriff zu fallen. Er bittet brennend darum, um diesen Fall zu verhindern, die PKK von ihrem Widerstand wegzubringen, damit sie ihren Widerstand aufgibt. Was wir wissen und was zu uns durchgedrungen ist, lassen manche Fragen offen.

Menschenrechtsverbrechen

Gegen die Repressions- und Einschüchterungspolitik der AKP in Kurdistan muss die Welt ihre Stimme erhöhen. Es wird vom europäischen Menschenrechtsvertrag, von universellen Menschenrechtskonventionen und von Menschenrechtsmaßstab der UN gesprochen. Wenn all dieses auf Kurdistan angewandt würde, all das was der AKP-MHP-Faschismus tut, würden die Verbrechen gegen die Menschlichkeit offen. Wenn diese Maßstäbe angewandt würden, wäre Tayyip Erdoğan bereits tausend Mal vor den Menschenrechtsgerichten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Doch wenn Tayyip Erdoğan weiter in staatlichen Palästen hausen darf, und dies geduldet wird, kommt es der Beteiligung und Mitverantwortung an all den Menschenrechtsverbrechen gleich.

Die AKP

Basierend auf den Widersprüchen zwischen USA und Russland versucht die AKP sich mit ihrer pragmatischen Erpressungspolitik auf den Beinen zu halten. In der Politik führt langfristige Erpressungen zum Fall. Ein russischer Zar sagte einmal: „Der ins Meer fallende, klammert sich an eine Schlange“. Nun ist Tayyip Erdoğan dabei sich an eine Schlange zu klammern.

Wie ist er ins Meer gefallen und warum? Kurdenfeindlichkeit, chauvinistischer Nationalismus, einseitige faschistische Mentalität haben Tayyip Erdoğan ins Meer gestürzt. Demnach kann er Erpressung, Bedrohung und Menschenrechtsverbrechen als politisches Mittel einsetzen. In der Geschichte versuchten grausame und diktatorische Wesen sich mit solchen Praktiken an der Macht zu halten, aber sie haben alle ein desaströses Ende gefunden. Tayyip Erdoğan erlebt derzeit diese Angst, weil er spürt, dass er an der Reihe ist.

Widerstand von der Basis

Die auf den Straßen protestierende Bevölkerung, die sich gegen den AKP-MHP-Faschismus und gegen den Genozid positioniert, zeigt, welche mutige, aufopferungsbereite, heldenhafte Haltung sie entwickelt hat. Die in jüngster Zeit von der HDP organisierten Großkundgebungen in İstanbul, Wan, Amed und Adana waren sehr wichtig und historisch. Denn ihr gegenüber steht eine angsteinflößende Macht. Bei solchen systematischen Repressionen entsteht Widerstand. HDP, HDK, ESP machen diese Aktionen. Eigentlich können ÖDP und die vereinigte Juni-Bewegung auch viel mehr Aktionen auf diese Art und Weise machen. Gegen den Faschismus Widerstand leisten und die Kräfte vereinen, und diese absichern, ist bedeutend.

Freiheit für Öcalan

Für die Freiheit von Öcalan zu arbeiten, ist eine menschliche Notwendigkeit. Die Freiheit für den Vorsitzenden Abdullah Öcalan zu fordern, ist keine alleinige Forderung von unserer Partei oder der kurdischen Bevölkerung. Es ist kein von uns vorgegebenes Thema. Es ist eine Forderung der Menschlichkeit. Es ist ein Maßstab für jeden Demokraten und Antifaschisten, sich für die Freiheit Öcalans einzusetzen.

Die CHP wurde zur Stütze

Die CHP ist ebenfalls für Freiheit und Demokratie. Aber wenn es um die Kurden geht, ändert sich ihre Haltung. Die CHP, die die Außenpolitik der AKP kritisiert, unterstützt die Politik der AKP, wenn es um die kurdische Frage geht. Die CHP muss ihre Geisteshaltung ändern. Gegenüber den Kurden muss sie ihre Selbstkritik abgeben. Denn die eigene Geschichte muss richtig analysiert und bewertet werden. Ihre Nationsdefinitionen und ihre Ansichten auf die kurdische Gesellschaft sind nicht richtig.

Invasionspolitik

Mit der Durchführung des Unabhängigkeitsreferendums steht Südkurdistan nun einer Gefahr gegenüber. Für die Invasion hat das türkische Parlament eine Entscheidung getroffen. Sie haben ihre Panzer an die Grenze beordert. Sie erklären, wenn nicht passiert was sie wollen, dann rücken sie bis Mossul und Kirkuk vor. Ich frage alle Intellektuellen und Politiker aus dem Süden, wo ist denn die Freundschaft zwischen der AKP und PDK geblieben?

Die Kräfte, die ihre faschistische und völkermordende Politik in Kurdistan betreiben, hatten wir soweit, dass sie untereinander ihr Widersprüche offen austragen, ja sogar, dass sie gegeneinander kämpfen. Jetzt hat dieses Referendum sie wieder zusammengebracht und vereint. Erneut sind sie an den Punkt gelangt, wo sie für eine Antikurdenpolitik Kompromisse eingehen. Es kann zu einem gefährlichen Kampf kommen? Es hätte nicht soweit kommen dürfen.

Es gibt einen wirklichen Bedarf für Demokratie und Geschwisterlichkeit. Nicht nur die Kurden unter sich, auch ihre Nachbarvölker brauchen eine Demokratisierung, und das gemeinsam, im Kollektiv. Es gibt den Bedarf für solch eine Mentalität und Politik. Wenn du nicht mit deinen Nachbarvölkern eins bist, kommen kolonialistische Staaten zusammen und vernichten dich!

Das Referendum in Südkurdistan

Der Kurdistan Nationalkongress sollte zusammenkommen und eine für den Mittleren Osten vorbildliche kurdische Demokratie entstehen lassen. Eine demokratische kurdische Einheit wäre damit geschaffen. Doch das wurde bisher verhindert und sabotiert.

Die Kräfte, die dies verhindert haben, haben das Referendum ins Spiel gebracht. Das ist keine Behauptung. Ich kann die Leute beim Namen nennen, die das gemacht haben. Das hat mit der PDK nichts zu tun.

Politische Unabhängigkeit ist die Verwirklichung der ideologisch-philosophisch-intellektuellen Unabhängigkeit im praktischen Handeln. Unabhängigkeit und Freiheit hängen mit Demokratie zusammen. Demokratie erfordert Einheit. Das sind unbestreitbare Rechte. Wenn sich dies mit einem Referendum realisieren lässt, sind es Rechte von allen.

Mit dem Referendum aber wird versucht, die durch den Kampf für Freiheit und Demokratie hervorgebrachte Entwicklung unter den Einfluss des Referendums zu bringen. Auf diesem Wege wird versucht die freiheitliche und demokratische Lösung der kurdischen Problematik zu behindern.

Fortsetzung der kurdischen Frage

Im Mittleren Osten gibt es einen dritten Weltkrieg. Das 5.000-jährige etatistische vorherrschende System ist am kollabieren. Eine 200 Jahre alte kapitalistische Moderne befindet sich in der Ausweglosigkeit – weltweit. Es herrscht eine große Krise bzw. ein großes Chaos. Der Gärungsort dieser Krise ist die kurdische Frage.

Die Verstrickungen im Mittleren Osten beruhen auf der Existenz der kurdischen Frage sowie dessen Lösungslosigkeit. Wenn die Probleme des Mittleren Ostens gelöst werden, dann wird dies nur mit der Lösung der kurdischen Frage geschehen. Für die Lösung der kurdischen Frage hat eine freiheitlich und demokratische Linie, auf Basis des durch die PKK entwickelten Freiheits- und Demokratiekampfs, eine Schlüsselrolle übernommen. Die Tür zur Lösung der kurdischen Frage wird durch diesen Schlüssel geöffnet. Zu einem Zeitpunkt, in dem sich dieser Schlüssel der Lösung der kurdischen Frage nähert, wird zur Behinderung dieses Referendum hervorgebracht. Diejenigen, die Angst davor haben, dass die kurdische Frage auf Basis einer freiheitlich demokratischen Linie gelöst wird, sind bestrebt, die Konflikte im Mittleren Osten aufrechtzuhalten.

Wie gesagt, ist das Referendum keine Definition eines Status, es hat sich zu einer Verhandlung gewandelt. Es steht für die Erlangung wirtschaftlich-politischer Macht sowie für die Durchführung und den Sieg bei Neuwahlen für die PDK und so zur Erlangung der Regierungsmacht. Eine demokratische Haltung ist nicht vorhanden. Das Parlament arbeitet nicht, es entscheidet nicht. Es existiert kein Nationalkongress. Andere Teile Kurdistans sind nicht beteiligt. Einige Mächte können erneut auf Vernichtung und Verleugnung beharren. So haben der Iran, Irak und die Türkei gemeinsam gedroht.

Kommune-Wahlen in Rojava

Während einige von sich behaupten Staat und Regierung geworden zu sein, jedoch das Parlament schließen und keine Wahlen durchführen, muss der Wert der Revolution in Rojava/Nordsyrien, die in einem Umfeld von existenziellen Kämpfen stattfindet, erkannt werden.

In Nordsyrien werden die Fundamente eines neuen politischen Systems gelegt. Ein sich an Wahlen orientierendes demokratisches System wird aufgebaut. Die Vertreter werden per Wahlen in die Administration kommen. Sich auf das Kommunale, auf die Basis und die Gesellschaft zu stützen bedeutet, diese Kraft in Bewegung zu setzen. Das ist die Grundlage der Demokratie. Wir befinden uns hier an einem Punkt, an dem sich die Demokratie an der Basis orientiert. Abdullah Öcalan hat dies als kommunale Demokratie definiert und „demokratischer Konföderalismus“ benannt. Ein demokratischer Konföderalismus, in dem sich alle Unterschiedlichkeiten frei organisieren, von der Basis, den Zellen der Gesellschaft bis hin zu einem politischen System.

ANF, 26.09.2017, ISKU

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